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Corona – eine interessante Beobachtung

Wenn diese FITNESS TRIBUNE erscheint, werden die restriktiven Massnahmen des Bundes voraussichtlich aufgehoben sein. Niemand wird sich daran zurück-erinnern (wollen); das Leben wird weitergehen und niemand wird sich die Mühe machen, all die Daten und Erhebungen der einzelnen Gemeinden, Kantone/Bundesländer und Staaten zusammenzutragen und auszuwerten. Es wird folglich eines der grossen Mysterien bleiben, welche Kollateralschäden «Corona» und die Politik bei den einzelnen Menschen angerichtet haben.

Anstatt vom Negativen zu sprechen, das im Zusammenhang mit «Corona» passiert ist, möchte ich die wenigen positiven Konsequenzen näher betrachten – was nun folgt sind meine Beobachtungen, keine validierten Studienergebnisse: Einerseits war es erhellend, wer als richtiger, wichtiger Freund in meinem Kreis verblieben resp. hinzugekommen ist. (Es sind erstaunlich viele hinzugekommen; nicht mit allen teile ich die gleiche Meinung, aber mit allen lässt sich vortrefflich streiten. Und das ist mir und meinen neuen Freunden viel wert). Andererseits: Nie war es leichter, beispielsweise im Leistungssport, wettkampffähige Talente von begnadeten Mitläufern zu unterscheiden. Was ist mir und mir Nahestehenden aufgefallen? – Drei Beispiele aus der täglichen Arbeit:

Beispiel 1 – Distanzunterricht

Die öffentlichen Schulen haben während den diversen Lock- und Shutdowns mit Distanzunterricht ein spannendes Phänomen sehr deutlich aufgedeckt: Es gab/gibt Kinder und Jugendliche, die sind während dieser Zeit der verordneten Langeweile enorm gereift und haben sich geradezu «gefunden». Sie konnten nicht nur eine tiefere Verbindung mit dem Schulstoff eingehen, sondern sie haben sich darüber hinaus in ungeahnter Weise in Themen und Zusammenhänge vertieft, wie es im normalen Schulbetrieb kaum vorstellbar (oder wahrnehmbar) gewesen wäre. Manche wurden zu richtigen Leseratten, anderen eröffnete die selbständige Beschäftigung mit mathematischen/geometrischen Fragestellungen richtiggehend neue Welten, und wieder andere vertieften sich mit ergänzendem Videomaterial (Youtube?) in Fremdsprachen, wie es ohne Selbstisolation kaum möglich gewesen wäre (weil zu viel Freizeitaktivitäten/Fremdeinflüsse diesen Zugang gar nicht zugelassen hätten).

Ich beschönige nichts, denn richtig ist auch, dass die meisten Schülerinnen und Schüler – insbesondere jene, die kein forderndes Elternhaus haben – ohne den Druck des Präsenzunterrichts abgehängt worden sind: Wo die Strukturen fehlen und die physische Präsenz der Lehrperson und deren spürbare Verbindlichkeit nicht fassbar sind (Zoom-Konferenzen), leiden die meisten Kinder.

Beispiel 2 – Musikunterricht

Vom (freiwilligen/überobligatorischen) Musikunterricht wurde unisono berichtet, dass die Coronazeit die wirklichen Talente schlagartig herauskristallisiert hat. Bei einigen (allerdings nur wenigen) sei das Instrument in der Zurückgezogenheit wie zu einem neuen Begleiter geworden, zu einem neuen Freund quasi, mit dem man sich innig verbunden gefühlt und fleissig geübt hat.

Diese Beobachtung kommt einigermassen überraschend, sind doch im freiwilligen (privaten) Musikunterricht eher die motivierten Kinder zuhause (oder eben jene Kinder aus einem motivierten Elternhaus). Doch längst nicht alle diese Kinder haben ein Faible für die Musik im Allgemeinen oder ihr Instrument im Speziellen. – Könnte es sein, dass viele Kinder nicht das lernen, was ihnen behagt, sondern das, was ihre Eltern für wichtig finden?

Beispiel 3 – Leistungssport

Womit wir zu Beobachtungen im Leistungssport kommen: Viele Sportanlagen waren zeitweise geschlossen oder Trainings in Gruppen wurden untersagt. Es gab (insbesondere während des ersten Shutdowns) Verordnungen, die im einen Kanton so, im Nachbarkanton anders gehandhabt worden sind. Und so gab es Athletinnen und Athleten, die haben nach genau diesen Unterschieden Ausschau gehalten oder die behördlichen Vorgaben gereizt bis gedehnt, weil sie nicht nachlassen wollten in ihrem Trainingseifer. Beispielsweise hat eine junge Werferin, nachdem in der Stadt die Sportanlagen geschlossen worden sind, auf der Landschaft selbständig nach Bauern Ausschau gehalten, auf deren Felder sie gleichwohl ihre Wurfübungen machen konnte. Und siehe da: Sogar Behörden/Amtsstuben haben sie bei der Suche unterstützt! Sie hat enorm Auftrieb erhalten und war stolz, das Training legal weiterführen zu können – während andere sich verzagt zurückgezogen, nicht nachgefragt, sondern resigniert haben. (Wie um alles in der Welt wollen sich Athletinnen und Athleten, die wenig Kreativität zeigen oder sich vom Trainer immer nur bauchpinseln lassen, bei störenden Einflüssen vor oder während Wettkämpfen durchsetzen?!) Andere Athleten haben sich zu Kleinstgrüppchen zusammengeschlossen; es gab neue Trainingsgemeinschaften der «Hartgesottenen», die untereinander fortan auch anders kommuniziert haben (und sich gegenseitig mit Trainingstipps versorgt haben). Und dort, wo Trainer schulterzuckend Trainings absagen «mussten», spalteten sich Gruppen auf und bildeten sich neu; einzelne Athleten schlossen sich anderen Trainern an – man hat sich wie neu gefunden. Während sich also bei den einen ein ungebremster Trainingselan entwickelt hat, ging bei anderen die Motivation für den Leistungssport im Corona-Verordnungswahn irgendwo verloren.

Aus meiner Sicht höchst interessant ist, dass die körperlich Fähigsten überproportional häufig das Handtuch geworfen haben (oder darauf spekulieren, dereinst leicht wieder an der Spitze Fuss fassen zu können?); drangeblieben und Schlupflöcher im Behördenwirrwarr haben mehrheitlich jene gefunden, die körperlich als eher «weniger begabt» einzustufen wären. – Schneeflocken-Kinder also nicht nur an der Uni, sondern auch im Leistungssport? Kaum kommt der erste Windstoss, schon ist fertig mit Lustig? Ist das falsche Leben als vermeintlicher Crack mit «Corona» in eine Krise geraten? Ist Leistungssport doch mehr als blosses Ausspielen körperlicher Vorteile? Ist Gewinnen-Wollen auf einem anderen Genstrang angesiedelt? – Jugendliche Gewinner-Typen sind unangenehm, unangepasst, herausfordernd. Wenn sie die nötige Stresstoleranz haben und findig sind nicht nur im Fordern, sondern im Erbringen von Eigenleistung, dann sind genau sie nach dem Geschmack von Meister-Trainern. «Corona» hat sie leichter erkennbar gemacht.

Meine Beobachtungen in diesem (ersten) «Corona»-Jahr lassen sich wahrscheinlich nicht pauschalisieren, aber sie haben mir bislang eines gezeigt: Diejenigen Menschen, die sich in dieser Zeit der unklaren, diffusen und (oft absichtlich) unsicheren Faktenlage nicht durcheinanderbringen liessen, die sich im Gegenteil geradezu gefunden und «ihr Ding» allem Unbill zum Trotz durchgezogen haben, gehen gestärkt aus dieser Zeit hervor – nicht zwingend materiell, aber ganz sicher in ihrer Belastungsfähigkeit, in ihrem Gestaltungswillen und in ihrem Wirken als Erzieher und Geschäftspartner. Und ich vermute, dass diejenigen Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die während den zu Tage getretenen Widersprüchen des vergangenen Jahres an Statur gewonnen haben, unsere Gesellschaft in den kommenden 15 Jahren mit Einzelleistungen prägen werden.

Mir erscheint es ratsam, gerade jetzt nach «Talenten» Ausschau zu halten, die sich nicht ins Loch ziehen liessen und sich diese jungen Menschen genauer anzusehen. Menschen mit einer klaren Ausrichtung und konsequenter Verfolgung ihrer Ziele sind unbequem, aber verlässlicher als all die Fähnlein im Winde, die auch nach «Corona» schon bald wieder an die Oberfläche gespült werden.

Daniel Louis Meili

Seit 34 Jahren unabhängiger Berater für Unternehmensentwicklung und Markenbildung (Executive MBA Marketing), ehemaliger Leichtathlet sowie Diplomtrainer Swiss Olympic.

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