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Können Einzelstudios zukünftig überleben? Teil IV

Teil IV

Ausgangspunkt dieser Artikelreihe war eine Podiumsdiskussion der FITNESS TRIBUNE anlässlich der Expo Basel mit dem Titel „Können Einzelstudios zukünftig überleben“. Dort war, obwohl der Markt boomt, die Stimmung verhalten. Es schien, als betrieben die Einzelstudios immer grösseren Aufwand, jedoch nicht für mehr Wachstum, sondern zur Abwendung von Verlusten. Oft ein Zeichen dafür, dass ein bestehendes Geschäftsmodell seinen Zenit überschritten hat. Als Reaktion darauf habe ich in drei Schritten einen Lösungsweg aufgezeigt, mit dem sich die Einzelstudios auch für die nächsten 20 Jahre zukunftsorientiert am Markt aufstellen können. Die drei Schritte lauten:

  1. Die Verschiebung der Wertschöpfung von der Vermietung von Trainingsgeräten auf die Trainerdienstleistung (Teil I dieser Artikelreihe).
  2. Als Voraussetzung dafür die Umstellung der Trainerdienstleistung auf ein skalierbares Geschäftsmodell (Teil II dieser Artikelreihe) sowie
  3. die Entwicklung kostenintensiver „Beratungs- und Betreuungsschleifen“ hin zu einem geldwerten „Bildungskonzept“, mit dem wirtschaftlich relevante Umsätze allein aus der Dienstleistung zu erzielen sind. (Teil III dieser Artikelreihe).

Die grösste Beachtung fand sicher der zweite Teil: Die Umstellung der Trainerdienstleistung auf ein skalierbares Geschäftsmodell. Aber das allein ist nicht die Lösung. Zwar würden die Clubs durch die vernünftige Organisation ihrer Betreuungsarbeit viel Zeit und Geld sparen, nur Geld verdienen liesse sich damit allein noch nicht. Um aus der Trainerdienstleistung Umsätze generieren zu können, muss sie sich auch inhaltlich ändern. Die bisherigen Traineraufgaben, namentlich die Einweisung an Trainingsgeräten, Übungskorrekturen und das Schreiben von Trainingsplänen mag den Trainern zwar als Trainerdienstleistung erscheinen, die Kunden jedoch empfinden das als Service. Mit diesen Serviceleistungen war in den letzten 30 Jahren kein Geld zu verdienen und damit wird auch in Zukunft kein Geld zu verdienen sein. Auch nicht, wenn dieses zeit- und kostenintensive Serviceangebot zukünftig in Gruppen stattfinden wird. Wer mit Trainerdienstleistung Geld verdienen möchte, der wird sie auch inhaltlich völlig neu erfinden müssen. Warum, das beschreibe ich in diesem vierten Teil meiner Artikelreihe:

Es besteht Einigkeit darin, dass die grossen wirtschaftlichen Erfolge der Fitness-Branche in den letzten 30 Jahren nicht durch die hohe Qualität der Trainerarbeit erzielt wurden, sondern durch eine Professionalisierung des Marketings. Zwar haben diese Strategien ihre Wirkung heute weitestgehend eingebüsst, damals aber wurden aufgrund der grossen Erfolge offenkundige Fehler in diesen Strategien billigend in Kauf genommen. Einer der Fehler lag darin, dass die Trainer ihre Kunden trotz steigender Mitgliedszahlen weiterhin einzeln ins Training einführten, obwohl die Versprechen, die man den Kunden gab, mit Einzelterminen gar nicht erfüllbar waren. Wann zum Beispiel käme ein Mitglied bei 1500 Mitgliedern das nächste Mal in den Genuss eines „Einzeltermins“, wenn alle Kunden das Angebot nutzen würden? Die Marketing-Strategien der Vergangenheit beruhten also entweder auf einem Rechenfehler oder man ging von vornherein davon aus, dass die Kunden die Termine nicht nutzen würden. In den 90er-Jahren nannte man das eine „Mischkalkulation“. Nun muss für eine Mischkalkulation allerdings auch die Mischung stimmen. Das heisst, dass die Rechnung nur aufgehen wird, solange die Einzelstudios insbesondere jene Klientel nicht verlieren, die ihre „Beratungs- und Betreuungsleistungen“ gar nicht in Anspruch nimmt. Eine paradoxe Situation, die über die letzten drei Jahrzehnte hinweg nur funktionierte, weil es zum Einzelstudio noch keine wirkliche Alternative gab. Heute jedoch geraten die Einzelunternehmen durch den Discount unter zunehmenden Wettbewerbsdruck und begehen dabei einen grossen Fehler, indem sie zur Rechtfertigung ihrer Preisstruktur ihre „Beratungs- und Betreuungsleistungen“ mehr und mehr zu ihrer „Kernkompetenz“ erklären. Aber ist es wirklich eine kluge Idee, eine Dienstleistung als Kernkompetenz auszuwählen, die für den Club wirtschaftlich nur funktioniert, wenn die Mehrzahl der Kunden sie nicht in Anspruch nimmt?

In der Wirtschaft ist die Idee einer „Kernkompetenz“ längst nicht mehr unumstritten, da sie durch die sich ändernden Kundenansprüche schnell in einer „Kompetenzfalle“ enden kann. Die Gefahr einer Kompetenzfalle droht immer dort, wo sich ein Unternehmen – oder eine ganze Branche – unter zunehmendem Wettbewerbsdruck mehr und mehr auf diese eine „Kernkompetenz“ verlässt. Die Falle schnappt zu, wenn eine kritische Masse an Kunden genau diese Leistungen plötzlich nicht mehr als notwendig erachtet. In der Falle sitzt das Unternehmen dann, weil es keine Alternative mehr hat, um auf diese neue Situation noch angemessen reagieren zu können. Entweder brechen ihm die hohen Personalkosten das Genick oder es entlässt seine Mitarbeiter und verliert damit genau die Kompetenz, mit der es sich seinen dauerhaften Wettbewerbsvorteil erhoffte. Keine Alternativen mehr zu haben heisst, in der Falle zu sitzen.

Um nicht in die Kompetenzfalle zu tappen, reicht es nicht aus, die herkömmliche Trainerarbeit in Gruppen durchzuführen, denn die übliche Form der „Kundenberatung und -betreuung“, die vornehmlich das „Erstellen von Trainingsplänen“ und „Geräteeinweisungen“ umfasst, erfüllt alle Voraussetzungen, um in einer Kompetenzfalle zu enden. Die Einweisungen an den Geräten – insbesondere an elektronischen Geräten – werden sich zum Beispiel deshalb erübrigen, weil wir spätestens seit Steve Jobs wissen, dass elektronische Lösungen darauf ausgelegt sind, selbsterklärend zu sein. Warum sollte ein Unternehmen Geld in elektronische Geräte investieren, wenn die monatlichen Kosten für die Einweisung an den Geräten weit höher liegen als die Kosten für die Leasingrate der Geräte? Niemand muss einem 15-Jährigen heute noch sein Handy, seinen Computer oder ein Navigationsgerät erklären. Und die „Digital Natives“ von heute werden die „Fitness Natives“ von morgen sein. An selbsterklärenden Trainingsgeräten zu trainieren wird für sie so selbstverständlich sein, wie es der Umgang mit ihrem Handy ist. Einen Trainer benötigt dafür niemand mehr.

Noch entscheidender ist es, dass die Einzelstudios nicht im Erstellen von Trainingsplänen ihre Kernkompetenz sehen. Denn der Internet-Markt, mit dem sie dort in Wettbewerb treten, folgt anderen Gesetzen. Bisher waren die Einzelstudios an Wettbewerber gewöhnt, die ein ähnlich lineares Wachstum aufwiesen wie sie selbst. Auf den neuen Märkten ist der Fitnessclub jedoch mit Geschäftsmodellen konfrontiert, die wie ein Distanzschuss funktionieren: Die Kugel trifft, bevor man den Knall hört. Die Wirtschaft bezeichnet das als disruptive Geschäftsmodelle. Laut Wikipedia handelt es sich um „Innovationen, die die Erfolgsserie einer bereits bestehenden Technologie oder Dienstleistung teilweise ersetzen oder vollständig vom Markt verdrängen.“ Die neuen Märkte entstehen dabei „für die etablierten Anbieter unerwartet und sind zuerst, besonders aufgrund ihres zunächst kleinen Volumens oder Kundensegmentes, uninteressant. Sie können jedoch im Zeitverlauf ein starkes Wachstum aufweisen und vorhandene Märkte bzw. Dienstleistungen teilweise oder auch komplett verdrängen.“ Eine derart explosionsartige Entwicklung nennt die Wirtschaft exponentielles Wachstum.

Ein disruptives Geschäftsmodell mit exponentiellem Wachstum ist das Geschäftsmodell des Bloggers. Er verkauft für kleines Geld Trainingspläne an einen riesigen Markt und erzielt hohe Gewinne dort, wo der Einzelclub nur Kosten produziert. Als exponentiell bezeichnet man das Wachstum im Online-Geschäft, weil es sich eben gerade nicht um einen neuen Wettbewerber handelt, sondern der Wettbewerb seit Jahrzehnten besteht. Denn wenn sich heute die Kids ihre Trainingspläne für kleines Geld aus dem Netz herunterladen und ihre Helden nicht die Trainer, sondern die Blogger sind, hat das eine lange Tradition. Die Blogger der 80er-Jahre waren unter anderem die Sportrevue und die Sport & Fitness. Dort holten sich die Ambitionierten von damals ihre Trainingsanregungen schon genauso wie es heute fast alle Kunden im Internet tun. Damals war der Wettbewerb für die Einzelclubs  jedoch „aufgrund seines zunächst kleinen Volumens oder Kundensegmentes uninteressant.“ Heute jedoch verleiht das Internet diesen Konzepten die Fähigkeit zu exponentiellem Wachstum und lässt das Schreiben von Trainingsplänen durch Fachkräfte im Fitnessclub zu einem existentiellen Fehler werden. Ein Fehler, auf den ich 1993 in meinem Buch „Das Trainerkonzept“ bereits hingewiesen habe. Ich schrieb dazu:

In der Regel erhalten die Mitglieder ihr Trainingsprogramm vom Trainer. Fortan stehen deren Programme im Wettbewerb zu vielen anderen Trainingsprogrammen, die die Mitglieder aus unterschiedlichsten Quellen beziehen; aus Zeitschriften, [. . .], aber auch Fachbücher und Videoproduktionen liefern unterschiedlichste Ideen zum Training. [. . .] Aus eben diesem Grunde gehört das Schreiben von Trainingsprogrammen nicht in den Tätigkeitsbereich des Trainers. Der Trainer ist vielmehr derjenige, der für seine Mitglieder die Voraussetzungen schafft, sich das eigene Programm selbst zu schreiben. [. . .] Die Hauptaufgabe des Trainers besteht also nicht im Schreiben, sondern im Beurteilen von Programmen.

Andreas Bredenkamp, Das Trainerkonzept, 1993, S. 126 – 127

Offensichtlich ist also auch das „Schreiben von Trainingsplänen“ als Kompetenz –  geschweige denn als Kernkompetenz – ungeeignet. Jede x-beliebige Fitness-App liefert spannende Alternativen – und dieses heute schon vielfältige Angebot an Apps wird nicht etwa irgendwann vom Markt wieder verschwinden, sondern weiterhin exponentiell wachsen.

Ich hoffe, ich konnte mit diesem 4. Teil meiner Artikelreihe zeigen, dass es nicht reichen wird, die Trainerdienstleistung durch Skalierbarkeit effizienter zu gestalten, sondern dass es zudem nötig sein wird, sie zur Vermeidung einer Kompetenzfalle auch inhaltlich neu aufzubauen. Die Trainerdienstleistung der nächsten 20 Jahre wird erst dort beginnen, wo die Menschen die entsprechenden Voraussetzungen bereits haben. Dort, wo sie bereits wissen, wie man die Geräte bedient, wo sie die Übungen beherrschen und sich ihr Trainingsprogramm selbst schreiben können – oder wahlweise auf eine geeignete, spannende App zurückgreifen dürfen. Für die Trainer werden Geräte und Apps nichts anderes darstellen, als Werkzeuge, die sie für ihre Arbeit nutzen.

Mir selbst soll meine Artikelreihe für eine richtige Erwartungshaltung dienen, mit denen die Teams meine Schulungen besuchen. Mir geht es nicht darum, ihre Arbeit in Frage zu stellen, sondern konstruktiv Lösungen für die hier beschriebenen Herausforderungen zu liefern.

Andreas Bredenkamp

Jahrgang 1959

Studierte Germanistik und Sport, Autor des Buches „Erfolgreich trainieren“ und des „Fitnessführerscheins“