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Lernende sind unsere Zukunft

Die Lehre zur Fachperson Bewegungs- und Gesundheitsförderungen mit EFZ ist länger «auf dem Markt». Die Branche hat es geschafft, mit der Lehre, dem Fachausweis und der höheren Fachprüfung eine stringente Ausbildungsperspektive zu schaffen. Das ist gut. Es braucht aber noch grosse Anstrengungen der ganzen Branche, damit diese Perspektiven in der Wahrnehmung und Auswirkung positiv sind. In diesem Aufsatz folgt eine persönlich gefärbte Geschichte zu den Erfahrungen mit Lernenden.

Das heisse Telefon im Juni 2020

Ich sitze auf dem Balkon an einem schönen Junitag im letzten Jahr beim Kaffee. Nichts ahnend, was das überraschende Telefonat für Folgen haben wird. Sinngemäss kam folgende Anfrage: «Wir benötigen für das neue Schuljahr an der Berufsschule in Ziegelbrücke mit Beginn im August einen Berufskundelehrer für das Fach Marketing, beinhaltend Marketing und Kommunikation. Bist Du dabei?»

Tiefes durchatmen und erste Überlegungen, ob ich das wirklich will. Die Passerelle zur Lehrerlaubnis an Berufsschulen hatte ich ja schon. Erfahrungen im Unterrichten habe ich auch von der Hochschule bis zu den Quereinsteigern zum Fitness-Instruktor/in bei den Klubschulen der Migros. Viele spannende Jahre mit unterschiedlichen Menschen, allerdings in aller Regel in einer Ausbildung auf dem zweiten Bildungsweg. Aber Lernende, diese im Teenageralter stehenden Jugendlichen, welche sich heute sehr früh entscheiden müssen für die erste Berufsrichtung und noch vieles andere im Kopf haben. Ich habe mich für ein überzeugtes ja entschieden, diese Herausforderung anzunehmen.

Vom Dozenten zum Lernenden

In der Vorbereitung und später im Unterricht habe ich die Perspektive des Lernenden eingenommen. Ich wurde selbst wieder zum Lernenden. Grundlagenunterricht nach der obligatorischen Schulzeit ist etwas anderes wie das Unterrichten von Studierenden oder Erwachsenen. Ich bin (wieder) zum Lernenden geworden – offen, neugierig und gespannt, was da auch mich zukommen wird.

Die gewerblich industrielle Berufsschule Ziegelbrücke (GIBGL)

«Die Zukunft beginnt bei uns.» Mit diesem Claim wird man auf der Homepage der GIBGL empfangen. Die GIBGL ist eine flexible und innovative gewerbliche industrielle Berufsfachschule, was sie mit der Integration der Lehre zum/zur Fachmann/-frau Bewegungs-/Gesundheitsförderung EFZ bewiesen hat. Rektor Roger Cuennet ist offen für Neues und sehr sport- und bewegungsaffin. Die GIBGL ist mit ihrer Ausrichtung Teil des dualen Ausbildungssystems für junge Menschen, was nicht ausschliesst, dass auch ältere Personen im Rahmen einer Zweit- oder gar Drittlehre hier anzutreffen sind. Sie sieht sich als Partner von Wirtschaft, Lehrbetrieben und den Eltern. «Unsere Aufgabe ist es, junge Menschen zu berufsfähigen, erfolgreichen und gesellschaftsverantwortlichen Persönlichkeiten zu entwickeln. Wir fördern sie gemäss ihren Begabungen und stärken ihren Leistungswillen. Das Bewusstsein für eine gesunde und umsichtige Lebensgestaltung sowie der respektvolle Umgang miteinander sind zentrale Bestandteile der Aufgabenerfüllung.» (Leitbild GIBGL mit Online-Zugriff am 22.5.2021).

Der Standort der GIBGL ist zentral beim Bahnhof Ziegelbrücke, verfügt über einen grossen Parkplatz und eine sehr gute Anbindung an den öffentlichen Verkehr (öV). Die GIBGL besticht durch die architektonische Einheit, platzt derzeit aber aus allen Nähten. Ein Projekt auf einer Nebenparzelle ist in Planung und würde helfen, die etwas in die Jahre gekommene Infrastruktur auf den neusten Stand zu bringen.

In der Branche Sport und Bewegung ist es üblich, sich per Du anzusprechen. An der Berufsschule ist die Regel klar – per Sie und mit Vornamen für mich gegenüber den Lernenden und per Sie mit dem Nachnamen für die Lernenden dem Lehrkörper gegenüber. Für beide Seiten ungewohnt. Man ist anpassungsfähig und niemand regt sich auf, wenn das Du doch einmal für einen Augenblick Überhand gewinnt.

Die Lernenden Fachpersonen Bewegung- und Gesundheitsförderung

Es hat mahnende Stimmen gegeben, ob ich mir das antun will. Von wegen keinen Anstand, kein Interesse oder «Chillen-Mentalität» der Jugendlichen. Ich darf sagen, nichts davon ist eingetreten.

Klar, nicht alle sind jeden Tag zu 100 Prozent bei der Sache während dem Berufsschulalltag. Das war bei uns genauso. Es gibt in diesem Alter immer etwas, das noch wichtiger ist als der Lernstoff, der gerade vermittelt wird, seit Social Media sowieso. Und bei einigen Lernenden rasselt der Wecker bereits um fünf Uhr in der Frühe, um pünktlich im Unterricht zu sein. Das gibt lange Tage und kurze Nächte.

Ich habe junge Menschen getroffen, welche sehr interessiert sind, Neues kennenzulernen. Die gespannt zuhören, wenn Interessantes auf sie zukommt. Welche Fragen stellen, durchaus auch Kritische, die mich fordern. Junge Menschen, die hoch anständig sind und sich an die gemeinsamen Spielregeln halten. Wir haben ein wertschätzendes Klima von gegenseitigem Respekt.

Ich verstehe Unterrichten als Zwei-Weg-Kommunikation. Ich lerne täglich von den jungen Menschen neue Dinge, wenn Sie mir «Jugend-slang» erklären oder wenn Sie von den Erfahrungen im Betrieb sprechen. Ich habe einige Sequenzen gemacht unter dem Aspekt «eigenverantwortliches Lernen», wo ich als Coach und nicht als Lehrer fungierte. Meine Skepsis war schnell verflogen – die Resultate waren gut bis sehr gut. Die Lernenden sind bereit zu leisten. Viel zu leisten, wenn man ihnen das nötige Vertrauen gibt.

Bildungsplan und ÜK‘s

In der Welt der Erwachsenenbildung hast Du immer noch viel Stoff am Ende der Zeit. Ein Phänomen, welches ich an der Berufsschule nicht angetroffen habe. Der Bildungsplan ist offen und lässt vieles zu. Der vorgesehene Zeitrahmen ist grosszügig. Was neue Möglichkeiten in den kommenden Jahren zulässt, den Unterricht noch spannender und praxisbezogener zu machen. Die Kultur an der GIBGL lässt viel Raum für kreative Ideen. Das schätze ich und die Zusammenarbeit mit dem gesamten Lehrkörper und dem Rektorat sind toll.

Die Rückmeldungen der Lernenden zu den ÜK‘s sind teilweise zwiespältig oder gegensätzlich. Da gibt es Verbesserungspotenzial auf der inhaltlichen und methodischen Ebene. Eine Lernende hat das so umschrieben: «Eine Art Weiterbildung im Schnelldurchlauf, welche sehr spannend ist.» Das praktische Üben wird dabei besonders geschätzt.

Wenn wir es gemeinsam schaffen, also Lehrbetrieb, Berufsschule und ÜK-Organisation den Lernenden spannende Inputs und Inhalte zu liefern, werden wir motivierte Fachpersonen haben, welche mit hoher Fach- und Sozialkompetenz die Lehrzeit abschliessen und die Branche in der Zukunft prägen werden.

Fazit nach einem Jahr Berufsschule

Das erste Jahr ist praktisch zu Ende. Ich freue mich auf weitere Erfahrungen und werde die nötigen Optimierungen vornehmen. Die Lernenden haben mich positiv überrascht, ich konnte mit ihnen zusammen viele spannende Unterrichtsstunden erleben. Wenn dies auch bei den Lernenden so wahrgenommen wird, haben beide Seiten gewonnen.

Fragen an Valentin Lüthi

Valentin (Jahrgang 1993) ist ehemaliger Eishockeprofi mit Stationen in Langnau, Rapperswil, Biel und La Chaux-de-Fonds. Er hat eine Erstausbildung absolviert und war nicht nur Künstler mit dem Eishockeystock, sondern ist es auch mit dem Bleistift als Zeichner.

Warum machen Sie diese Lehre als ehemaliger Profispieler im Eishockey?

Ehrlich gesagt, eher zufällig. Nach vier suboptimalen Hüftoperationen und dem Beenden meiner Karriere wollte ich zuerst in die Physiotherapie. Nach diversen Gesprächen habe mich dagegen und für die Berufslehre Bewegung- und Gesundheitsförderung entschieden. Hier kann ich die Bereiche Sport und Gesundheit kombinieren.

Welchen Eindruck haben Sie nach (fast) einem Jahr?

Erfrischend. Ich bin sehr positiv überrascht und bin ein grosser Fan dieser Lehre.

Wie beurteilen Sie die Berufskundefächer im ersten Jahr?

Die meisten finde ich sehr spannend und auch sehr informativ. Das Fach Englisch ist in meinem Fall etwas speziell aufgrund der Vorkenntnisse.

Wie beurteilen Sie die ÜK‘s im ersten Jahr?

Diese müssen halt gemacht werden. Im Grossen und Ganzen bin ich ein wenig enttäuscht. Für mich persönlich waren die Hälfte gut, die andere Hälfte könnte man anders gestalten.

Fragen an Benluca Seiler

Benluca (Jahrgang 2005) ist ein talentierter Skifahrer. Sein grosses Ziel: einmal im Weltcup die grossen Strecken wie beispielsweise das Kuonisbergli in Adelboden fahren zu können. Dafür tut er alles und bringt Sport und Lehre unter einen Hut.

Warum haben Sie sich für diese Lehre entschieden?

Nach dem Schnuppern in einem Gesundheitscenter war für mich klar – ich wollte diese Lehre unbedingt machen. Der wichtigste Grund war aber meine «Ski-Lehre». Ich kann gut und einfach den nötigen Freiraum für das Skifahren beim Ausbildungsbetrieb beantragen. Und kann meine dortigen Erfahrungen in die Lehre übertragen und umgekehrt.

Welchen Eindruck haben Sie nach (fast) einem Jahr?

Eine ziemlich Guten. Ich kann Lehre und Sport gut kombinieren. Es ist sehr spannend, Menschen zu helfen und zu begleiten bei ihren Trainings; und diese für die Trainierenden interessant zu gestalten.

Wie beurteilen Sie die Berufskundefächer im ersten Jahr?

Ich habe jetzt schon ein viel umfangreicheres Wissen und kann es gut im beruflichen und privaten Leben anwenden. Mit gefallen die Lehrer hier, weil sie den (Leistungs)Sport verstehen, was viele positive Auswirkungen auf meine Skikarriere hat. Ich darf mir Tipps holen und erhalte auf meine Fragen immer eine Antwort.

Wie beurteilen Sie die ÜK’s im ersten Jahr?

Wir konnten dort richtig gut an den Geräten arbeiten und üben. Da konnte ich viel für das Arbeiten im Geschäft mitnehmen, aber auch für mein persönliches Training.

Peter Regli 

Peter Regli ist Buchautor, Dozent und Referent. Er doziert an diversen Ausbildungsinstitutionen und bietet Workshops im Bereich Strategieent­wicklung für kleinere Unternehmen an. Individuelle Themen bietet er als Inhouse-Schulungen oder als Online-Coaching für Menschen und Unternehmen an. Sie erreichen ihn per Mail mit pr@peter-regli.ch oder auf seine Website www.peter-regli.ch