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Können Einzelstudios zukünftig überleben?

Zu diesem Thema fand in Basel anlässlich der FitnessEXPO eine Podiumsdiskussion statt. Aufbruchsstimmung wehte einem dort nicht entgegen. Hier wie anderswo schauen die Einzelstudios eher sorgenvoll in die Zukunft. Warum?

Wenn es unser Geschäft wäre, im Streaming-Zeitalter Röhrenfernseher, Plattenspieler oder Musikkassetten zu verkaufen, könnte das Anlass zur Sorge geben. Aber das ist ja nicht der Fall. Der Gesundheitsmarkt ist einer der am stärksten boomenden Wachstumsmärkte. Die Menschen fangen gerade erst an zu verstehen, dass ein regelmässiges Muskeltraining für die Erhaltung der Gesundheit und einer hohen Lebensqualität im Alter unverzichtbar geworden ist. Besser hätte sich der Markt für die Einzelstudios gar nicht entwickeln können.

Natürlich – und das ist die Kehrseite der Medaille – locken Wachstumschancen auch Wettbewerber an. Es war nicht zu erwarten, dass ein derart interessanter Zukunftsmarkt den Einzelstudios überlassen bliebe. Insofern waren die vergangenen 50 Jahre sicher „die goldenen Zeiten“ der Fitnessbranche. In Zukunft wird der Wettbewerb härter werden.

Es ist schon paradox: Gerade weil der Gesundheitsmarkt boomt, ist nicht zu erwarten, dass sich die Marktsituation im Sinne der Einzelstudios noch einmal ändern wird. Wenn sich etwas ändern muss, dann werden es die Einzelstudios sein.

Nun ist aber die Einsicht, etwas ändern zu müssen, noch keiner Branche leicht gefallen. In seinem Buch „Sommer 1927“ beschreibt Bill Bryson, ein brillanter Erzähler, wie aus eben diesem Grunde in den 20er-Jahren das Schicksal die Kino-branche ereilte:

„1927 veröffentlichte ein Branchen-Insider namens Harold E. Franklin ein Buch mit einem langweiligen Titel, aber einer beunruhigenden Botschaft. In „Motion Picture Theater Management“ fasste er mit klinischer Präzision die düstere wirtschaftliche Situation der Kinobranche zusammen. Die Miete für einen typischen neuen Filmpalast verschlang ungefähr ein Drittel der Bruttoeinnahmen und für Werbung wurde noch einmal die Hälfte davon fällig. Orchester verringerten die Einnahmen um weitere 15 Prozent, und für Live-Auftritte gingen in der Regel um die sieben Prozent ab. Wenn man dazu noch die Fixkosten aus Personalgehältern, Nebenkosten, Instandhaltungskosten und Grundsteuer in die Kalkulation einbezog, betrug der Gewinn auch im besten Fall nie mehr als einen Bruchteil der Bruttoeinnahmen. Wenngleich es wirtschaftlich riskant – oder vielmehr unsinnig – war, redeten sich die Betreiber irgendwie ein, dass die Lösung darin bestand, wie bislang weiterzumachen.“

„Wie bislang weiterzumachen“, das war noch nie eine gute Idee. In der Lebensmittel- und der Elektronikbranche haben wir selbst noch miterlebt, wo die Einzelunternehmen bleiben, wenn das grosse Kapital auf den Markt strömt. Oft bleiben für den Einzelnen dann noch nicht einmal mehr die Branchenbezeichnungen übrig.

Wer spricht denn heute noch von einem „Warenhaus“? Erinnern Sie sich an den Begriff noch? Heute heisst das Warenhaus Amazon. Es spricht auch keiner mehr von „Lebensmittel- oder Elektronikgeschäften“. Man geht zu „ALDI“ oder in den „MEDIAMARKT“. Schon fast völlig in Vergessenheit geraten ist die „Drogerie“. Und womöglich wird es auch nicht mehr lange dauern, bis keiner mehr von einem „Fitnessclub“ reden wird. Man geht dann einfach zu „McFit“.

Das alles ist so vorhersehbar, dass sich jeder jetzt schon ausrechnen kann, wo er bleiben wird, wenn er glaubt, es sei eine gute Idee, einfach „wie bislang weiterzumachen“.

Jeder, der in den letzten 30 Jahren einen Fitnessclub eröffnet hat, schien davon ausgegangen zu sein, die Entwicklung in der Fitnessbranche folge einem vorgegebenen Plan, und machte es den anderen nach. Leider gab es keinen Plan! Die Entwicklung in der Fitnessbranche ist alles andere als die Summe kluger Entscheidungen. Aber selbst nach einem warnenden Fingerzeig des Oberlandesgerichts Hamm im Jahre 1992, redeten sich die Betreiber der Einzelstudios weiterhin ein, die Lösung bestehe darin, „wie bislang weiterzumachen“. Im gleichen Jahr – vor nunmehr 25 Jahren – habe ich in meinem Buch „Das Trainerkonzept“ die eigenwillige Entwicklungsgeschichte der Fitnessbranche bis zu eben diesem Urteil des OLG Hamm nachgezeichnet, um an ihr aufzuzeigen, dass „einfach so weitermachen“ auf gar keinen Fall eine gute Idee sein kann:

„[…] Die ersten Sportstudios wurden gegründet, weil Bodybuilder sich selbst ein paar Hanteln in den Keller legten und Freunde mittrainieren liessen. Irgendwann wurde für all die Freunde der Keller zu klein und eine kleine Halle musste her. Aber wer sollte das bezahlen?

Die Rechnung war schnell aufgemacht:

Jeder Trainierende zahlt monatlich einen kleinen Obolus – der damals schon nicht unter 40 DM lag – und darf dann die kleine „Sportanlage“ nutzen.

Man entwarf einen unproblematischen Mitgliedsvertrag, bei dem es sich rechtlich um einen Mietvertrag handelte, und schon bald wurden über diese Verträge nicht nur die Kosten gedeckt, sondern Geld verdient. Irgendwann verdienten die Inhaber der ersten kleinen Studios soviel Geld, dass sie allein von ihrem Sportstudio existieren konnten.

So gaben die ersten Studioleiter ihr Debüt. Sie waren keine Geschäftsleute, sondern Sportler. Ihr Studioangebot umfasste neben dem Hanteltraining eventuell noch einen Nassbereich. Mehr nicht. Um die wenigen Mitglieder kümmerten sie sich selbst. Extra bezahlen liessen sie sich diese Arbeit nicht. Und dabei ist es grösstenteils bis heute geblieben.

[Zur Erinnerung: Im Text meint „heute“ Ende der 80er Jahre!]

Inzwischen wuchsen die Mitgliedszahlen und trotz erheblicher Mängel in der Kalkulation der Preise waren beachtliche Summen zu verdienen. So beachtlich, dass andere aufzuhorchen begannen. Sie lenkten das Augenmerk der Presse auf die Emporkömmlinge, und schon bald zogen Berichte über unhaltbare Zustände in den „Folterkammern der Gegenwart“ wie eine Seuche durch die Medien. Sie gipfelten in der Behauptung, in Fitnessstudios würden „Kranke zuhauf produziert“. Von überallher wurde die Frage laut:

„Wer kümmert sich in den Sportstudios eigentlich um die Sportler?“

Genau an dieser Stelle machten die Studiobetreiber ihren entscheidenden Fehler. Sie sagten:

„Na, wir. Wir kümmern uns um unsere Mitglieder. Das haben wir ja schon immer getan.“

Und damit hatten sie aus ihrer unbezahlten Hobbytrainertätigkeit eine Verpflichtung gemacht. Die Verpflichtung nämlich, ihren Mitgliedern die Trainer kostenlos bereitzustellen. Denn kaum war das geschehen, stiegen die Ansprüche der Mitglieder. Plötzlich reichten die gutgemeinten Trainingsanweisungen des netten Studioleiters von nebenan nicht mehr, sondern der Ruf nach ausgebildeten Trainern, Sportlehrern, Krankengymnasten, Physiotherapeuten, ja Ärzten wurde laut. So war über Nacht aus der reinen Vermietung eines Fitnessraumes ein Dienstleistungsunternehmen geworden.

Was die Studioleiter sich damit angetan hatten, das ist einem neueren Richterspruch des Oberlandesgerichts Hamm zu entnehmen:

Den Kunden eines Fitnesscenters „wird üblicherweise ein Formularvertrag zur Unterschrift vorgelegt, wonach sie für eine bestimmte Zeit fest an das Studio gebunden sind. Das Studio beharrt auch dann auf Einhaltung des Vertrages, wenn der Arzt beim Kunden die weitere Sportausübung verbietet. Das Gericht hatte in der Vergangenheit solche Abmachungen als Mietverträge qualifiziert und darauf verwiesen, beim Mietvertrag sei es völlig unerheblich, ob der Mieter bei seinem Gesundheitszustand von der überlassenen Sache Gebrauch machen könne oder nicht. Von dieser Linie ist das Oberlandesgericht Hamm abgewichen (17U 2/92): Der Inhaber des Studios müsse seine Kunden – vor allem Anfänger – wegen der richtigen Benutzung der Geräte beraten und sie beim Training überwachen. Diese Leistungen bestimmten den Vertrag und nicht die Gebrauchsüberlassung der Geräte (Dienstleistungsvertrag).“

Ludwigsburger Kreisblatt vom 30. Oktober 1992, zitiert im Pressespiegel des DSSV.

Spätestens nach dieser richtungsweisenden Entscheidung des OLG Hamm wäre es für die Fitnessbranche an der Zeit gewesen, nicht einfach so weiterzumachen, sondern einen längst überfälligen Schritt auch in ihren Geschäftsbedingungen vorzunehmen:

Die saubere Trennung von Vermietung und Dienstleistung!

Denn wenn von diesem Zeitpunkt an rein rechtlich die „Dienstleistung“ den Vertrag bestimmte „und nicht die Gebrauchsüberlassung der Geräte“, machte es spätestens ab jetzt auch keinen Sinn mehr, den eigentlichen Vertragsgegenstand zu verschenken.

Eine einzige Frage hätte gereicht, um die Entwicklung in die richtige Richtung zu lenken:

„Möchten Sie unsere Anlage nutzen oder möchten Sie auch von unserem Wissen profitieren?“

Mit dieser Frage hätten die Kunden die Dienstleistung als separates Angebot wahrgenommen. Damit hätte die Branche zum einen durch Vermietung, zum anderen durch den separaten Verkauf der Dienstleistung über zwei Stellschrauben verfügt, mit denen sie auf die sich immer wieder ändernden Rahmenbedingungen des Marktes jederzeit gut vorbereitet gewesen wäre. Aber das unterblieb. Man machte stattdessen einfach weiter wie bisher. Auch seit den 90er Jahren generieren die Einzelstudios ihren Umsatz vor allem durch die „Gebrauchsüberlassung der Geräte“ und erzielen Wachstum vorwiegend durch den Zuwachs an Mitgliedern und die Erhöhung der Beiträge. Und weil die Branche deshalb seit Jahrzehnten quasi geschlossen die Beiträge erhöhte, stiess sie im unteren Preissegment die Tür auf, in die der Discount nur noch hineinzugrätschen brauchte. Den Discountern reichte es, sich kurzerhand von dem Ballast zu lösen, von dem sich die Einzelstudios nicht zu trennen wagten: Sie kappten die Dienstleistung! Mehr war gar nicht nötig, um die Einzelstudios vor ein Problem zu stellen.

Man kann es drehen und wenden wie man will: Der Discount ist ein hausgemachtes Problem. Und für die Einzelstudios ist der Schritt zurück – die Beiträge senken – kaum mehr möglich. Trotzdem haben die Einzelstudios eine Zukunft.

Ich empfehle ihnen die Verschiebung der Wertschöpfung.

Mit der „Gebrauchsüberlassung der Geräte“ stehen sie in einem Wettbewerb, den sie nicht gewinnen können. Anders sieht es aus, wenn sie zukünftig ihr Geld aus der Trainerleistung generieren. Sofort wird sich ihnen ein Markt eröffnen, der weit über die Grenzen ihres eigenen Fitnessclubs und ihrer eigenen Mitglieder hinausreichen wird. Dann nämlich wird ihr Markt alle Menschen umfassen, die wissen wollen, wie man sich durch Muskeltraining die Gesundheit und eine hohe Eigenverantwortlichkeit bis ins hohe Alter erhalten kann. Und dieser Markt wird so gross sein, dass er in seinem gesamten Umfang noch gar nicht absehbar ist.

Ich wünsche der Branche, dass ihnen die Verschiebung der Wertschöpfung gelingen wird.