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Die unterschiedlichen Aufgaben von Trainern und Therapeuten, und wie sie sich idealerweise ergänzen

Ein therapeutischer Prozess unterscheidet sich fundamental von einem Trainingsprozess: Training ist – ausgehend von einem schmerzfreien «Normalzustand» – aufbauend, zielgerichtet und soll zu einer Spitzenleistung hinführen, währenddem eine Therapie weit umfassender ist und von einem eingeschränkten, erb-, krankheits- oder unfallbedingten Zustand zum schmerzfreien «Normalzustand» verhelfen soll (siehe Grafik). Dementsprechend unterschiedlich «funktionieren» Trainer und Therapeuten! Nicht selten geraten sie wegen unterschiedlicher Ansichten in Konflikt miteinander… Das muss nicht sein, denn es geht nicht um das Ego von Trainer oder Therapeut, sondern um das Wohl und die Leistungsbereitschaft der oder des betreffenden Menschen.

Definitionen (gültig für unseren deutschsprachigen Raum):

Ein Therapeut ist befähigt, auf Grund einer (ärztlichen) Diagnose beim betreffenden Menschen eine Heilung herbeizuführen oder die schmerzhaften Symptome zu beseitigen (oder zumindest zu lindern), und die psycho-physischen Funktionen wiederherzustellen.

Ein Trainer ist befähigt, durch das regelmässige, systematische und zielorientierte Vermitteln von Übungen, Reizen und weiteren «erzieherischen» Massnahmen einen Menschen oder eine Gruppe von Menschen zu einer ausserordentlichen Leistung zu führen.

Ein Athlet ist ein Wettkämpfer, also ein (talentierter) Sportler der befähigt wird, zu einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Anlass/Ort eine bestmögliche Leistung in einer Sportart/Disziplin zu erbringen.

Es ist trivial, sei aber hier doch noch einmal angefügt: Ausserordentliche Leistungen und insbesondere der Wettkampfsport sind an sich nicht «gesund» und weit weg von einem idealen «Normalzustand». Kommt hinzu: Die Balance gesund und erfolgreich ist sehr fragil. Ein wenig erfahrener, sehr ehrgeiziger Athlet braucht den Therapeuten in der Praxis öfter als ihm lieb ist, was erfahrungsgemäss den Trainer und seine Arbeit in Frage stellt.

Weiter erschwert wird das Verhältnis zwischen Therapeut und Trainer durch unterschiedliche Mentalitäten – und durch undifferenzierte sprachliche Übersetzungen: Im Amerikanischen ist der «Physiotherapist» der «Trainer» einer Mannschaft, während der Coach verantwortlich ist für die Trainings- und Leistungs-Planung. Da nun die amerikanische Mentalität mehr und mehr auch zu uns hinüberschwappt, lohnt sich eine differenzierte Betrachtung: Der amerikanische «Physiotherapist» ist also der «Übungsanleiter», der die Athleten fit machen oder fit halten soll, während der Coach neben taktischen auch strategische und damit Management-Aufgaben übernimmt, was bei uns als «Sportlicher Direktor» bezeichnet wird. – Um nicht zusätzlich Verwirrung zu stiften, werde ich mich im Folgenden an die deutsche Definition und Aufgabenteilung halten!

Ob Athlet, Trainer oder Therapeut: Die Bezeichnungen gelten für alle Geschlechter.

In den vergangenen beiden Jahrzehnten haben sich Physiotherapeuten, aber auch Psychotherapeuten, vermehrt als Trainer respektive Mentaltrainer betätigt (nicht wenige Physiotherapeuten wirken heute sehr erfolgreich als Personaltrainer). Das verwundert nicht, denn einerseits haben durch die Migration unterschiedliche Mentalitäten zu uns gefunden (insbesondere durch holländische und skandinavische Therapeuten, die hierzulande sehr rasch Karriere machten), und andererseits zeigen junge Physiotherapeuten ein grosses Interesse an Sport – oft ganz einfach darum, weil sportliche Menschen motiviertere Patienten sind als beispielsweise chronisch Kranke, und sich dabei Erfolge der Physiotherapie direkter bemerkbar machen. Kommt dazu, dass Trainer im professionellen Leistungssport unter immer grösserem Erfolgsdruck stehen und deren Empathie nicht dem einzelnen Athleten, sondern dem Erfolg als solches gewidmet ist. Bedingungslos. Doch wenn sich der einzelne Athlet austauschbar vorkommt, sucht er sich die Zuwendung eben dort, wo er sie bekommt: auf der Massagebank.

Spätestens jetzt müsste es beim ambitionierten Trainer klingeln! Oft weiss der Therapeut mehr über die Befindlichkeit der Athleten/Mannschaft als der Trainer, was beide ohnmächtig macht. Was wiederum dazu führt, dass der vom Trainer auf den einzelnen Athleten weitergegebene Leistungsdruck ansteigt, ohne dass damit im Endeffekt etwas zu gewinnen wäre.

Aber auch bei Individualsportarten ohne gegnerischen Direktkontakt wie Schwimmen oder Leichtathletik ist der Einfluss der Physiotherapie markant gestiegen. Einerseits wird durch physiologische Massnahmen die Regeneration verbessert, andererseits kann in der unmittelbaren Wettkampfvorbereitung der therapeutische Beistand Wunder wirken (Schmerzfreiheit, mentale Bereitschaft). Hand-kehrum ist mehr als verständlich, dass bei Misserfolgen auf der Massagebank auch die Trainingsplanung und Trainingsmethoden hinterfragt und diskutiert werden…

Bei professionellen Sportbetrieben ist die Ausgangslage klar: Die Clubleitung ist für den finanziellen Spielraum besorgt, der Trainer für den sportlichen Erfolg, und der Therapeut für die Gesundheit der Akteure. Entsprechend ist die Hackordnung gegeben, und ein Trainer wird nur absolut loyale Therapeuten um sich dulden. Kluge (Chef-)Trainer verpflichten darum mehrere Therapeuten gleichzeitig, um alle Athletentypen «abzuholen» und um eine interne Diskussionskultur aufzubauen, in der im vertraulichen Rahmen unterschiedliche Analysen zusammenkommen und gemeinsam an den besten Massnahmen gearbeitet wird. Erst in dieser Konstellation wird der Trainer in meinen Augen zum Coach.

In der Schweiz spielt selbst im Leistungssport das Amateurwesen die wichtigste Rolle. Demzufolge wird ohne vertragliche Vereinbarung gearbeitet – und jeder Akteur versucht seinen eigenen Vorteil herauszuholen: Der Trainer, der viele unbezahlte Stunden auf dem Platz steht, will sein in unzähligen Lehrgängen erworbenes Wissen mit «seinen» Athleten auf die Piste bringen und sich mit deren tollen Leistungen für sein hohes Engagement belohnen; er ist der treibende Motivator und klar leistungsorientiert. Der Therapeut hingegen, der entweder über die Krankenkasse abrechnet oder auf eigene Rechnung sein Know-how einbringt, will «seine» Kunden langfristig binden und wird der absoluten Spitzenleistung in der Regel kritisch gegenüberstehen; er ist von eher geduldiger Natur und bestenfalls ein ergänzender Motivator. Der Therapeut bringt die Empathie auf, die dem Trainer zuweilen abgeht; der Therapeut sieht die Dinge «relativ», der Trainer eher «absolut». – Der Athlet schliesslich, um dessen Leistung sich alles dreht, befindet sich – parallel zum sportlichen Aufstieg – in einer stetigen, oft umwälzenden Entwicklung; er macht in einem kurzen Lebens-Zeitraum einen enormen Lernprozess durch: vom Schüler/Lehrling über den Studenten/jungen Erwachsenen bis zur jungen Berufsperson oder sogar zum Familiengründer. Das alles will verkraftet werden! Nicht vergessen: Eine sportliche Laufbahn dauert mindestens zwei, in der Regel drei Olympiaden, also acht bis 12 Jahre (vom Teenie bis Mitte 20), bis die angestrebten Resultate überhaupt geerntet werden können!

Wäre die sportliche Höchstleistung im reiferen Alter zwischen 35 und 45 möglich, könnte der Athlet sich viel wirkungsvoller selbst steuern. So aber bleibt er auf gute Bezugspersonen angewiesen: Einen Perspektiven eröffnenden Trainer und einen nötigenfalls heilenden Therapeuten. Die bewusste oder instinktive Wahl des jungen Athleten «bei welchem Trainer bleibe ich, zu welchem Therapeuten gehe ich?» entscheidet im Wesentlichen über den langfristigen sportlichen Erfolg. Es gibt daher nicht «den» besten Trainer oder «den» richtigen Therapeuten, sondern nur das im Zusammenspiel mit dem Athleten beste Team!

Ich habe mich jedes Mal gefreut, als mich Therapeuten beispielsweise gefragt haben, wie bei einzelnen Disziplinen die enormen Beschleunigungen genau erzeugt werden, und wie diese sich aufgrund meiner Erfahrung auf einen jungen Körper auswirken. Dieses Verstehen-Wollen, um mitdenken zu können, ist zentral für die gemeinsame erfolgreiche Arbeit. Ganz konkret: In der aktiven Physiotherapie kann bestenfalls mit Winkelgeschwindigkeiten von 240 Grad pro Sekunde kontrolliert gearbeitet werden (was für den Laien schon recht schnell aussieht) – bei einem Speerwurf bewegt sich der Wurfarm aber mit Winkelgeschwindigkeiten von bis zu 2‘500 Grad pro Sekunde: Das ist Faktor 10! Die dabei entstehenden Kräfte sind – auch wenn der Speer nur 600 Gramm (Frauen) oder 800 Gramm (Männer) wiegt – enorm. Wie befähigen wir also den jungen Athleten, diese Kräfte zu entwickeln und ohne gesundheitliche Probleme auch längerfristig zu steigern; wie muss man den Wiederaufbau bewerkstelligen, wenn das Ellenbogengelenk wegen Überreizung entzündet war?!  Auf der anderen Seite muss mich als Trainer wundernehmen, wie die Regenerationsprozesse bei jedem einzelnen Athleten verlaufen und wo der Therapeut die jeweilige Belastungsgrenze zieht. Denn ich weiss: Ohne Forderung keine Leistung, bei Überforderung aber auch nicht! Zu wenig Training = kein Erfolg; zu viel Training = Verletzung! Der Grat ist schmal, nur gemeinsam finden wir den passenden Weg.

Ich habe immer wieder beobachtet, dass Wunschdenken (bei auch nur einem der Akteure) in die Sackgasse führt: Meist wird dem Athleten von erfolgshungrigen Trainern bei einem offensichtlichen Talent das Blaue vom Himmel versprochen, ohne seriös abzuklären, ob der Athlet (und das familiäre Umfeld) sich überhaupt für leistungssportliche Ziele eignen und interessieren. Falls ja, werden fast genauso oft vom Therapeuten entdeckte ungünstige körperliche Voraussetzungen nicht klar genug angesprochen, und der Athlet bleibt während der gesamten sportlichen Karriere ein «Pflegefall». Von daher ist es entscheidend, dass ein Trainer erkennt, ob der Athlet neben dem Können auch den Willen hat, «alles» für seinen Sport zu geben – und wenn nicht, lieber die Finger von diesem Athleten zu lassen. Und es ist nicht mehr als fair, dass ein Therapeut erkennt und mutig ausspricht, wenn beim talentierten Athleten der Wille zwar da ist, aber sein Körper die zukünftigen Belastungen nicht wirklich bewältigen kann, und auf ein Engagement (und damit auf interessante Erträge) verzichtet.

Auf dem Buckel des Athleten werden also verschiedenste Interessen ausgetragen. Von daher ist es ratsam, wenn sich Trainer und Therapeut persönlich gut verstehen, wenn sie gegenseitig Interesse bekunden, neugierig bleiben, sich der Diskussion stellen und ehrlich sind miteinander – auch mit dem Athleten! Eine sportliche Entwicklung zu begleiten und zu fördern ist ein gemeinsamer Prozess mit einem gemeinsamen Ziel. Alle sollen glücklich werden dabei. Auch wenn die Träume meist grösser sind als die tatsächlichen Erfolgschancen.

Daniel Louis Meili

Jahrgang 1961, Vater von vier Kindern, Diplomtrainer Swiss Olympic, Ausgezeichnet u.a. mit dem Wissenschaftlichen Preis der Schweizerischen Gesellschaft für Sportmedizin, ist als Marketingfachmann (Executive MBA) seit 33 Jahren selbständig erwerbend und betreut Geschäftsleitungsteams bei der unternehmerischen Weiterentwicklung.

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