Editorial Fitness Tribune – 173
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Interview Jochen Müller – Vom Spinning-Master zum Fitnesscenter-Gründer

jochen Mueller portrait fitness tribune
jochen Mueller portrait fitness tribune

In eigener Sache: Das Interview war bereits fertig geschrieben, als uns kurz vor Druckbeginn die Meldung erreichte, dass Jochen Müller die Migros Aare als Leiter des Direktionsbereichs Freizeit verlässt. Jochen Müller gibt die Leitung per sofort ab. Dieser wird ad interim durch Attila Kocsis, Direktionsbereichsleiter Klubschule, geführt.

Eigentlich wollte die FITNESS TRIBUNE mit dem geplanten Interview mit Jochen Müller den Eintritt der Migros ins Discount-Geschäft (Only Fitness) genauer beleuchten, was nun aufgrund der Gegebenheiten leider nicht mehr möglich ist.

Die FITNESS TRIBUNE wird zu einem späteren Zeitpunkt mit den neuen Verantwortlichen der Migros, dieses Thema wieder aufgreifen. Dieses Interview mit Jochen Müller erscheint deshalb in gekürzter und neutraler Form.

Jochen Müller war Mister „Spinning“ und über neun Jahre auf der ganzen Welt als Master-Instruktor für Schwinn unterwegs. 2005 eröffnete er zusammen mit Boris Caminada das FlowerPower in Biel. Als erste private Unternehmer verkauften die beiden ihr Center an die Migros.

Roger Gestach im Gespräch mit Jochen Müller:

RG: Jochen, herzlichen Dank, dass du dir die Zeit nimmst für dieses Interview. Du warst früher der „Spinning-König“ der Schweiz. Wie bist du überhaupt in die Fitnessbranche gekommen und dann zum Spinning?

JM: Während meines Sportstudiums in Magglingen habe ich alle Nebenfächer vertieft und besucht – ausser Fitness! Ich war sicher, dass ich nie in diesem Bereich arbeiten würde… Nach meinem Abschluss wollte ich mich ein Jahr lang voll dem Spitzensport widmen. Als Nebenbeschäftigung arbeitete ich in einem Fitnesscenter. Was soll ich sagen – heute bin ich nun schon seit über 25 Jahren in dieser Branche tätig. Never say never.

Als das Spinning-Programm aus Amerika nach Europa kam, arbeitete ich gerade ein paar Monate im Fitnesscenter. Das Potential hatte man dort rasch erkannt und wir durften bereits sehr früh Kurse anbieten. Meine Ausbildung habe ich bei Theres Mosimann gemacht, die ausserhalb der USA für das Programm verantwortlich war. Ein paar Wochen später wurde ich angefragt, ob ich nicht am Mastertrainer-Camp teilnehmen möchte, welches Johnny G. noch persönlich begleitete. Zum damaligen Zeitpunkt wusste ich ehrlich gesagt noch nicht viel über das Programm und die Idee. Das änderte sich während der Woche in Verbier, die ich mit 15 weiteren Kandidaten aus ganz Europa im Camp verbrachte. Diese Woche hat mein Leben nachhaltig beeinflusst. Es war der Beginn einer sehr spannenden Zeit und ich habe noch heute regelmässig Kontakt mit den Leuten von damals.

RG: Gibst du selber noch Spinning-Lektionen oder besuchst du noch Spinning-Kurse?

JM: Ich unterrichte seit Jahren keine fixen Lektionen mehr. Aber erst neulich habe ich zwei Lektionen an einem Event in Prag unterrichtet. Das mache ich ab und zu, auch um gute Freunde wieder zu treffen. Als Teilnehmer bin ich aber immer noch regelmässig dabei. Es gibt tolle Instruktoren in den FlowerPower, Fitnessparks und im Bernaqua.

RG: Du und Boris wart die ersten privaten Unternehmer, die ihr Fitnesscenter an die Migros verkauft haben. Nach euch verkaufte dann Armin Fach Activ Fitness an die Migros Zürich. Euer Verkauf war relativ kurz nach der Neueröffnung. Wieso habt ihr nach so kurzer Zeit schon verkauft, war dies von Anfang an so geplant?

JM: So etwas kann man kaum planen. Zum damaligen Zeitpunkt war die Migros Aare auf der Suche nach Expansionsstandorten. Schon kurz nach unserer Eröffnung kamen sie auf uns zu, aber es nicht direkt zu einer Einigung gekommen. Also haben wir weiter an unserem Konzept gearbeitet. Erst durch einen weiteren Zufall kamen wir ein Jahr später wieder zusammen und haben uns dann für einen gemeinsamen Weg entschieden.

RG: Als du noch Direktor bei der Migros Aare warst, habt ihr in Thun 2016 das TC Training Center von Tom Seger gekauft. Ansonsten seid ihr hauptsächlich durch neue Anlagen gewachsen. Die Migros Aare hat ein sehr grosses Wirtschaftsgebiet, hier hätte es sicher einige Übernahmekandidaten gegeben. Waren Übernahmen für dich nicht interessant oder aus welchem Grund seid ihr unter deiner Führung in erster Linie durch neue Anlagen gewachsen?

JM: Grundsätzlich prüften wir beide Möglichkeiten. Durch anorganisches Wachstum hätten wir schneller wachsen können am Markt. Eine Übernahme hat jedoch auch ihre Herausforderung. Meistens werden die Anlagen vom Eigentümer geführt, welche die Kultur im Center stark prägen. Auch mit unserer Positionierung konnte man nicht einfach jeden Club übernehmen. Deswegen kamen Übernahmen selten vor.

RG: Den privaten Fitnesscenterbetreiber in der Schweiz weht zukünftig ein „eisiger Wind“ entgegen, mit der Ketten- und Discountentwicklung die gerade stattfindet. Ich behaupte private Fitnessanbieter mit grösseren Studios in grösseren Einzugsgebieten werden es zukünftig sehr schwierig haben. Wie siehst du deren Überlebenschancen?

JM: Mit Markteintritten von grösseren Ketten professionalisiert sich auch die Fitnessbranche. Das ist im Grunde genommen gut. Damit kommen viele neue Mitglieder in Kontakt mit uns und weil die Konkurrenz auch grösser ist, müssen alle ihr Bestes geben. Das führt grundsätzlich zu einem besseren Image. Eine erste positive Erfahrung hilft, neue Kunden im „System“ zu behalten. Und diese sprechen auch davon und bringen neue potentielle Kunden. Viele privatgeführte Center machen ebenfalls einen sehr guten Job. Wenn sie sich klar positionieren und ggf. auch spezialisieren werden sie davon profitieren, da bin ich überzeugt. Als Einzelanbieter haben sie auch gegenüber Ketten Vorteile und viele spielen dies schon heute aus.

RG: Welche Fitnessformate und Konzepte haben aus deiner Sicht die grössten Zukunftschancen? Werden es kleine, mittlere oder grosse Studios sein, im Discount oder Premium-Bereich?

JM: Ich denke in erster Linie, dass Fitnessformate mit einer klaren Profilierung bessere Aussichten für eine erfolgreiche Zukunft mitbringen. Grundsätzlich werden die Discounter und Premium-Anbieter vom Wachstum am meisten profitieren, was jedoch nicht heisst, dass man mit einem klaren Konzept in mittlerem Segment erfolgreich sein kann. Mikro-Studios, also sogenannte Boutique-Fitness werden sicher auch in der Schweiz Fuss fassen, jedoch nicht in gleichem Mass wie in den USA oder England. Dafür ist die Schweiz schlicht zu klein. Ich kann mir auch gut vorstellen, dass wir in Zukunft viele neue Fitnesskonzepte auf dem Markt haben werden. Beispielweise in der Kombination mit der Game-Industrie oder mit Hilfe von neuen Technologien.

RG: Wie wird sich die Digitalisierung auf die Fitnessbranche auswirken?

JM: Die Digitalisierung wirkt sich in jeder Hinsicht auf uns aus. In unserem Privatleben, bei der Arbeit, im Alltag und natürlich wird oder ist die Fitnessbranche auch davon betroffen. Es gibt unheimlich viele Einsatzmöglichkeiten. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Betreuung und Beratung. Was früher quasi nur vor Ort möglich war, ist heute rund um die Uhr denkbar. Trainingsergebnisse oder Feedbacks werden live übertragen. Man kann auch einfacher Muster erkennen was wiederum hilft, die Betreuung individualisiert und wirkungsvoll zu gestalten. Damit kann die Beratung deutlich breiter gefasst werden. Ein Beispiel: Mit einem persönlichen Fitnesstracker weiss der Betreuer immer aktuell wie viele Kilometer einen Kunden mit seinem Laufschuh gelaufen ist. Bei einer gewissen Anzahl Kilometer, kann eine Empfehlung für einen neuen Laufschuh direkt an den Kunden geliefert werden. Das Fitnesscenter kann also in Zukunft auch einfacher Zusatzartikel an den Kunden verkaufen. Informationen über Kundenverhalten können in Zukunft mehr Wert sein, als die Einnahme einer Jahresgebühr.

RG: Du hast die Migros Aare Mitte März als Leiter Direktion Freizeit verlassen. Kannst du uns schon sagen, was du zukünftig machen wirst?

JM: Dafür brauchte es noch ein paar Wochen. Spruchreif ist es heute noch nicht.

RG: Herzlichen Dank für dieses Interview und viel Erfolg für die Zukunft.