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Ersetzt Online- und Heimtraining zukünftig das Fitnesscenter?

Von Roger Gestach

Ein Artikel auf «welt.de» vom 5. Januar 2021 mit dem Titel «Jetzt kündigen – wer diese Konzepte kennt, muss nie wieder ins Fitnessstudio» hat in der Fitnessbranche für grossen Ärger gesorgt. Die Autoren haben sich mit dem reisserischen Titel sehr weit aus dem Fenster gelehnt. Der Artikel über Training im Lockdown beschreibt acht Ideen und Produkte, die teilweise viel günstiger sind und auch besser funktionieren sollen, als wenn man in einem Fitnesscenter trainiert. Der Bericht ist ein Schlag ins Gesicht für die ohnehin schon gebeutelte Fitnessbranche, deren Center zurzeit geschlossen sind.

Für den Geschmack von Ferdinand Linzenich, Mitgeschäftsführer der Fitness Linzenich-Gruppe, ging dieser Artikel zu weit. Mit sehr treffenden Worten beschreibt er die Dinge aus seiner Sicht und schrieb folgenden Leserbrief:

«Eines vorweg: Neben meinem Beruf als Kabarettist bin ich Unternehmer in der Fitnessbranche und betreibe 11 Fitnessstudios. Ich gebe also zu, dass ich befangen bin. Trotzdem frage ich mich: Warum haben die Verfasser, die offensichtlich Fans von Fitness-Apps sind und dafür eine Art «Stiftung Warentest» schreiben wollten, eine solche Überschrift gewählt? Sie ist reisserisch und hat mit dem Artikel wenig zu tun. Und warum stellen Sie anschliessend noch eine Behauptung wie «Fitnessstudios wären wahrscheinlich noch monatelang geschlossen» in den Raum und desavouieren damit eine zurzeit ohnehin mit schwierigen und unverschuldeten Problemen kämpfende Branche? Immerhin bietet diese 220’000 Menschen in Deutschland Arbeit und es steht einer wirtschaftsfreundlichen Zeitung wie der «Welt» sicher nicht gut zu Gesicht, derart flapsig die Existenzberechtigung einer ganzen Branche in Frage zu stellen.

Natürlich haben digitale Angebote eine zunehmende Bedeutung und sind ein bemerkenswerter und erfreulicher Wachstumsmarkt. Qualitätsanbieter wie wir haben das längst erkannt und entwickeln gerade auch in diesen Lockdown-Zeiten eine Vielzahl von derartigen Angeboten für unsere Mitglieder.

Aber für das digitale Training gilt wie für jede «Selbstmedikamentierung»: Der Anwender, also bei uns der Trainierende, hat kein fachliches Regulativ und praktisches Korrektiv. Aus meiner 40-jährigen Erfahrung als Trainer und Unternehmer weiss ich, dass selbst Profisportler permanent falsch trainieren bzw. sich auch oft überfordern. Oder warum beschäftigen Bundesligavereine sonst ganze Trainerstäbe? Hinzu kommt, dass über 90 Prozent der Menschen ohne Motivation durch einen Trainer und/oder die Gemeinschaft, die Fitnessstudios bieten, nicht die Selbstdisziplin aufbringen, dauerhaft zu trainieren. Vielleicht ist dem Autor entgangen, dass auch der Personaltrainer-Markt ja gerade ein grosses Wachstum erfährt.

Das Argument «Man kann auch zuhause trainieren» ist übrigens auch nicht gerade neu. Kaum einer von uns, der nicht wenigstens Freunde oder Verwandte hat, in deren Keller Hometrainer verstauben oder als Wäscheständer zweckentfremdet werden.

Fitnessstudios sind nämlich etwas mehr als blosse Geräteanbieter: Sie sind die gesunde Alternative zum Sonntagsfrühschoppen, Seniorenstammtisch in Bewegung, sportliches Mehrgenerationenhaus, Jugendtreff und Singlebörse. Kurzum: Fitnessstudios tun nicht nur etwas für die Volksgesundheit, sondern sind auch eine wichtige soziale Begegnungsstätte.

Aber wenn Sie, liebe Autoren, nach Ihrem Homeoffice immer noch kein Bedürfnis nach Geselligkeit haben, nutzen Sie gerne die Fitness-App. Mich würde lediglich interessieren, wie regelmässig sie die benutzen. Ich freue mich auf Ihren Erfahrungsbericht im Januar 2022. Falls Sie dann Ihre App-Abos nur noch bezahlen, aber nicht nutzen, trösten Sie sich damit, dass es wenigstens in Ihrem Keller keinen Platz wegnimmt.»

Wird Online- und Heimtraining zukünftig zur Konkurrenz der Fitnesscenter? Klar ist, dass Online-Training vor Corona eher belächelt wurde, es sich aber inzwischen etabliert hat und somit zukünftig nicht mehr wegzudenken ist. Seit dem ersten Lockdown sind zudem die Bestellungen für Heimtrainingsgeräte regelrecht explodiert, da reden wir von fünf- bis zehnfachen Verkaufszahlen!

Jeder Betreiber eines Fitnesscenters sollte sich deshalb Gedanken machen, wie er zukünftig sein Angebot um Onlinedienstleistungen erweitern kann. Hier sollte beachtet werden, dass nicht immer alles kostenlos sein muss. So bieten bereits Fitnessketten Online-Abos an. Persönlich glaube ich nicht daran, dass Online- und Heimtraining mittel- und langfristig zur Konkurrenz für die Fitnesscenter wird. Sicher besteht eine Gefahr, dass einige Trainierende sich mittlerweile an das Training zu Hause gewöhnt haben und diese Personen nicht ins Fitnesscenter zurückkommen werden. Dies wird aber eine Minderheit bleiben. Sobald der Corona-Spuk vorbei ist, alle Fitness-center wieder normal geöffnet haben und die Leute sind auch wieder trauen ins Training zu gehen, dann wird die Fitnessbranche zu den grossen Gewinnern der Krise gehören. In jeder Rezession hat es Branchen gegeben, die trotzdem überdurchschnittlich erfolgreich waren. Ich bin überzeugt, es wird die Fitnessbranche sein aus folgenden Gründen:

  • Die Leute merken jetzt, dass es nichts Wichtigeres gibt als die Gesundheit! Zum Erhalt der Gesundheit gibt es nichts Besseres als Muskeltraining.
  • Muskeltraining an den Geräten ist das Alleinstellungsmerkmal der Fitnessbranche: Nirgends kann die Muskulatur so gezielt, so sicher, so effektiv und so effizient trainiert werden wie im Fitnesscenter!
  • Die bisherigen Fitnesskunden haben einen sehr grossen Nachholbedarf an Training.
  • Die Leute brauchen Betreuung, Kontrolle und Motivation.
  • Irgendwann hat jeder genug davon, alleine im Wohnzimmer rumzuhüpfen. Man will sich wieder mit echten Menschen treffen. 
  • Gruppenkurse im Center werden wieder boomen. Das Miteinander hat den Leuten gefehlt.
  • Die Kosten für das Fitnesstraining kann sich auch trotz einer Rezession der grösste Teil der Bevölkerung immer noch leisten.

Auch Andreas Bredenkamp ist überzeugt, dass nirgendwo sonst so gezielt und effektiv trainiert werden kann, wie in einem Fitnesscenter (lesen Sie dazu seine Kolumne in dieser Ausgabe).

Zum Abschluss noch einen treffenden Satz von Henrik Gockel darüber, ob es zukünftig noch Fitnesscenter gibt: «Jeder hat eine Küche zu Hause und trotzdem zweifelt niemand an der Existenzberechtigung von Restaurants!»