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Freunde und Trainer

In dieser Kolumne geht es um mentales Gewichtheben. Wahre Fitness trainiert beides. Physische als auch psychologische Muskeln. Viel Spass beim neuronalen Schwitzen.

In unserem Leben gibt es zwei Arten von Menschen: Freunde und Trainer. Die Freunde sind jene Menschen, bei welchen die Begegnung rund läuft und alles bestens ist.

Andere Menschen dagegen wirken anders auf uns. Jetzt ist es vorbei mit «easy going» und das eigene psychologische Immunsystem ist aktiv. Wir halten dann das Gegenüber z. B. für arrogant, eingebildet oder für einen tumben Muskelprotz etc. Betrifft es Frauen, dann sind folgende Etiketten beliebt: Dumme Tusse, blöde Zicke, militante Feministin etc. Kurz gefasst: Wir ärgern uns über diese oder jene Person. Und gerade deshalb sind diese Menschen hervorragende Trainer für unsere Entwicklung.

Denn weder ist der andere ein Kotzbrocken, noch ist die andere eine Zicke. Unser Denken ist es, welche die anderen zu Defizitwesen umbauen. Diese Menschen sind sich oft keiner Schuld bewusst. Sie sind, wie sie sind und haben nur das Pech, uns über den Weg zu laufen. Sie machen dabei vielleicht Dinge, die wir nie machen oder uns nie wagen würden. Dabei haben sie vielleicht gar Spass. Spätestens hier starten beim Beobachter die inneren Kampfmotoren! Ich finde, das ist gut so. Warum? Weil wir Menschen als soziale Wesen andere brauchen, um zu erkennen, wer wir sind.

Konflikte gehören zum Leben. Etwas intensiver: Konflikte sind wertvoller Dünger für unsere Entwicklung. Konflikte entstehen, wenn das Gegenüber sich nicht so verhält, wie wir es erwarten. Wir glauben oft gerne, der andere wäre für den Konflikt verantwortlich. Es ist verlockend so zu denken. Denn dann wandert der Blick nach aussen. Er oder Sie ist das Problem und somit ist es ok, dass wir verbal der anderen Person mit dem Finger ins Auge stechen. Aber was ist, wenn wir die Perspektive wechseln? Wenn wir gedanklich vom Fremdvorwurf zur Selbstauskunft wandern? Wenn wir den Mut haben nach innen zu blicken? Sich zu fragen: Was hat das Ganze mit mir zu tun? Warum nervt mich diese Person so? Warum kann sie bei mir alle Knöpfe gleichzeitig drücken? Warum spüre ich plötzlich so viele Triggerpunkte in mir?

Mit solchen Fragen wird jeder Konflikt zu einer radikalen Selbstbegegnung bzw. einer Innenschau der eigenen Wertesysteme. Wer sich über andere ärgert, der hat ein Problem – mit sich. Wir ärgern uns ja nur, wenn etwas IN UNS in Schwingung kommt. Ich habe beim FC Thun Trainer erlebt, die z. B. in Sachen Ernährung ganz unterschiedlich reagierten. Während für einen Trainer Kuchen essen vor dem Spiel kein Problem darstellte, brachte es den anderen Trainer mit hochrotem Kopf auf die Palme. Wer war dafür verantwortlich? Der Kuchen?

Im lesenswerten Buch «Magie des Konflikts» erwähnt R. Sprenger, dass Konflikte die Geheimgrammatik eines gelingenden Lebens sind. Es geht nicht darum, Konflikte im Leben auszurotten, sondern sie als Gewinn im Leben zu nutzen. Wer sich ein konfliktfreies Leben wünscht, der verabschiedet sich vom Leben. Die einzigen Menschen, die keine Konflikte haben, sind bereits tot. Leben bedeutet, Konflikte zu lösen und zwar täglich. In den Arenen unseres Lebens – Familie, Partnerschaft oder im Job – geht es um Konflikte. Die Frage ist also nicht, ob wir sie haben, sondern wie wir sie austragen.

Im Leben geht es um Konfliktmündigkeit. Konfliktmündigkeit bedeutet die Freiheit des anderen anzuerkennen. Kaum etwas ist so unerträglich wie die Freiheit des anderen. Und es hört sich widersprüchlich an. Es gibt keine Freiheit ohne Zwang. Denn mit der Freiheit kommt automatisch der Zwang sich zu entscheiden. Lohnt es sich überhaupt, sich über die Person oder den Konflikt aufzuregen? Diese Frage gilt es sich immer wieder zu stellen. Das bekannte Gesellschaftsspiel heisst nicht: Mensch ärgere mich nicht. Es heisst: Mensch ärgere DICH nicht. Es sind nicht die Umstände, sondern die Wahrnehmung der Umstände, die mein mentales Klima bestimmen. Denken Sie nochmals an das Beispiel mit dem Kuchen. Ein Kuchen und zwei völlig verschiedene Reaktionen. In letzter Konsequenz heisst das: Niemand – wirklich niemand – kann Sie verbal verletzen. Sie können es nur zulassen. Prüfen Sie diesen Gedanken, bevor Sie ihn ablehnen.

Ob Scheidungsszenarien, Familiendramen oder Jobkonflikte. Solange wir dem Geschehen nicht ruhig und gelassen begegnen können, sind wir gefangen. Wir bleiben ein Spielball der Aussenwelt und verpassen damit eine wertvolle Trainingslektion. Ist ruhig bleiben einfach? Nein! Ist es wertvoll? Ich behaupte ja. Niemand, der mit wachem Blick durchs Leben geht, hat je behauptet, dass Freundschaften, produktive Konflikte oder eine innere Freiheit einfach zu haben sind!

Jedes Mal wenn wir uns ärgern, dann haben wir es immer mit einer Trainingslektion zu tun. Der Leitsatz «Ändern statt ärgern» kann da hilfreich sein. Man wechselt so von der passiven Opferrolle zur aktiven Gestalterrolle. Viele sammeln aber lieber Opferpunkte. Opfer zu sein hat nämlich drei bequeme Vorteile. 1. Man muss sich nicht ändern. 2. Man ist nie allein. 3. Man füttert sich mit naivem Schwarz-Weiss-Denken. Es ist aber zu einfach, wenn wir meinen, dass wir die Guten sind und die anderen die Bösen. Wer als Wutbürger ständig ein dickes Ärgerkonto führt, der macht aus sich einen biochemischen Molotowcocktail, welcher dann oft im Internet oder auf der Strasse explodiert. Ist das ein Gewinn? Ich habe da meine Zweifel.

Wer schon einige Jahrzehnte auf dieser Welt atmet, der weiss, dass jeder Mensch seine Geschichte hat. Oft kommen noch Dramen dazu. Und wer Krieg in sich hat, der wendet ihn oft nach aussen. Leider! Konflikte sind dann meist ein Schlachtfeld an Beleidigungen und vollgepackt mit Schimpfwörtern.

Kritik zu üben geht meist leicht. Mir auch. Wir kritisieren oft hart und schnell. Aber das ist eine Sprengstoff-Eigenschaft. Viel spontan Gesagtes wird ja später oft bereut. Vergessen wir nie: Kein Mensch ist auf die Welt gekommen, um unseren Ansprüchen zu genügen. Und manche haben völlig überzogene Ansprüche an die Vollkommenheit der Personen, an den eigenen Körper, an das Unternehmen oder an der ganzen Welt. Anspruch bedeutet Ablehnung. Können Sie diesen Gedanken zulassen?

Als Beziehungswesen ist der Mensch auf Beziehung zu anderen Menschen programmiert. Und Beziehungen enden ja nie. Sie ändern nur ihre Form. Deswegen sollten wir dem Konflikt nicht aus dem Weg gehen, denn das ist nur auf den ersten Blick bequem. Der Preis dieser Vermeidung ist immer das gelungene Leben! Ups. Geht es nicht eine Nummer kleiner? Nein. Vermeiden bedeutet, man weicht dem unangenehm empfundenen Zustand durch Unterlassung oder Umgehung aus. Kurzfristig mag das zwar positiv erscheinen, aber langfristig verbauen wir dabei jede Form von Entwicklung. Und zwar in uns als auch mit der anderen Person. Konfliktvermeidung ist Ohnmacht. Aus dieser Perspektive gesehen, sollten wir unsere Konflikte im Leben geradezu umarmen. Sie formen uns, weil wir uns an ihnen reiben. Deswegen haben Konflikte das Potential uns zu reiferen, zu «besseren» Menschen zu machen. Wir wechseln so von der Ohnmacht zur Macht.

Haben Sie einen Lieblingsfilm? Wie immer auch der Titel lautet; ich wette mit Ihnen, der Film ist vollgepackt mit Konflikten. Ein Film ohne Konflikte hat keine Spannung. Und ein Mensch ohne Konflikte ist langweilig oder eben schon tot. Die Fähigkeit bei Konflikten ruhig zu bleiben und mein Denken als meine wichtigste Stütze zu benutzen, habe ich in den 80er-Jahren im Film Karate Kid gelernt. Für diese Einsicht war ich bereits als Teenager dankbar. Nicht immer konnte ich den wertvollen Rat aber auch umsetzen. Ein wichtiger Umstand war mir eben lange nicht klar. Es ist entscheidend, wie wir unsere Konflikte in unserem Leben betrachten. Sehen wir sie negativ, dann sind meist Ärger, zwischenmenschliche Gewitter und Körner der Bitterkeit die Folge. Sehen wir die Konflikte positiv – als Trainingslager für die persönliche Entwicklung – dann kann viel Gutes in und um uns geschehen. Ganz nach dem Motto: Konflikte? Her damit!

Jeder Muskelathlet weiss: Nur regel-mässiges Training ermöglicht Fortschritt. Es hilft sehr, wenn ich mich aufs Training freue. Das Erleben und die Qualität ist dann anders. Dasselbe gilt für die Konflikte. Die eigenen Konflikte bejahen, machen die Qualität der Konflikte automatisch besser. Nur ein Gedankenathlet kann das verstehen. Sie sind einer? Ansonsten hätten Sie nicht bis hierhin gelesen. Gut für Sie! Ich wünsche Ihnen wertvolle Erfahrungen beim Training Ihrer Konflikte.

Eric-Pi Zürcher

War früher über Jahre als Personal Trainer tätig und arbeitet nun beim FC Thun als Konditionstrainer.

E-mail: eric-pi@bluewin.ch