Editorial Fitness Tribune – 196
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Pandemisches und Solidarisches

Das COVID-19-Vokabular

Was eine Pandemie ist, dürfte mittlerweile wirklich jedem klar sein, und auch der Begriff «Solidarität» wurde sehr häufig bemüht. Man ist fast versucht festzustellen, dass die Solidaritätsforderungen fast selbst zu einer Pandemie verkamen. Es hiess, Solidarität walten zu lassen beim Maskentragen, beim Abstand halten, beim Impfen, beim Desinfizieren, schlicht bei fast bei allen Aspekten des Alltags. Wenn es dann allerdings ums Geld ging, war von Solidarität nicht mehr viel zu spüren. Doch davon später…

Gouverner c’est prévoir

Die Maxime «Regieren heisst voraussehen» wird oft dem Politiker Adolphe Thiers (1797–1877) oder Émile de Girardin (1802–1881), innovativer Pressechef und französischer Politiker zugeschrieben. Émile de Girardin hat bereits 1849 festgehalten: «Gouverner, c’est prévoir. Ne rien prévoir, ce n’est pas gouverner, c’est courir à sa perte», also «Regieren heisst voraussehen. Nichts vorauszusehen heisst nicht zu regieren, es heisst ins Verderben zu laufen». Unsere Exekutivpolitiker befinden sich in sehr schwierigen Situationen in denen niemand an ihrer Stelle hätte sein wollen und sind Gott sei Dank nicht ins Verderben gelaufen. Aber etwas mehr «prévoir» und etwas weniger «réagir» hätte man sich vielleicht schon gewünscht. Oder besser: das durchaus vorhandene «prévoir» hätte vielleicht noch etwas breiter ausgerichtet sein dürfen.

Abbildung 1: Durchseuchung vs. Massnahmen gegen Infektionen

Wenn Voraussehen «Das Ganze Stopp» heisst

Viele kennen es vom Skifahren: Es ist so diesig-neblig, dass man nicht mehr weiss, ob es aufwärts- oder abwärtsgeht, ja sogar, ob man schon still steht oder noch fährt. In solchen Situationen gibt es nichts anderes als «Stopp und Anhalten». Eine solche Situation herrschte zweifellos Ende Februar/Anfang März 2020 als die Bilder mit den mit Särgen beladenen Lastwagen aus Bergamo durch die Presse gingen und niemand so ganz wusste, was da passiert. In diesem Moment tat der Bundesrat das einzig Richtige: Ausserordentliche Lage, das ganze Stopp – Lockdown. Von den beiden grundsätzlichen Möglichkeiten, eine Epidemie zu bekämpfen – Durchseuchung vs. infektionssenkende Massnahmen (siehe Abbildung 1) – war nur letztere möglich. Mit dem Lockdown – besonders streng für die besonders vulnerablen Menschen – verringerte man die Kontakte und damit auch die Zahl der Infektionen. Damit konnte insbesondere auch die Zahl der an COVID-19 Verstorbenen verringert werden. Allerdings verbunden mit dem Nachteil, dass die Zeitachse, bis alle Einwohner der Schweiz entweder genesen, geimpft oder beides waren, verlängert wurde. Und eine lange Zeitachse führt naturgemäss zu mehr Mutationen bei den Viren.

Basierend auf dem Wissen der Virologen über das Infektionsgeschehen wurden im Hinblick auf das Ende des Lockdowns auch die Richtlinien für die zu entwickelnden Schutzkonzepte erlassen. Alles richtig gemacht muss man konstatieren. Ein Bravo dem Bundesrat und beratenden Gremien, aber auch ein Lob den Geschäften und Unternehmen der verschiedenen Branchen für die sorgfältige Umsetzung der Schutzkonzepte. Und ein noch grösseres Lob der Bevölkerung für die Ernsthaftigkeit und Sorgfalt, mit denen die Massnahmen befolgt wurden.

Der Sommer 2020

Als Mitte Mai 2020 der Lockdown zu Ende ging, glaubten gar viele, dass jetzt die Rückkehr zur Normalität begonnen habe – zumal sich am Horizont auch bereits wirkungsvolle Impfungen abzeichneten. An zweite, dritte, vierte und fünfte Wellen dachte noch kaum jemand. Man begab sich in die Sommerfrische und verpasste gar manches:

  • Zumindest die Virologen hätten sich mit Ihrem Wissen, dass das Evolutionsgesetz von Herbert Spencer «Survival of the Fittest», das Überleben der am besten angepassten Individuen auch bei Viren gilt, durchsetzen müssen, «prévoir» eben. Ansteckungsfähigere Viren, die weniger schlimme Krankheitsverläufe hervorrufen, sind bei abnehmender Zahl potentieller Wirte überlebenstüchtiger.
  • Die Epidemiologen hätten sich mit Ihrem Wissen, dass die sogenannte Herdenimmunität durch Impfung im Erwachsenenalter sehr schwer erreichbar ist, durchsetzen müssen und nicht die Impfung zum Alleinheilmittel erklären dürfen. Rochelle Walensky, damals noch Leiterin der Abteilung für Infektionskrankheiten am Massachusetts General Hospital und Professorin für Medizin an der Harvard Medical School, hatte bereits im Frühsommer 2020 in einem Podcast auf die Herausforderungen der Impfung hingewiesen. Heute hat sie sich als Leiterin des CDC (Center of Disease Control and Prevention) in den USA dem Mainstream angepasst…
  • Und ob jede einzelne Coronamassnahme nicht auch von sog. Taskforces mit Experten anderer bedeutungsvoller Gesichtsfelder wie volkswirtschaftliche oder gesellschaftliche Auswirkungen hätte beurteilt werden müssen, ist eine rhetorische Frage; denn welche Bedeutung hat die Gesundheit jedes einzelnen Individuums, wenn die wirtschaftlichen oder sozialen Lebensgrundlagen fundamental und fast irreversibel geschädigt sind?

Dies alles unter dem Gesichtspunkt, dass die Erkenntnisse, die heute auch zahlenmässig belegt sind, schon im Sommer 2020 durchaus bekannt waren: COVID-19 gefährdet überwiegend alte Menschen wie ein eben in Nature publizierter Pandemienvergleich aufzeigt (siehe Tabelle 1). Man muss fast von Glück sprechen, dass zusätzlich zu den wirtschaftlichen Schäden durch die COVID-19-Massnahmen nicht auch noch hauptsächlich wirtschaftlich produktive Alterskategorien von COVID-19 betroffen waren.

Abbildung 2: Infektionswege und Gegenmassnahmen

Die Statistiken des BAG für COVID-verursachte Hospitalisationen und Todesfälle (siehe Abbildung 3) bestätigen die Zahlen in Tabelle 1. In diesem Zusammenhang kann sicherlich festgehalten werden, dass der besondere Schutz der älteren und damit vulnerableren Menschen im Rahmen der Coronamassnahmen sicher berechtigt war. Ob aber die wenig spezifischen Lockdown-, Home-Office- und Schulschliessungsmassnahmen in diesem Umfang wirklich unvermeidbar waren, obwohl dadurch eine mögliche Durchseuchung verzögert wurde, ist fraglich. Sicher ist aber, dass Omikron und nicht die Impfung der grosse «Game-Changer» sein könnte, denn es ist offensichtlich, dass die Verläufe von Omikron-Infektionen milder sind. Wie die NZZ vom 20.01.2022 berichtete, sind COVID-19-Infizierte, die auf der Intensivstation gepflegt werden müssen, ausschliesslich durch die Variante Delta verursacht. Dies obwohl Delta nur noch einen kleinen Teil (+/- 12 %) der Infektionen verursacht.

Das Vorgehen der Politik in der Impffrage – breit unterstützt von der Medien – war aber aus demokratischer Sicht schon sehr heikel. Auch wenn hierzulande nicht grad von «emmerder» gesprochen wurde, so vermisste man doch die objektive Darstellung des Sachverhaltes, dass auch dem Impfentscheid eine individuelle Risikoabwägung zugrunde liegt, liegen darf, ja verfassungsmässig erlaubt sein muss; denn nachfolgende Entscheidungsgrundlagen sind Tatsachen, die nicht bestritten werden können:

  • Das Risiko, an COVID-19 schwer zu erkranken, ist für junge Menschen ein völlig anderes als für ältere Menschen über 65 Jahren.
  • Das Risiko, an COVID-19 zu sterben, ist für junge Menschen anders als bei älteren Menschen über 65 Jahren gegen NULL strebend.
  • Mögliche schwere Nebenwirkungen der Impfung sind sehr selten, aber es gibt sie.
  • Langfristige Spätfolgen sind noch unbekannt; denn geimpft wird erst seit einem Jahr und mit mRNA in dieser grossen Zahl das erste Mal überhaupt.

Tabelle 1: Übersterblichkeit
Quellen: Simonsen, L. & Viboud, C. eLife 10, e71974 (2021): COVID-19 estimates: The Economist’s model (to January 2022: age of death data: US CDC, UKHSA)

Für den Autor war die risikobasierte Impfentscheidung einfach: fortgeschrittenes Alter + Vorerkrankung = Impfen JA, zumal mögliche Spätfolgen gar nicht mehr erlebt werden.

Solidarität

Natürlich wäre es sehr legitim, auch in Zusammenhang mit der Impfung an die Solidarität zu appellieren. Solche Appelle hatten ja durchaus auch Erfolg, aber dann muss Solidarität auch umgekehrt gelten. Junge Menschen – die sich naturgemäss treffen müssen – einzusperren – für Schule und Unterricht ins Home-Schooling zu schicken – war auch nicht der Weisheit letzter Schluss. Aber das hat man jetzt erkannt.

Abbildung 3: Altersabhängiges Hospitalisierungs- und Sterberisiko

Kaum in den Genuss von Solidarität kamen Branchen und Unternehmen, die durch die Massnahmen zugunsten der Gesellschaft schwer getroffen wurden. Wenn einer Branche – beispielsweise der Gastronomie oder der Ausstellungsbranche oder den Künstlern und Veranstaltungen, aber eben auch der Fitnessbranche – vom Staat im Interesse der Allgemeinheit durch die verfügten Massnahmen die Einkünfte gestrichen werden, dann sind diese auch unbürokratisch zu ersetzen. Punkt! Einfach zum Beispiel auf der Basis der Mehrwertsteuerabrechnungen.

Solidarität wäre es auch gewesen, wenn jene Unternehmen und Branchen, die aufgrund der nämlichen Massnahmen deutlich mehr Gewinne erzielen konnten, einer COVID-Profiteur-Steuer unterzogen worden wären.

In beiden Fällen hat es nämlich weder mit einem unternehmerischem Versagen oder der unternehmerischen Kompetenz zu tun. Während den verschiedenen Lockdowns der Gastronomie wurde beispielsweise in der Schweiz ja nicht weniger gegessen oder getrunken. Esswaren und Getränke wurden nur andernorts eingekauft!

Wenig solidarisch war auch die Tatsache, dass der traditionelle Sport besser abgegolten wurde als die Fitnessbranche, obwohl letztere mehr erwachsene Trainierende aufweist als die sechs grössten Schweizer Sportverbände zusammen!

Spezifität

Mangelhaft und in zukünftig ähnlichen oder gleichartig wiederkehrenden Situationen müssen die Massnahmen für eine verbesserte Berücksichtigung der speziellen Verhältnisse unter Einbezug der direkt betroffenen Branchen entwickelt werden. Es kann nicht sein, dass die Fitnessbranche und die Gastronomie beide als öffentlich zugängliche Einrichtungen klassiert werden. Das sind sie nicht! Die Gastronomie hat mit Ihren Kunden keine Verträge mit vertraglich vereinbarten Leistungen, die durch Lockdowns, 3G-, 2G- und 2G-plus-Regeln nicht mehr erbracht werden können. Fitnesscenter sind – anders als Restaurants – auch nicht öffentlich zugänglich. Man braucht mehrheitlich einen Vertrag, um trainieren zu können.

Lockdowns wären aber auch sonst nicht nötig gewesen; denn es gab und gibt Möglichkeiten, in einem Fitness-center für eine virusfreie Umgebung zu sorgen – genauso und sogar leichter und reiner als in einem Flugzeug. Schade, dass diese Möglichkeiten nicht erlaubt wurden.

Spezifisch ist aber auch das Angebot der Fitnesscenter. Die Muskeln sind der wesentlichste Unterschied zwischen der Tier- und Pflanzenwelt und deshalb von grundsätzlicher gesundheitlicher Bedeutung. Die Fitnessbranche ist der einzige Anbieter von Muskel- und Krafttraining für jedes Alter und jeden Fitnesszustand. Aber natürlich hat die Gastronomie auch eine grosse Bedeutung, und zwar im sozialen Zusammenleben.

Und die Moral von der Geschicht…

Es ist Sache der Branche selbst, sich jenes Image zu verschaffen, welches dazu führt, dass sie bei einer nächsten Pandemie nicht einfach wieder geschlossen wird. Verantwortlich sind die beiden Verbände.

Paul Eigenmann

QualiCert AG

www.qualicert.ch