Die Zukunft der Einzelstudios – teil 2
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Autosensitives Training

Dieser Artikel wirft am Beispiel des EMS-Trainings einen prognostischen Blick in die Zukunft der Fitnessindustrie unter den Aspekten der Veränderung des Trainings, der Gerätetechnik, des Konsumentenverhaltens und dies vor dem Hintergrund allgemeiner betriebswirtschaftlicher und ökonomischer Regeln und der globalen Wirtschaftslage.

Das EMS-Training hat sich über die Jahre eine eigene Nische im deutschen Fitnessmarkt erschlossen. EMS-Studio-Konzepte schafften es bereits 2013 im Impulse-Ranking unter die Top-10 der besten deutschen Franchisesysteme. Doch obwohl es EMS-Geräte schon seit Jahrzehnten am Markt und ebenso selbst für Endverbraucher zu erschwinglichen Preisen gibt, hat es das EMS-Training in der letzten Dekade nicht in die Top 20 des Global Fitness Trends Survey des American Collage of Sports Medicine (ACSM) geschafft. Dies liegt u.a. daran, dass es nicht discountfähig ist und eine hohe und qualifizierte Personalquote erfordert. Die Mehrheit der kleinen (EMS-)Mikrostudios kämpft daher mit geringen Nettorenditen, Rückstellungen, liquiden Mitteln, fehlenden Unternehmenswerten und damit mangelnden (Nach-)Finanzierungsoptionen.

2030 wird alles anders

Nach Ansicht der Autoren wird es bis 2030 zu einer bisher nie dagewesenen Marktumwälzung der Fitnessindustrie kommen. In der allgemeinen Betriebswirtschaftslehre (ABWL) gibt es eine Reihe von Diagnosen für die kommenden Probleme, von der Strategie-, Erfolgs- über Absatz- bis zur Liquiditätskrise. Kurz um, es geht um die Lösung bzw. Vermeidung der Auswirkungen der nächsten globalen Krise und demzufolge Entwicklung von Alternativstrategien. Dies wird in der ABWL als Turnaround bezeichnet.

Aus vorgenannten ökonomischen Gesichtspunkten, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann (vgl. u.a. Crash Confidence Index des mit dem Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften ausgezeichneten Ökonomen Professor Robert James Shiller), ist es dringend angeraten, an die Zeit danach zu denken und einen Turnaround einzuleiten. Während infolge dieser Umwälzung die grössten deutschen Fitness-Discount-Ketten mit ihren gegenwärtigen Unternehmensstrategien unweigerlich mit einem Schleckerschicksal konfrontiert werden, zeichnet sich für die EMS-Mikrostudios eine in der Entwicklungsphase steckende EMS-Evolution als potentieller Retter ab. Diese macht sich nicht nur die prognostizierte globale ökonomische Situation zunutze und entspricht den Erwartungen und Anforderungen der Generation Z, sondern könnte auch Auslöser für weitere Turbulenzen im trudelnden stationären (Discount-)Fitnessmarkt sein.

Pioniere gehen leer aus

Die Rede ist vom „Autosensitiven Training“ (AST). Das AST ist eine Kombination aus Hightech Materialien (z.B. Kleidung), Geräte/Technik (z.B. EMS) und intelligenter digitaler Trainingssteuerung (etwa per Chip, App und Cloud). Vorgestellt wurde AST u.a. bereits 2014 als siebter von acht Evolutionsschritten des zukünftigen Trainings auf der ersten FIBO in China und zuvor in Köln (vgl. 2016, Pauling). Seinerzeit fand der Expertenvortrag sicher kaum weitere Beachtung, da die Szenarien mehr als zehn Jahre in die Zukunft gerichtet waren. Doch seither hat es eine Reihe von Entwicklungsschritten gegeben, die zwar noch nicht abgeschlossen sind, dennoch in die finale Richtung gehen. So erschien im Jahr 2016 in der WELT ein Artikel über einen EMS-Ganzkörperkompressionsanzug für den allgemeinen „Hausgebrauch“. Dieser mit über 100 Elektroden ausgestattete Fitnessanzug  to go ohne lästige Verkabelung an eine Steuerkonsole, sollte u.a. Gewichte oder Gegenwind simulieren und den Köper massieren können. Leider ist es den Gründern bisher jedoch nicht gelungen, aus der Idee und ehemaligen Innovationsführerschaft ein durchschlagendes Business zu skalieren und dies obwohl es nach einer positiven Crowdfunding Kampagne durchaus relevante Promos in den Medien gab. Nach Ansicht der Verfasser droht der absolut guten Idee mit enormen ökonomischen und technischen Entwicklungspotential hin zum AST, wie vielen Pionieren, ein Ende in der Bedeutungslosigkeit, während die Grundidee von anderen aufgegriffen und zum Milliardenbusiness weiterentwickelt werden wird.

AST macht EMS zur Trainingstechnik 7.0*

(* vgl. Entwicklungsstufen 1.0 bis 8.0 in 2016, Pauling)

AST ist ein Training, bei dem der Anwender automatisch und ohne eigenes Zutun trainiert wird. Die Steuerung erfolgt als interaktives Feedback u.a. aus der direkten Auswertung von biometrischen Daten des aktuellen Körper-/Bewegungszustandes und greift autoaktiv auf sportmedizinische Grundregeln und Vorgaben aus der Trainingslehre zurück, ohne dafür die direkte Präsenz eines Trainers zu erfordern. Ein Bewegungsadministrator, eine künftige spezialisierte Entwicklungsstufe des heutigen Personaltrainers, kann bei Bedarf über einen digitalen (Fern-)Zugriff eine individuelle Justierung/Personalisierung des Trainings Device einprogrammieren.

Am Beispiel des EMS wird die Zukunft dank AST eine intelligente alltagstaugliche Kleidung sein, in der statt wie in derzeitigen patentierten Produkten EMS-Kontakt-Pads, die noch über eine Träger- und Kontaktschicht verfügen, an- oder eingesteckt werden und per Kabel an eine Steuerung angeschlossen sind, ein völlig neues Gewebe genutzt, indem u.a. Sensoren zur Messung von Bewegungs- und biometrischen Daten enthalten sind. Ein direkt integrierter Nanochip wird die automatische Verarbeitung der Impulse übernehmen, die per App und Bluetooth Steuerung mit weiteren Daten personalisiert und über eine Cloud aktualisiert oder für weitere customized Supportdienste verwendet werden können. Der Chip steuert und überwacht dann eigenständig das Training. Für den Anwender bedeutet dies ein Höchstmass an Komfort und Faulheit zugleich, denn er braucht die Kleidung lediglich anzuziehen und den Rest wird diese über den Tragezeitraum selber erledigen. Sehr vereinfacht dargestellt ist das Trainingsprinzip nicht ein Leistungstraining im Sinne von HIIT, sondern über einen langfristigen autosensitiven niederschwelligen Wiederholungsreiz wird der Körper quasi vom bewegungslosen Schreibtischsitzer zum dauerbewegen Feldarbeiter. Der USP dieses Trainings wird die „Sorgenlosigkeit“ sein, d.h. die Erfüllung eines von Konsumenten lang ersehnten Wunsches, etwas für die eigene Fitness und Gesundheit zu tun, ohne sich jedoch um das Training mit all seinen zeitlichen oder motivatorischen Hindernissen sorgen zu müssen. Und hier liegt genau der Hase im Pfeffer für die Fitnessindustrie, im oben beschriebenen künftigen globalen ökonomischen Szenarium sowie den erforderlichen Konsequenzen aus den jüngsten Forschungsergebnissen zur Generation Z und deren veränderten Erwartungen und Gewohnheiten (vgl. 2018, Vatanparast & Adamaschek). Doch diese Seite der Medaille kann in der Kürze dieses Artikels ebenfalls nicht genauer erläutert werden.

Zusammenfassend kann festgestellt werden, dass die Zukunft in der Transformation von EMS-Training in Autosensitives Training liegen wird. So wie Wirtschaftsprognosen das Ende von herkömmlichen Wearables (wie auch Smartphones und Tablets) ohne Funktion zur Erfassung von biometrischen Daten für 2020 vorhersagen, wird nach Meinung der Autoren das AST-Training in der Fitnessbranche nach 2025 dominieren. Ebenso werden sich Aspekte der Digitalisierung des Customer Service und Payments, die sich etwa in Schweden und China unter finanzanalytischen Gesichtspunkten bewährt haben, sowie negative Auswirkungen von unproduktiven Mitarbeitern auf die Unternehmensfinanzen, wie sie sich etwa als Konsequenz in Schweden zeigen, grossen Einfluss auf die künftigen Geschäftsmodelle haben und die weitere Existenz der meisten jetzigen Low-Cost bzw. Low-Fachpersonal-Strategien nach 2030 in Frage stellen.

Abschliessend muss noch erwähnt werden, dass AST nicht nur auf die erwähnte Beispielanwendung in der EMS-Kleidung begrenzt ist, sondern zahlreiche Geräte transformieren wird. Ein weiteres Beispiel sind AST-Cardiotrainer, welche autonom über die Trainingseinstellung und Steuerung entscheiden, wobei dies dann jedoch fliessend in die Trainingstechnik 8.0 mit Hybrid Devices und Devices Supported Cloud Training übergeht, was nach Prognose der Autoren 2030 aktueller Gerätestandard in nahezu allen zukunftsorientierten Fitnessstudios sein wird. Gute erste Grundlagenentwicklungen finden sich von den bereits in 2013 mit dem FIBO Innovation Award ausgezeichneten 3D-Trainingsgeräten von TecnoBody über diverse Cloud-Lösungen (z.B. das HALO Fitness-Cloud-System von Life Fitness) und Gerätedigitalisierungen (z.B. das BIOCIRCUIT System von Technogym), die sich in Kombination mit Innovationen wie dem Virtual Reality Fitness Geräte ICAROS hin zu Fitness 8.0 Geräten entwickeln werden. Doch dazu mehr in einem späteren Artikel.

Literaturhinweise:

Pauling, K. (2016): Changes in the sports economy – Consequences for SMEs from the sports and health sector, in: New Trails for SMEs in Germany and China – Co-operations. Opportunities. Challenges. Perspectives. FOM Schriftenreihe. Deutsch-chinesischer Wirtschaftsdialog, Nr. 4., S. 117-133 & S. 282-295, Essen, ISBN 3-89275-081-5

Vatanparast, M. F.,  Adamaschek, B. (2018):  Die Generation Z im Mittelstand, in: KCE Schriftenreihe der FOM, Band 1, Essen, ISSN (Print) 2627-1303

Über die Autoren

Dr. Kai Pauling ist Dozent und unabhängiger Experte für Sport Management und Business Administration, insbesondere Fitnessmanagement, Change-/Turnaroundmanagement und Unternehmensführung. Kontakt: kai.pauling@sporting-expert.com

Sofie Pettersson, M.A. in Business and Economics der Hochschule von Dalarna in Schweden. Ihre Fach-/Kulturerfahrung sammelte sie in Vietnam, China/Taiwan, Amerika und Schweden. Kontakt: sofie.pettersson@sporting-expert.com

Prof. Dr. Farid Vatanparast ist Dozent für Human Resources und wissenschaftlicher Leiter des KCE KompetenzCentrum für Entrepreneurship & Mittelstand der FOM Hochschule für Ökonomie und Management. Kontakt: farid.vatanparast@fom.de