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Interview Roy Salveter, Leiter Abteilung Prävention nichtübertragbarer Krankheiten des BAG

Roy Salveter ist der eigentliche Sportfachmann im Bundesamt für Gesundheit und leitet die Abteilung Prävention nichtübertragbarer Krankheiten. Er warnte unlängst vor Bewegungsarmut und Gewichtszunahme während der Zeit im Lockdown. Der ehemalige Elite-Radfahrer entwirft als Vertreter des BAG in der Arbeitsgruppe Sport Vorschläge zuhanden des Bundesrats. Er hat u. a. die Schutzkonzepte der Fitnessbranche abgesegnet.

Roger Gestach im Gespräch mit Roy Salveter:

RG: Herr Salveter, erzählen Sie doch unseren Lesern kurz Ihren Werdegang.

RS: Ich habe Biologie studiert und war elf Jahre Geschäftsführer einer sozialen NGO. Bis 1992 fuhr ich Bahnradrennen, war 1991 Schweizer Meister im Sprint. Später war ich als Nationaltrainer tätig. Seit 13 Jahren bin ich nun beim Bundesamt für Gesundheit als Leiter der Abteilung Prävention nichtübertragbarer Krankheiten tätig. Ich wohne in Bern und habe einen 16-jährigen Sohn, welcher intensiv Badminton spielt.

RG: Sie sind im BAG Leiter der Abteilung Prävention nichtübertragbarer Krankheiten. Was sind die Hauptaufgaben Ihrer Abteilung?

RS: Die Abteilung setzt die Nationale Strategie zur Prävention nichtübertragbarer Krankheiten (kurz NCD-Strategie) und die Nationale Strategie Sucht um und ist für den Vollzug des Betäubungsmittelgesetzes zuständig. Unsere Hauptaufgaben sind Bewegungsförderung, Tabakprävention, Suchtprävention und Suchthilfe, Erstellung von Ausnahmebewilligungen für Medizinal-Cannabis und vieles mehr. Unser Ziel ist es, dass die Menschen in der Schweiz ein gesundes Leben führen können.

Mehr als die Hälfte der nicht nichtübertragbaren Krankheiten (non-communicable diseases, kurz: NCD) könnten durch einen gesunden Lebensstil vermieden oder ihre Auswirkungen vermindert werden. Wir stellen wissenschaftliche Grundlagen bereit und setzen die Massnahmen der NCD-Strategie sowie der Strategie Sucht mit zahlreichen Partnern um.

RG: Wie hat sich die Arbeit in Ihrer Abteilung seit Corona geändert? Was sind die Aufgaben Ihrer Abteilung in der Pandemie?

1991 Schweizermeister im Sprint

RS: Wir haben verschiedene Phasen erlebt. Zu Beginn haben wir die Krisenorganisation unterstützt und gut 50 Personen unserer Schwester-Abteilung «Übertragbare Krankheiten» ausgeliehen. Einzelne sind auch heute noch in der Krisenorganisation tätig und sind z. B. zuständig in den Bereichen gesellschaftliche Auswirkungen. Uns war es ein grosses Anliegen, dass sich die Menschen auch während den Lockdowns ausreichend bewegen. So haben wir schon früh auf der BAG-Webseite Angebote zur Bewegungsförderung und Video-Trainings für Zuhause während des Lockdowns online gestellt. Der Bundesrat hat im Gegensatz zu zahlreichen Ländern stets darauf geachtet, dass man sich draussen immer bewegen konnte, einfach nur noch alleine oder zu zweit. Wir beobachten und analysieren die gesellschaftlichen Auswirkungen aufgrund der Schliessungen von z. B. Schulen und die psychische Gesundheit. Ganz klar waren Menschen mit Vorerkrankungen stärker von der Pandemie betroffen. Dies hat uns auch aufgezeigt, dass die Zusammenhänge zwischen übertragbaren und nichtübertragbaren Krankheiten grösser sind, als bis anhin angenommen.

Ich selber bin in der Krisenorganisation im BAG seit April 2020 zuständig für den Bereich Sport und stelle die entsprechenden Schnittstellen sicher. Beim ersten Öffnungsschritt haben das BASPO (Bundesamt für Sport) und wir gut 200 Sport-Schutzkonzepte innerhalb von drei Wochen geprüft und «plausibilisiert». Darunter auch mehrere aus der Fitnessbranche. Das war sehr speziell, denn zu Beginn hatte ja noch niemand Erfahrungen mit solchen Schutzkonzepten. Dies hat sich dann vom letzten Herbst mit den nächsten Einschränkungen bis heute weiter entwickelt. Ziel ist es jeweils, praktikable Lösungen zu finden, welche das Sporttreiben weiter ermöglichen, aber möglichst sicher und ohne Ansteckungen. Auch bei den Diskussionen zu den Grossanlässen für die Rahmenbedingungen sowie die Beurteilung der Schutzkonzepte wurden wir beigezogen. Und im Winter unterstützten wir die Skigebiete bei der Entwicklung der Schutzkonzepte.

RG: Wie hat sich Ihr persönlicher Arbeitsalltag seit Corona verändert?

RS: Ich persönlich war schon immer ein Verfechter von flexiblen Arbeitsmodellen, schon lange vor der Pandemie. In unserer Abteilung sind viele Mitarbeitende in einem Teilzeit-Pensum angestellt. Deshalb war für uns die Homeoffice-Pflicht nicht sonderlich herausfordernd. Allerdings wurde der soziale Austausch sehr vermisst. Es zeigte sich, dass ein Mix relevant ist für unsere Arbeit. Home-Office hat aber zumindest bei mir zu zusätzlichen Kilos geführt. Dies obwohl ich mehrmals pro Woche noch aufs Velo ging. Zusammengefasst wurden wir viel flexibler durch Corona, konnten schneller reagieren, was bei der Verwaltung aufgrund von Vorgaben nicht immer möglich ist, und können halt auch nicht mehr alles planen. Es muss alles möglichst schnell und unkompliziert über die Bühne gehen und angepasste Lösungen geben. Bei neuen Massnahmen müssen die Fragen und Anliegen so schnell wie möglich beantwortet werden, damit die Betriebe diese auch umsetzen können.

RG: Schwere Verläufe und Todesfälle gibt es meistens bei Personen mit Vorerkrankungen. Übergewicht hat einen sehr grossen Einfluss. Ein gesundheitsorientiertes Training, gutes Essen, Erholung und soziale Kontakte, sprich ein gesunder Lebensstil, stärken nachweislich das Immunsystem. Trotzdem hörte man in den ersten Wellen von der Regierung nur «Abstand halten, weniger Kontakte und Hygienemassnahmen». Und aktuell geht es nur ums Impfen. Prävention ist kein Thema! Wieso gab es von der Regierung oder vom BAG nie eine Pressekonferenz darüber, wie man das Immunsystem stärkt und somit vor schweren Verläufen schützt?

RS: Die wirkungsvollste Prävention bei einer Pandemie ist die drastische Reduktion der Kontakte, die wir mit den Lockdowns und der damit verbundenen Schliessungen erzielt haben. Als zweites wirksames Mittel sehen wir die Impfung. Diese verhindert schwere Erkrankungen und ermöglicht ein Leben ohne grosse Einschränkungen. Ein gesunder Lebensstil ist eine gute Basis, aber den grössten Schutz bietet eindeutig die Impfung. Nur mit einer hohen Impfquote können wir die Pandemie in den Griff kriegen. Wir verneinen nicht die Wirkung eines gesunden Immunsystems mit einem gesunden Lebensstil als Basis, im Gegenteil. Aber: Die Immunstärkung braucht Zeit und diese Zeit hat man in einer Pandemie nicht. So kurzfristig wären diese Massnahmen zu wenig wirkungsvoll gewesen! Zudem erkranken zahlreiche fitte und gesunde Menschen schwer am Corona-Virus. Und schliesslich darf man auch sagen, hatte die Schweiz im Vergleich zu anderen Ländern niemals so drastische Einschränkungen und erlaubte es, sich draussen zu bewegen.

RG: Der ganze Körper mit seinen vielen Muskeln braucht nicht einfach mehr Bewegung, sondern er benötigt ein Training mit einer ausreichenden Belastung. Vor allem dem Krafttraining kommt hier eine zentrale Bedeutung zu, nebst Ausdauer-, Koordinations- und Beweglichkeitstraining. Als Gesamtpaket reden wir hier vom Muskeltraining. Muskeltraining ist der Schlüssel zum körperlichen und seelischen Wohlbefinden und zum Erhalt und Aufbau einer körpereigenen Immunabwehr. Muskeltraining ist das effizienteste und günstigste Medikament, welches es überhaupt gibt! Training im Fitnesscenter ist deshalb alternativlos! Nirgends kann die Muskulatur so gezielt, so sicher, so effektiv und effizient trainiert werden wie im Fitnesscenter. Die Fitnesscenter sind deshalb systemrelevant und gehören nicht in die Kategorie Freizeit, sondern zum Bereich Gesundheit. Wie sehen Sie das?

1991 in voller Fahrt Schweizermeisterschaften Zeitfahren

RS: Zuerst einmal muss ich folgendes klarstellen: Die Fitnesscenter gehören und gehörten nie in die Kategorie Freizeit, sondern immer zur Kategorie Sport! Dies führte auch dazu, dass Fitnesscenter nach der ersten Schliessung einen Monat früher öffnen konnte als Freizeitanlagen. Sport im Allgemeinen ist halt nun mal nicht systemrelevant, auch wenn dieser ein wichtiger Faktor für die Gesundheit ist. Fitness ist nicht im engeren System Gesundheit. Dazu braucht es eine Zuordnung zu den registrierten Gesundheitsberufen und meist eine 1:1 Betreuung, wie z. B. in einer Physiotherapie. Diese Systematik findet man im Fitnesscenter im Normalfall nicht und deshalb ist es richtig, dass die Fitnesscenter dem Sport eingeteilt sind. Wir teilen die Einschätzung, dass Bewegung ein sehr wirkungsvolles Medikament ist, aber nicht bei dieser Pandemie. Wie ich schon betont habe: Das wirksamste Mittel in einer Pandemie ist die Unterbrechung der Infektionsketten, also die persönlichen Kontakte so schnell wie möglich einzuschränken sowie die Impfung!

RG: Die Fitnesscenter wurden während der Lockdowns ohne wissenschaftlich fundierte Grundlagen geschlossen. Fitnesscenter waren nie Corona-Hot-spots. Die Zertifikatspflicht wurde nun per 13. September eingeführt und die Tests sollen, gemäss heutigem Stand, ab Oktober selber bezahlt werden. Das heisst, wieder wird die Fitnessbranche «bestraft» und Kunden bleiben deshalb dem Training fern. Anderseits weiss man, dass die Leute während den Lockdowns zugenommen haben. Als Leiter Prävention müssten Sie eigentlich dafür kämpfen, dass alle Leute möglichst einfach Zugang zu den Fitnesscentern haben. Wie ist Ihre Meinung dazu?

RS: Das Corona-Virus wird über die Atemwege, also die Luft übertragen. Überall, wo Menschen zusammen kommen, finden Übertragungen statt. Es ist wissenschaftlich belegt, dass es hauptsächlich in Innenräumen zu Ansteckungen kommt. Verstärkte Übertragungen finden in Räumen statt, wo zahlreiche Menschen intensiver atmen, singen, sprechen. Also in Fitnesscentern, Restaurants und auch in Chören, ist die Ansteckungsgefahr erhöht. Zu sagen es gebe in Fitnesscentern keine Ansteckungen ist falsch. Die getroffenen Massnahmen sind also sicher nicht eine Bestrafung einer Branche, sondern entsprechen einfach der Tatsache, dass in Innenräumen die Ansteckungsgefahr wesentlich höher ist.

Als Leiter der Prävention setze ich mich dafür ein, dass sich die Leute sicher bewegen und trainieren können. Ich persönlich erachte deshalb das Covid-Zertifikat als ein tolles Instrument, um möglichst viele Ansteckungen vermeiden zu können und gleichzeitig einen weiteren Lockdown verhindern zu können. Der einzige Ausweg aus der Pandemie ist die Impfung! Und man sollte geimpfte Personen nicht mehr weiter einschränken. Wichtig ist jetzt deshalb, die Impfquote weiter zu erhöhen und weiterhin regelmässig zu testen.

RG: Sie haben sicher in dieser Krise mit einigen Exponenten unserer Branche zu tun gehabt. Wie erleben Sie die Fitnessbranche? Was hat die Branche gut gemacht, was nicht?

Ca. 1988 Kraftraum Uni Bern

RS: Die aktuelle Situation ist für uns alle schwierig. Die Fitnessbranche hat sich dafür eingesetzt, Schutzkonzepte zu erarbeiten, die in der Praxis umsetzbar sind. Dies war ein gemeinsamer Lernprozess. Ich habe mich sehr für die Fitnessbranche eingesetzt und die Schutzkonzepte jeweils sehr schnell geprüft. Ihre Bemühungen, aufzuzeigen, dass die Luftqualität in modernen Centern sehr gut ist, begrüsse ich sehr. Aber, ein tiefer CO2-Wert garantiert nicht, dass keine Viren in der Luft sind. Am meisten Sicherheit bringt uns deshalb das Zertifikat, da gibt es momentan keine Alternative.

In den Meetings welche ich mit der Fitnessbranche hatte, habe ich gespürt, dass zwischen dem SFGV und der IG Fitness unterschiedliche Philosophien, Vorgehensweisen und Vorstellungen vorhanden sind. Da die Ziele ja eigentlich die gleichen sind, bin ich auch überzeugt, dass wir alle am gleichen Strick und in dieselbe Richtung ziehen sollten. Niemand hat sich diese Pandemie gewünscht, niemand ist «Schuld» und keine Branche wird gezielt bestraft. Das Corona-Virus hat in ungeahnter Geschwindigkeit die weltweite Bevölkerung heimgesucht und unsere Gesellschaft an den Rand gebracht hat. Daher müssen wir gemeinsam Lösungen ausarbeiten, damit man gewisse Tätigkeiten möglichst sicher ausüben kann.

RG: Was muss die Fitnessbranche Ihrer Einschätzung nach verbessern, damit sie in der Politik eine höhere Beachtung hat?

RS: Ich kann nicht beurteilen, ob die Branche mehr Beachtung in der Politik braucht und wozu dies dienen könnte. Aber: Die Fitnessbranche zählt über eine Million Mitglieder in der Schweiz, was eine beachtliche Zahl darstellt. Die Fitnessbranche muss einen sicheren Trainingsbetrieb gewährleisten und damit bei den Mitgliedern Vertrauen schaffen. Und dies verdient viel Beachtung.

RG: Ich persönlich möchte nicht in der Haut der Regierung stecken, welche wegen Corona sehr schwierige Entscheidungen zu treffen haben. Wie erleben Sie das im BAG?

RS: Das BAG kümmert sich um die wissenschaftlichen Entscheidungsgrundlagen. Der Bundesrat muss dann all diese schwierigen Entscheidungen treffen und dabei ganz unterschiedliche Faktoren berücksichtigen (Gesundheitswesen, Wirtschaft, Gesellschaft, etc.) und dabei mit unterschiedlichen Annahmen ohne Garantien und ohne absolute Sicherheiten entscheiden. Ich finde, dass der Bundesrat ausgewogene Lösungen gesucht, gefunden und umgesetzt hat und somit unseren Respekt verdient. Wir sind in vielen Bereichen um Einiges besser durch die Pandemie gekommen als viele andere Länder in Europa.

RG: Sie sind kein Hellseher. Aber trotzdem die Frage an Sie: Wann ist Corona vorbei?

RS: Für mich ganz klar: Sobald genügend Personen auf der Erde gegen das Virus geimpft worden sind und das Gesundheitssystem nicht mehr an die Belastungsgrenze kommt. Aber, Corona wird wohl dauerhaft bleiben, daran werden wir uns gewöhnen müssen.

RG: Was sind Ihre persönlichen Learnings aus Corona?

RS: Wie ein Virus das gesellschaftliche Leben von einem Tag auf den anderen verändern kann! Es braucht viel Flexibilität, um mit einer solchen unsicheren Situation umzugehen. Das gilt für mich, aber natürlich auch für betroffene Unternehmen und die ganze Gesellschaft.

RG: Trainieren Sie selber im Fitness-center?

RS: Bis 1992 fuhr ich Bahnradrennen, war 1991 Schweizer Meister im Sprint. Da war zwei- bis dreimal Krafttraining pro Woche Pflicht und ich trainierte damals unter anderem im John Valentine Fitnessclub. Mittlerweile absolviere ich mein bescheidenes Krafttraining zu Hause.

RG: Was machen Sie in Ihrer Freizeit gerne?

RS: Auch in meiner Freizeit ist mir Sport sehr wichtig. Ich fahre gerne Mountainbike und spiele Badminton, liebe gutes Essen, schaue mir auch gerne einen guten Film an und natürlich mag ich es zu Reisen.

RG: Noch ein Statement zum Schluss?

RS: Das Beste aus der Situation machen und trotz allem positiv bleiben ist sehr wichtig!

RG: Herr Salveter, vielen Dank für dieses Interview.