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Die Zukunft der Einzelstudios – teil 2

In Abgrenzung zum Discounter wird der Faktor „Qualität“ zumeist überschätzt. Qualität steht im Verhältnis zum Preis und ist damit relativ. Stimmt die Qualität, ist der Preis okay, aber stimmt der Preis, ist eben auch die Qualität okay. Deshalb kann das Einzelstudio im Wettbewerb um die beste Qualität nur unterliegen. Wer aber beim Discounter oft genug in die immer gleich bemüht lächelnden, ständig wechselnden Gesichter geschaut hat, der weiss, dass Angebot und Qualität eben auch nicht alles ist. Der entscheidende Wettbewerbsvorteil des Einzelstudios liegt deshalb nicht in Angebot und Qualität, sondern im persönlichen Verhältnis des Einzelunternehmers zu seinen Kunden. Menschen kommen gern zu Menschen und deshalb sind die persönlichen Beziehungen des Unternehmers grösstes Kapital. 

Das Marketing hat den Wert persönlicher Beziehungen längst erkannt. Influencer-Marketing nennen sie es, und sie bewerten es als eines der machtvollsten Instrumente im Absatz von Produkten. Im Zentrum steht die persönliche Nähe, die manche Menschen offenbar in der Lage sind, zu Millionen von Followern herzustellen. «Die Follower sind vom Influencer nur einen Klick entfernt und fühlen sich als dessen Freunde. Sie reagieren auf die Inhalte, stellen Fragen und treten in die direkte Interaktion» [aus: Influencer-Leitfaden für Unternehmen, gefunden auf futurebiz.de].

Damit „persönliche Beziehungen“ wirtschaftlich wirksam werden können, bedarf es allerdings spezieller Wirkungsfaktoren. Für futurebiz.de sind das Inhalt, Reichweite und Wirkung in der Community. Mit anderen Worten: Für wen persönliche Beziehungen wirtschaftlich relevant werden sollen, der muss in der Lage sein, ihnen Reichweite zu verleihen.

Ein aktuelles, prominentes Beispiel für hervorragende Inhalte, Reichweite und Wirkung in der Community ist Sophia Thiel. Sie hat auf ihren unterschiedlichen Portalen insgesamt über zwei Millionen Follower. Damit kommt eine einzelne Person an den Bekanntheitsgrad einiger populärer Fitnessketten heran und überflügelt jedes Einzelstudio bei weitem. Vergleicht man dabei den wirtschaftlichen Aufwand, den sie für ihre Popularität betreiben muss, mit dem wirtschaftlichen Aufwand, den so manche Marke in der Fitnessbranche betreibt, um bekannt zu werden, wird die Macht deutlich, die aus „persönlichen Beziehungen“ erwachsen kann, wenn man in der Lage ist, ihnen „Reichweite“ zu verleihen.

So zutreffend Inhalt und Reichweite für das Influencer-Marketing sind, um Wirkung in der Community (futurebiz.de) zu erzielen, so sehr wird eine weitere wichtige Säule übersehen. Diese dritte Säule ist die Inszenierung. Die Inszenierung ist der künstlerische Aspekt in den persönlichen Beziehungen, die den Inhalten die für Reichweite notwendige Aufmerksamkeit verleiht. Sophia Thiel zum Beispiel versteht es einzigartig, sich und ihre Inhalte in Szene zu setzen. Sie inszeniert ihre sehr persönliche Geschichte vom Pummelchen zur Athletik-Ikone so meisterhaft, dass sie Millionen Menschen damit bezaubert. Erst die Inszenierung verschafft ihren Inhalten eine wirtschaftlich relevante Reichweite. Denn würde Sophia Thiel in ihrem Blog ein Trainingsprogramm für zehn Euro anbieten und nur ein Prozent ihrer zwei Millionen Follower würden dieses Programm kaufen, hätte Sophia Thiel mit einer Stunde Aufwand 200‘000 Euro verdient, und zwar ohne Kapitaleinsatz und laufende Kosten. Mit ihrer Inszenierung verschafft sie sich Aufmerksamkeit, und das Geld fliesst dorthin, wo die Aufmerksamkeit liegt.

Wie wichtig Aufmerksamkeit für das Einzelstudio ist, zeigt der Umkehrschluss. Es ist richtig, dass die Menschen dorthin strömen, wo die Aufmerksamkeit liegt, richtig ist aber auch, dass die Aufmerksamkeit dort liegt, wo die Menschen hinströmen. Trainieren beispielsweise 10‘000 Menschen bei McFit, reden auch 10‘000 Menschen über McFit und lenken die Aufmerksamkeit auf den Discounter. Bringen diese 10‘000 Mitglieder nur einen einzigen Freund mit – was im Billigpreissegment natürlich wesentlich einfacher ist als für den Premiumanbieter –, trainieren bereits 20‘000 Menschen bei McFit. Das ist die Aufmerksamkeit, die eine „Massenbewegung“ erzeugt. Sie wird genährt durch eine sich in dieselbe Richtung bewegende Masse. Einer Dynamik, die aus einer solchen Massenbewegung entsteht, hat das Einzelstudio allein durch Angebot und Qualität nichts entgegenzusetzen. Um in dieser sich bewegenden Masse nicht die Aufmerksamkeit der Menschen zu verlieren, muss das Einzelstudio ein „Leuchtturm“ sein.

Abseits des Mainstreams werden Erfolgsgeschichten von Menschen geschrieben. Harley Davidson beispielsweise hat ein von Dennis Hopper und Peter Fonda inszeniertes „Lebensgefühl“ vor der sicheren Pleite bewahrt. Ihr Film „Easy Rider“ machte die Marke Harley Davidson legendär. Ob Dennis Hopper und Peter Fonda, ob Elon Musk, Steve Jobs oder Arnold Schwarzenegger, immer dort, wo neben dem Mainstream ein Leuchtturm auftaucht, handelt es sich um eine Persönlichkeit, die die Fähigkeit hat, ihren persönlichen Beziehungen durch Inszenierung Aufmerksamkeit zu verschaffen und damit Reichweite zu verleihen.

Eine grossartige Inszenierung in neuerer Zeit war innerhalb der Fitnessbranche die Markteinführung von milon. Wenngleich von der Idee her geniale Geräte, waren sie quasi unverkäuflich. Erst durch Mario Görlach‘s hervorragende Inszenierung wurde der elektronische Trainingszirkel ein Mega-Erfolg. Jeder, der dabei war, erinnert sich an den Spannungsbogen, der im Vorfeld erzeugt wurde. Das Studio eröffnete die Bühne mit rot-weissem Absperrband. Dann kam der Zirkel, und zuerst probierten ihn die Trainer aus. Mein Vortrag vor im Durchschnitt 300 Teilnehmern war ein weiterer, bereits in der Leasinggebühr des Zirkels festverankerter Teil der Inszenierung und erhöhte die Spannung weiter, bis die Listen so voll waren, dass der Hype den neuen Zirkel auf Anhieb zum Herzstück des Studios machte. Plötzlich wirkten die konventionellen Geräte drumherum wie Beiwerk und die „milon-Clubs“ bildeten eine verschworene Community. Das war wirklich grosses Kino und lieferte allen Beteiligten den entsprechenden Erfolg. Welchen Anteil an diesem Erfolg die persönlichen Beziehungen haben im Verhältnis zum Produkt, ist an der Verschiebung der Aufmerksamkeit messbar, wenn Influencer den Anbieter wechseln. Sie nehmen die Aufmerksamkeit mit und lenken sie in kürzester Zeit auf ein neues Produkt.

Die enorme wirtschaftliche Kraft hinter persönlichen Beziehungen würde auch offenbar, wenn zum Beispiel Sophia Thiel neben McFit ein Einzelstudio eröffnete. Würde sie mit ihrem Club zu McFit in Wettbewerb treten oder würde sie McFits Potential klug für sich nutzen? Wer profitierte in dieser Konstellation von wem? McFit von Sophia Thiel oder Sophia Thiel von McFit? Nicht umsonst verpflichten grosse Marken Influencer, um ihren Angeboten wieder ein menschliches Gesicht zu verleihen.

Was das Einzelstudio mehr braucht als Angebot und Qualität ist die Aufmerksamkeit innerhalb seines Einzugsbereichs. Und diese Aufmerksamkeit erzielt es durch hervorragend inszenierte, nachhaltige Inhalte, die den persönlichen Beziehungen des Einzelunternehmers Reichweite verleihen. Allerdings ist das Einzelstudio keine Online-Plattform. Jede digitale Inszenierung kann immer nur ein Trailer sein für den eigentlichen Film. Was in der Videobotschaft Aufmerksamkeit erzeugt, muss durch eine hervorragende Aufführung auf der realen Bühne des Lebens noch übertroffen werden. Entpuppt sich der digitale Zauber in der persönlichen Begegnung als fauler Zauber, ist der Film mit dem Vorspann schon zu Ende. Die Grundlage für persönliche Beziehungen ist nicht Qualität, sondern Vertrauen. Und im Gegensatz zur sehr relativen Qualität ist Vertrauen absolut. Entweder man geniesst in seinen Beziehungen das Vertrauen oder man hat es verspielt. Dann hilft den Preis zu reduzieren auch nichts mehr.

Lieber Studiobetreiber, bitte bedenken Sie, dass der Discounter neben Ihnen nicht völlig unbedarft eröffnet. Er hat vor seiner Eröffnung über 30 Jahre lang hinweg Ihr Geschäftsmodell genau analysiert. Dabei hat er Ihre grössten Schwachpunkte längst entlarvt und sie innerhalb seines eigenen Geschäftsmodells konsequent abgestellt. Er versteht es meisterhaft, aus Ihren grössten Kostenblöcken – Personal und Vertrieb – seinen grössten Nutzen zu ziehen. Denn während Sie aufwändig beraten und betreuen und mit hohem Energieaufwand versuchen, Qualität zu bieten und neue Mitglieder zu gewinnen, strömen sie ihm zu. Alles, was Sie in den letzten Jahrzehnten unternommen haben, ist für den Discounter ein offenes Buch. Er braucht nur abzuwarten, bis Sie an Ihren eigenen Anstrengungen verbluten. Dann wird er noch einmal Kapital in die Hand nehmen, um damit den Markt endgültig zu übernehmen. Diesen unfairen Wettbewerb können Sie nur gewinnen, indem Sie ihn – rechtzeitig (!) – verlassen.

Neue Rahmenbedingungen erfordern ein neues Geschäftsmodell. Ein Geschäftsmodell, das Sie aus dem Wettbewerb zu Discount und Internet herausholt und es Ihnen stattdessen erlaubt, deren Geschäftsmodell für sich zu nutzen. Voraussetzung dafür ist, dass Sie Ihre Wertschöpfung von der Vermietung auf die Dienstleistung verschieben, durch mehr Effektivität und Effizienz Ihre grössten Kostenblöcke – Vertrieb und Personal – in die Gewinnzone verlagern, sich auf Ihr Alleinstellungsmerkmal konzentrieren, um auch hier keine unnötigen Energien mehr zu verschwenden, und statt in alten Kategorien wie Angebot und Qualität zu denken, Ihre Stärke dort suchen, wo sie wirklich liegt: In Ihren persönlichen Beziehungen zu Ihren Kunden. Werden Sie in Ihrem Einflussbereich der bekannteste Influencer. Lenken Sie durch spannende Inszenierungen die Aufmerksamkeit auf sich und Ihre Inhalte und verschaffen Sie Ihren Inhalten so für wirtschaftliches Wachstum die notwendige Reichweite. Spielen Sie die Musik. Dann werden Discount und Internet für Ihre Hits die „Endstufe“ sein.

An dieser Stelle möchte ich nicht versäumen, mich bei denen zu bedanken, die mir seit Jahren helfen, meinen Ideen die notwendige Reichweite zu verleihen. Vielen Dank an Roger Gestach für die vorliegende Sonderauflage der FITNESS TRIBUNE und an meine persönlichen Fürsprecher bei eGym, denen diese Sonderauflage der FITNESS TRIBUNE so wichtig war, dass sie sie wirtschaftlich erst ermöglichten.

Andreas Bredenkamp

Jahrgang 1959

Studierte Germanistik und Sport, Autor des Buches „Erfolgreich trainieren“ und des „Fitnessführerscheins“