Die unterschiedlichen Aufgaben von Trainern und Therapeuten, und wie sie sich idealerweise ergänzen
6. Februar 2020
Expect the Unexpected: Erwartungsmanagement für die Steuerung der Kundenzufriedenheit
7. Februar 2020

Personal-Scouting im Fitness- und Gesundheitssektor

Wie Recruiting-Skills für Fussballer Ihre Suche nach den passenden Mitarbeitern erleichtern

Der Fachkräftemangel wird immer spürbarer und breitet sich in einigen Branchen unaufhaltsam aus. Gerade deswegen ist es so wichtig, fachlich kompetentes Personal schnell zu identifizieren und für das eigene Unternehmen zu gewinnen. Doch wie können Führungskräfte «die Spreu vom Weizen» trennen und die zum Betrieb passenden Mitarbeiter finden. Hier bieten andere Branchen ungeahnte Lösungsansätze.

Für Auswahlprozesse von neuen Mitarbeitern sind die Möglichkeiten der Digitalisierung nützlich, aber man sollte sich immer auch auf die eigene Wahrnehmung und Intuition verlassen. Für ein umfassenderes Gesamtbild müssen ernsthaft in Betracht zu ziehende Kandidaten zwingend im Recruiting in ihrer praktischen Tätigkeit unter die Lupe genommen werden – das gilt für den Profifussball wie auch für die Fitness- und Gesundheitsbranche.

Mentalität und Qualität – Die richtige Mischung macht‘s

Die Qualität der Einzelspieler bildet die Basis für die Leistungsfähigkeit des gesamten Teams, ist aber noch lange kein Erfolgsgarant – das gilt für eine Teamsportart wie Fussball, aber auch für die Zusammenstellung eines Mitarbeiterteams im Unternehmen. Fachliche Kompetenz ist branchenübergreifend die Grundlage für Leistung. Aber es bedarf auch einer gewissen Mentalität und inneren Einstellung, unbedingt siegen bzw. beruflich vorankommen zu wollen. Langfristig setzen sich immer die Kandidaten mit einer Kombination aus hohem fachlichen Können und starker Mentalität durch. Der Mentalitätsfaktor und die Soft Skills scheinen hier in der Praxis oftmals ausschlaggebende Attribute zu sein, die schluss-endlich über Passung und Erfolg entscheiden.

Deshalb sollte man sich bei der Suche nach dem geeigneten Kandidaten nicht nur auf die «harten Fakten», sondern auch auf das eigene Gespür verlassen und diesen auf Herz und Nieren – ähnlich einem «Medizincheck» und dem «Probetraining» in der Praxis – prüfen. Vorab sollte man sich hier folgende grundlegenden Fragen stellen:

Der «War for Talents» dominiert alle Branchen

Die heutigen Scouts im Profifussball achten bei den jungen Talenten insbesondere genau auf die oben genannten Attribute, denn Talente im Fussball gibt es viele. Das ist in einem Wachstumsmarkt wie der Fitness- und Gesundheitsbranche keinesfalls anders. Der «War for Talents» ist auch hier in vollem Gange und, ähnlich wie die Spitzenvereine der Fussballbundesliga, buhlen auch die Unternehmen sowie Recruiting-Spezialisten um die qualifiziertesten und besten Nachwuchstalente.

Welche mentalen Fähigkeiten zeichnen besonders geeignete Spieler bzw. Mitarbeiter aus?

Mit meiner langjährigen Erfahrung sowohl im Spitzenfussball als auch im Bankensektor möchte ich hier ganz besonders einen Aspekt in das Blickfeld aller Entscheidungsträger und Personalverantwortlichen rücken: Top-Performer zeichnen sich neben ihrer Fachkompetenz insbesondere durch ihre Hingabe (einer Leidenschaft in besonders intensiver Ausprägung) aus, die man in drei Kategorien zusammenfassen kann:

Die Sichtung neuer Talente – ein besonderer Aspekt im Profifussball

Neben den vorgenannten grundlegenden Eigenschaften kommt dem Sichtungstraining im Profifussball eine besondere Rolle zu. Dabei müssen die Spieler die komplexe Verbindung aus «Können» und «Wollen» in der Praxis punktgenau abrufen können. Hier kommt der Faktor «Tec» bzw. die Digitalisierung ins Spiel, denn insbesondere im Fussball lässt sich heute praktisch alles messen.

Der «Tec»-Faktor als wichtiges Tool bei der Selektion geeigneter Talente

Die zunehmende Kommerzialisierung des Fussballs und die damit einhergehende Vermarktung der Spielübertragungsrechte haben dazu geführt, dass den Scouts heute Livebilder zu fast allen wichtigen Spielen retro-spektiv zur Verfügung stehen. Dazu kommen die vielseitigen Möglichkeiten und Informationen aus den digitalen Datenbanken. Hier können die Talentsucher auf moderne, wissenschaftlich fundierte Analysetools und Leistungsdaten zu jedem einzelnen potenziellen Spieler zurückgreifen, die vor einer Verpflichtung intensiv gesichtet und ausgewertet werden. Zweikampf- und Passquoten, Tore, diverse physische Leistungsparameter und die Verletzungshistorie gehen zum Beispiel, ähnlich einem Arbeitszeugnis bzw. Leistungsnachweis, in die Vorauswahl der besten Kandidaten ein. Inzwischen gibt es auch Modelle zur Bewertung der persönlichen Mentalität, Willensstärke und Emotionalität, die in der Praxis angewandt werden und im Scouting Berücksichtigung finden. Aber reicht das? Können auf dieser Grundlage die richtigen Entscheidungen getroffen werden?

Das Motto «Miss es oder vergiss es» ist aber längst nicht mehr nur eine Prämisse im Profisport, sondern hat auch im beruflichen Recruiting Einzug gehalten. Sicher stehen den Recruiting-Spezialisten in der beruflichen Praxis deutlich weniger Analysetools und Daten zu den potenziellen Bewerbern zur Verfügung als im Profisport, aber genau deshalb ist es umso wichtiger, die Bewerber im Rahmen eines Assessments oder eines eigenen kleinen Projekts auf Passung, Eignung, Qualifikation und Teamfähigkeit zu prüfen.

Leistung am Arbeitsplatz: Persönlichkeit und Fachkompetenz

Neben den konstitutionellen und konditionellen Voraussetzungen, bei denen motorische Fähigkeiten wie z. B. Schnelligkeit sowie Athletik immer bedeutsamer werden, spielen auch die fussballtechnischen und -taktischen Fertigkeiten sowie die Kooperationsfähigkeit für einen erfolgreichen Teamplayer im Fussball eine wichtige Rolle. Diese komplexen Eigenschaften werden in Leistungstests, Real-Life-Situationen und Face-to-Face-Gesprächen, ähnlich einem beruflichen Assessment-Center, gezielt geprüft und mit dem ersten Eindruck aus der Datenanalyse abgeglichen. Neben den beschriebenen Voraussetzungen werden zusätzlich mentale, kognitive und kooperative Kompetenzen live vor Ort beobachtet und analysiert. Betrachtet man dieses Vorgehen nun einmal branchenübergreifend, fällt auf, dass hier viele Parallelen im Kampf um junge Talente bestehen. Schlussendlich will doch jeder «nur» die besten Kandidaten für das eigene Team gewinnen. Deshalb sollte man als Personalverantwortlicher, egal ob im Profifussball oder in der Fitness- und Gesundheitsbranche, bei der Talentauswahl neben dem «Tec»-Faktor auch immer auf die eigene Intuition und seine Augen vertrauen.

Fazit

Meiner Meinung nach wird das Gesamtbild eines potenziellen Spielers wie auch eines Mitarbeiters erst durch den persönlichen Kontakt, die Beobachtung vor Ort in seinem direkten Tätigkeitsfeld und im Umgang mit Kollegen vollständig. Im Profifussball wird die Entwicklung eines Nachwuchstalents über einen längeren Zeitraum intensiv verfolgt, bevor eine Entscheidung getroffen wird. Bei talentierten Mitarbeitern im eigenen Unternehmen (unabhängig von der Branche) mag das grundlegend auch in der freien Wirtschaft möglich sein, aber in der beruflichen Praxis agieren Personalverantwortliche hier doch deutlich selektiver. Der Aufwand, den die Spitzenclubs und Talentschmieden im Profisport betreiben, kann von Unternehmen der Fitness- und Gesundheitsbranche bei der Besetzung vakanter Stellen nur bedingt geleistet werden. Umso wichtiger ist es, die entsprechenden Bewerber neben den fachlichen Qualifikationen auch auf ihre «Hingabe» und die mentalen Fähigkeiten zu testen.

All das und viele weitere Faktoren können innerhalb eines Probearbeitens (idealerweise über mehrere Tage) beobachtet und analysiert werden. Sicher ist auch das, ähnlich wie das Probetraining im Fussball, nur eine Momentaufnahme, aber nur so kann die Einstellungsentscheidung auch von einem direkten Eindruck in der Berufspraxis getragen werden und erfolgt nicht nur aufgrund von Unterlagen und Bewerbungsgesprächen. Wie im Profifussball gilt: «Geld allein schiesst keine Tore» und das beste Gehalt nützt nichts, wenn Ihre Mitarbeiter nicht für Ihre Sache, Ihr Unternehmen und die Marke «brennen». Für die Sport-, Fitness- und Gesundheitsbranche «brennen» viele junge talentierte Mitarbeiter – schliesslich können viele hier ihr Hobby zum Beruf machen und sich selbst verwirklichen. Deshalb sollten Sie bei der Auswahl Ihrer Mitarbeiter wie ein Scout im Detail auf all diese Aspekte achten, den Bewerbern intensiv «auf den Zahn fühlen» und deren «Hingabe und Feuer» überprüfen.

Literaturliste

Fliegen, I. (2018). Crashkurs Recruiting: Personalbeschaffung und -auswahl. Freiburg: Haufe.

Löw, M.-O. (2014). Behavioral Scouting: Überprüfung der Testgütekriterien eines (Talent-)Beobachtungsinstruments zur Erfassung des Verhaltens sowie volitionaler Komponenten im Fussball und Eishockey. Hamburg: Verlag Dr. Kovac.

Reng, R. (2015). Mroskos Talente. Das erstaunliche Leben eines Bundesliga-Scouts. München: Piper.

Ullah, R . & Witt, M. (2018). Praxishandbuch Recruiting. Grundlagenwissen – Prozess-Know-how – Social Recruiting, (2., aktualisierte und überarbeitete Auflage). Stuttgart: Schäffer-Poeschel.

Prof. Dr. Karsten Schumann

Sportwissenschaftler Prof. Dr. Karsten Schumann war wissenschaftlicher Mitarbeiter des Sportdirektors des Deutschen Fussball-Bundes und in die Entwicklung des deutschen Nachwuchsfussballs, insbesondere der U-Nationalmannschaften, integriert. Ausserdem arbeitete er als wissenschaftlicher Mitarbeiter des Vorstand Sport bei der FC Bayern München AG zur Unterstützung in den Bereichen Lizenzspielerabteilung, Scouting und Junior Team. Er ist Dozent an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG).

www.dhfpg-bsa.de