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Mythos Milch Was ist dran an ihrem schlechten Image?

Seit einigen Jahren wird Kuhmilch in der Fitnessbranche und bei Endverbrauchern kontrovers diskutiert. Angeblich zählt Milch zu den Lebensmitteln, die die Entstehung von Krebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes begünstigen. Das ist mit ein Grund, warum Milchalternativen aus Soja, Hafer oder Mandel immer beliebter werden. Doch ob diese wirklich gesünder als die normale Kuhmilch sind, ist selten bekannt. Eine ernährungswissenschaftliche Betrachtung soll zur Aufklärung dieser Frage beitragen.

Ungefähr zwölf Prozent der deutschen Bevölkerung konsumieren mehrmals wöchentlich und nochmals fast genauso viele sogar täglich Kuhmilch. Ungefähr 20 Prozent konsumieren keine Kuhmilch. Dabei ist der Verzehr von Milch in Vollfettstufen in den letzten Jahren (2015–2018) deutlich populärer geworden, was sich an den abgesetzten Mengen erkennen lässt (VuMa, n. D.). Aktuell existieren viele Empfehlungen von Ernährungswissenschaftlern, die zum bevorzugten Verzehr von Milch in Vollfettstufe raten. Doch neben der Kuhmilch mit unterschiedlichem Fettanteil gibt es in den Supermärkten eine immer grösser werdende Auswahl an Ersatzprodukten, die vorrangig von Veganern oder Personen mit Laktoseunverträglichkeit/Milcheiweissallergie konsumiert wird. Allerdings werden diese Produkte auch zunehmend häufiger von Personen ohne Unverträglichkeit verzehrt, die sich lediglich bewusster ernähren wollen. Das zunehmend breiter werdende Spektrum an solchen Alternativen stellt Endverbraucher vor Kaufentscheidungen, die ohne tiefere Kenntnis der Unterschiede nur schwer rational zu treffen sind.

Was steckt drin in Kuhmilch?

Für einen Grossteil der Deutschen sind Kuhmilch und weitere Produkte, die daraus hergestellt werden, beliebte Grundnahrungsmittel. Milchprodukte haben eine hohe Nährstoffdichte und versorgen uns mit vielen Makro- und Mikronährstoffen. Milch besteht in absteigender Menge aus Wasser, Milchzucker (Laktose), Eiweiss und Fett. In ihr ist hochwertiges Milcheiweiss enthalten, das ein für Menschen sehr günstiges Profil an essenziellen Aminosäuren aufweist. Das Milchfett besteht überwiegend aus kurz- und mittelkettigen, leicht verdaulichen Fettsäuren, die den Cholesterinspiegel nicht beeinflussen und antibakteriell sowie antiviral wirken. Insbesondere wenn die Kuh sich im Freien bewegen und frisches Gras fressen kann sowie ausreichend Sonnenlicht ausgesetzt ist, enthält ihre Milch besonders viele ungesättigte Fettsäuren. Darüber hinaus ist Milch Träger der fettlöslichen Vitamine A, D, E, K sowie der wasserlöslichen B-Vitamine. Sie enthält neben Kalzium auch noch Magnesium, Kalium, Phosphor, Zink und Jod. Kritiker würden diese Liste mit Wachstumshormonen, entzündungsfördernden Adipokinen und anderen Stoffen mit teilweise zu Unrecht attestierten gesundheitsnegativen Effekten ergänzen. Allerdings sind genau diese Hormone beispielsweise ganz natürlich in der Milch enthalten, da die eigentliche Funktion der Milch darin besteht, das Kälbchen optimal bei der Entwicklung zu unterstützen. Der Umstand, dass Wachstumshormone und möglicherweise entzündungsfördernde Adipokine in Milch enthalten sind, sagt allein jedoch absolut nichts über ihre Wirkung auf den Organismus erwachsener Menschen aus.

Gesund – ja oder nein?

Die in der Milch vorkommenden Wachstumsfaktoren (z. B. IGF-1 = Insulin-like growth factor 1) tragen nur in geringem Umfang zur Erhöhung der IGF-1-Konzentration im menschlichen Blut bei (Qin et al., 2009). Die Studienlage ist hier jedoch noch nicht eindeutig. Es kommt hinzu, dass neben Proteinen auch Mineralstoffe wie Kalzium, Magnesium, Kalium, Phosphor sowie Vitamin B2 einen erhöhenden Effekt auf IGF-1 haben können (Norat et al., 2007). Die Adipokine sind in ihrer Anzahl stark von der Art der Milch abhängig: Steht auf dem täglichen Speiseplan der Kuh ausschliesslich Getreidefutter und wird sie unter Bedingungen gehalten, die viel Stress bedeuten, kann die Konzentration dieser entzündungsfördernden Stoffe stark ansteigen. Bei artgerechter Fütterung und Haltung ist ein deutlicher Unterschied erkennbar. Die Tiere nehmen über Grünfutter und Heu entzündungshemmend wirkende Omega-3-Fettsäuren auf, die sie auch an ihre Milch abgeben und wodurch die Wirkung der Adipokine herabgesetzt wird.

Gesättigte Fettsäuren als «Krankmacher»?

Viele Mediziner und Ernährungsberater vertreten noch immer die Meinung, dass gesättigte Fettsäuren, die z. B. in Fleisch, Wurst und Käse enthalten sind, für Arteriosklerose und ihre Folgen (Herzinfarkte, Schlaganfälle, Thrombosen etc.) verantwortlich sind. In einer Studie von Puaschitz et al. (2015) hat man ebendiesen Zusammenhang zwischen der Zufuhr gesättigter Fettsäuren und dem Risiko für Herzinfarkte, koronare Gefässerkrankungen sowie der Gesamtsterblichkeit bei Patienten mit bestehender koronarer Gefässerkrankung und konventioneller Medikation überprüft. Die Forscher kamen nach einem Untersuchungszeitraum von fünf Jahren zum Ergebnis, dass kein kausaler Zusammenhang zwischen der Zufuhr gesättigter Fettsäuren und entstandener Herzinfarkte angenommen werden kann. Darüber hinaus konnten mittlerweile mehrere Studien und Metaanalysen zeigen, dass ein regelmässiger fettarmer Milchkonsum sogar das Risiko einer kardiovaskulären Erkrankung (z. B. Schlaganfall) senken kann (Fontecha et al., 2019; Hu et al., 2014).

Was sagt die Wissenschaft?

Ein gesteigerter Konsum von Milch und Milchprodukten wird in der Fachliteratur häufig mit einem erhöhten Prostatakrebsrisiko in Verbindung gebracht. Aktuellere Werke stellen diesen Zusammenhang allerdings teilweise stark infrage. Obwohl es einige Studien gibt, deren Daten Hinweise auf eine Risikoerhöhung liefern (Boeing, 2012; Allen et al., 2008), konnte aufgrund mangelhaft durchgeführter Untersuchungen bisher keine endgültige Aussage getroffen werden (López-Plaza et al., 2019). Bei Brust- und Darmkrebs deutet die Studienlage sogar auf eine potenzielle Risikominderung durch Milchkonsum hin (Keum et al., 2014; Dong et al., 2011; Barrubés et al., 2019). Betrachtet man die Körperzusammensetzung des Durchschnittsdeutschen, erkennt man schnell, dass dieser meist einen zu hohen Körperfettanteil hat. Auch hierbei kann Milchkonsum langfristig helfen, indem die Zunahme der fettfreien Masse unterstützt wird (Maersk et al., 2012).

An dieser Stelle kann erneut auf die bereits erwähnten Wachstumshormone in der Milch verwiesen werden, welche bei isokalorischer Kost in erster Linie die Zunahme der fettfreien Masse fördern. Dadurch ist Milch nahezu ideal für Fitnesskunden, die ihre Körperzusammensetzung optimieren und Muskelmasse aufbauen möchten. Aus dem gleichen Grund trägt Milch zum Schutz vor Übergewicht und dem Metabolischen Syndrom bei (Mena-Sánchez et al., 2019). Manche Milchprodukte, insbesondere fettarme Milch sowie Joghurt, konnten zudem mit einem verminderten Risiko für Typ-2-Diabetes in Verbindung gebracht werden (Álvarez-Bueno et al., 2019; de Oliveira et al., 2013; Zong et al., 2014; O’Connor et al., 2014). Allerdings sollten Personen, die überwiegend kohlenhydratreiche Kost zu sich nehmen und gleichzeitig einen bewegungsarmen Alltag haben, beachten, dass durch den Verzehr dieser Produkte das Akne-risiko steigt (Spencer et al., 2009). Daher sollte beim Verzehr von Milchprodukten zusätzlich das Aktivitätsprofil sowie das Ernährungsverhalten berücksichtigt werden.

Sind Soja und Co. gute Alternativen?

In der EU ist der Begriff «Milch» nur für Kuhmilch zulässig (Ausnahme: Kokosmilch). Die Milchalternativen haben deshalb oft die Endung «-drinks» (z. B. Haferdrink). In den Supermarktregalen findet man eine immer grösser werdende Auswahl an Alternativen wie beispielsweise:

  • Haferdrink
  • Mandeldrink
  • Sojadrink
  • Dinkeldrink
  • Reisdrink
  • Haselnuss-/Cashewdrink

Sie alle enthalten bei konventioneller Produktion Zusatzstoffe wie Zucker, Emulgatoren, Verdickungsmittel, Stabilisatoren und Säureregulatoren. In Bioqualität ist die Zutatenliste meist kürzer und weist neben dem Hauptprodukt nur Wasser, Öl und Salz auf. Da diese Alternativen meist kalziumärmer als Kuhmilch sind, werden ihnen Kalzium und andere Mikronährstoffe hinzugefügt, worauf bei Bioprodukten jedoch verzichtet wird. Allergiker sollten beim Verzehr von Milchersatzprodukten beachten, dass es zu einer Kreuzallergie zwischen Birkenpollen und Soja-/Mandel-/Haselnussmilch kommen kann.

Ist Kuhmilch immer gleich Kuhmilch?

Die immense Produkt- und Anbietervielfalt sogt bei vielen Endverbrauchern im Supermarkt oftmals für Verwirrung. Hier gibt es bei den Kuhmilchsorten neben der Hausmarke nämlich auch noch Alpen-, Land- oder Bergbauernmilch. Diese Bezeichnungen unterliegen keinen gesetzlichen Vorschriften. Immerhin geben die meisten Molkereien mittlerweile die Herkunft der Milch auf den Verpackungen an. Liegt keine Laktoseunverträglichkeit oder Milcheiweissallergie vor und ernährt man sich nicht vegan, sollte auf Weide-/Heu- bzw. Biomilch gesetzt werden. Diese Begriffe sind geschützt und geben dem Verbraucher eine gewisse Sicherheit. Bei Weidemilch ist gesetzlich geregelt, dass die Kühe mindestens 120 Tage im Jahr auf der Weide verbringen müssen. Bei Heumilch ist die Fütterung mit frischem Heu, Grünlandfutter und eventuell zusätzlichem Getreide vorgeschrieben, damit das Produkt diese Bezeichnung tragen darf. Bei Biomilch gibt es je nach Biosiegel unterschiedliche Vorgaben. Hier ist der Zugang zur Weide im Sommer und ausreichend Bewegungsfreiheit im Stall während der Wintermonate geregelt. Die Tiere dürfen kein gentechnisch verändertes Futter und keine Krankheiten vorbeugenden Medikamente erhalten. Hierbei sollte darauf geachtet werden, dass das Siegel aus Deutschland stammt und entsprechenden Kontrollregularien unterliegt, um ein Mindestmass an tatsächlicher Bioqualität sicherzustellen.

Fazit

Es besteht kein Grund, Angst vor dem Verzehr von Milch und Milchprodukten zu haben. Beim Einkauf sollte lediglich auf Weide- oder Heumilch mit einem deutschen Biosiegel geachtet werden, um eine ausreichende Qualität des Produkts zu gewährleisten. Liegt eine Unverträglichkeit vor oder wird vegane Kost bevorzugt, kann allerdings auch auf Milchalternativen in Bioqualität zurückgegriffen werden, wobei sich für gesunde Personen hierdurch keine gesundheitlichen Vorteile ergeben. Im Zweifelsfall sollte jedoch immer Rat bei qualifizierten Fachkräften eingeholt werden, um eine individuelle und optimale Entscheidung bei der Lebensmittelauswahl treffen zu können.

Auszug aus der Literaturliste

  • Boeing, H. (2012). Prävention durch Ernährung, 12. Ernährungsbericht 2012. Deutsche Gesellschaft für Ernährung e. V., S. 340–357.
  • Spencer, E. H., Ferdowsian, H. R. & Barnard, N. D., (2009). Diet and acne: a review of the evidence. International Journal of Dermatology, 48(4), S. 339–347.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.

Aline Emanuel

Aline Emanuel verfügt über einen Abschluss als M. A. Prävention und Gesundheitsmanagement. Einer ihrer Schwerpunkte ist das Coaching in der Ernährungsberatung. Sie ist als Dozentin, Tutorin und Autorin für die Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) und als Leiterin des Fachbereichs Ernährung an der BSA-Akademie tätig.

www.dhfpg-bsa.de