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Verletzungsrisiko minimieren – Leistungsfähigkeit optimieren Stabilisierung durch Beinachsentraining

Das Beinachsentraining spielt im Leistungs- und Hochleistungssport eine wesentliche Rolle, wenn es um die Verbesserung der Belastbarkeit, die Ausschöpfung der Ressourcen der Athleten sowie um die Wiedererlangung der Leistungsfähigkeit nach einer Verletzung der unteren Extremitäten geht. Diese Trainingsmethode bietet ein hohes, aber meist unterschätztes Potenzial – auch für Breiten- und Hobbysportler.

Die unteren Extremitäten sind in nahezu alle sportlichen Bewegungshandlungen involviert – egal, ob zur Stand- und Schrittstabilisation, zur Fortbewegung oder zum Springen. Betrachtet man das Anforderungsprofil verschiedener Sportarten wie Fussball, Handball, Laufen oder Gewichtheben, wird klar, dass unter anderem das Kraftpotenzial der Beinmuskulatur ein wichtiger Prädiktor für die Ausprägung der sportartspezifischen Leistungsfähigkeit ist. Die volle Leistungsfähigkeit der unteren Extremitäten kann jedoch nur bei optimaler Beinachsenstatik abgerufen werden. Störungen dieser Statik, verursacht durch Beinachsenfehlstellungen, wirken zum einen leistungslimitierend und zum anderen können sie ein erhöhtes Risiko für Verletzungen und degenerative Schäden darstellen.

Störungen der Beinachsenstatik erhöhen Verletzungsrisiko

Wird insbesondere bei sportlichen Bewegungshandlungen eine Stabilisierung der Beinachse nach einem Sprung oder nach einem weiten Ausfallschrittsprung gefordert, können Störungen der Beinachsenstatik zu Verletzungen oder degenerativen Schäden führen. Dementsprechend stellt bereits ein konventionelles intensitätsorientiertes Krafttraining ein Verletzungs- und Degenerationsrisiko für die unteren Extremitäten dar. Studien zeigen, dass Sportler mit starker O- oder X-Bein-Stellung einem höheren Verletzungsrisiko ausgesetzt sind (Schmitt, 2006).

Wie entsteht eine Beinachsenfehlstellung

Verschiedene Faktoren können zu Bein-achsenfehlstellungen führen. Die Ursachen für eine unphysiologische Beinstatik können Beinlängendifferenzen, Hüftdysplasien, Fussfehlstellungen, Sprunggelenksinstabilitäten oder die Kombination mehrerer Faktoren sein (Laessoe, Svendsen, Christensen, Rasmussen & Gaml, 2019; Li et al., 2018).

X-Bein-Stellung – ein «prominentes» Beispiel

Beinachsenfehlstellungen provozieren nicht nur eine arthrotische Degeneration sowie Läsionen von Bindegewebsstrukturen, sondern wirken sich ebenfalls auf benachbarte Gelenke sowie deren umgebende Muskulatur aus. Eine «prominente» Beinachsenfehlstellung ist die sogenannte X-Bein-Stellung (Genu valgum): Bei dieser Fehlstellung weichen die Kniegelenke nach innen von der physiologischen Beinachse ab. Das Femur (Oberschenkelknochen) rotiert im Hüftgelenk nach innen verstärkt. Kompensatorisch rotiert die Tibia (Schienbein) im Kniegelenk nach aussen. Diese Abweichungen von der physiologischen Beinachse verändern die auftretenden Kräfte zwischen Patella (Kniescheibe) und dem femoralen Gleitlager sowie zwischen Femur und Tibia. Auf das Kniegelenk bezogen resultiert aus einer X-Bein-Stellung eine erhöhte laterale Druckbelastung auf die knöchernen Partner und den hyalinen Knorpel. Daraus können Läsionen der lateralen Meniskusbasis sowie eine Gonarthrose der lateralen Kniegelenkkompartimente (Verschleiss der knorpeligen Gelenkflächen) entstehen. Umgekehrt wirkt im medialen Kniegelenkkompartiment eine erhöhte Zugbelastung auf die gelenkstabilisierenden Strukturen (insbesondere auf den Kapsel-Band-Apparat). Die X-Bein-Stellung wird in der Regel bilateral diagnostiziert, kann aber in wenigen Fällen auch unilateral auftreten. Ausserdem ist sie bereits durch einen optischen Befund feststellbar.

Verbesserung der Beinachsenstabilität durch spezifische Trainingsmethoden

Beispielsweise eignet sich ein gezieltes Athletiktraining für die unteren Extremitäten zur Stabilisierung der Beinachse (Mornieux et al., 2019). Im Fokus sollten unilateral ausgeführte Übungen stehen, insbesondere Ausfallschrittbewegungen und Übungen am Seilzug (vgl. Beispiel 2). Bei den Übungen zur Beinachsenkorrektur wirkt eine mechanische Störgrösse in Form einer Zugbelastung in Höhe des Kniegelenks nach innen. Die Zugbelastung nach innen veranlasst den Sportler zur aktiven muskulären Gegenreaktion nach aussen, um die Beinachse stabilisieren zu können. Hierdurch werden zum einen diejenigen Muskeln beansprucht, die bei einer X-Bein-Stellung in der Regel abgeschwächt sind (Hüftabduktoren und -aussenrotatoren) und zum anderen kann durch diese Trainingsmassnahme ein motorischer Stereotyp durchbrochen werden. Durch ein spezifisches Training zur Stabilisierung der Beinachse besteht die Möglichkeit, das Verletzungsrisiko zu reduzieren (Stoffels, Achtnich & Petersen, 2017). Aus diesem Grund kommt im Athletiktraining den unteren Extremitäten eine überaus hohe Bedeutung zu. Im Folgenden werden zwei indikationsspezifische Trainingspläne zur Bein-achsenstabilisierung dargestellt.

Anwendungsbeispiele

Beispiel 1

These 1: Die X-Bein-Stellung wird durch Deformität des Fussgewölbes erzeugt. Wird die Fehlstellung/Instabilität durch eine Deformität des Fussgewölbes erzeugt, sollten zunächst Übungen durchgeführt werden, die zur Modellierung der physiologischen Fusshaltung dienen.

  1. Modellierung des Fussgewölbes: «kurzer Fuss» nach Janda (Häfelinger & Schuba, 2002, S. 65)
  2. Standstabilisation mit Gewichtsverlagerung auf die Fussaussenkante
  3. Standstabilisation mit Gewichtsverlagerung auf die Fussaussenkante auf instabiler Stützfläche

Tab. 1: Trainingsprogramm zu Beispiel 1

Beispiel 2

These 2: Die Beinachseninstabilität resultiert aus zu schwachen Hüftgelenksextensoren, -aussenrotatoren und -abduktoren.

  1. Zug aus Adduktion und Innenrotation in die Abduktion und Aussenrotation
  2. Zug aus der Flexion, Adduktion und Innenrotation in die Extension, Abduktion und Aussenrotation
  3. Isolierte Aussenrotation in Bauchlage

Fazit

Die Beinachsenstabilität hat sowohl grossen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit als auch auf die Verletzungsanfälligkeit des Sportlers. Zur Optimierung der Leistungsfähigkeit und zur Reduktion des Verletzungsrisikos der unteren Extremitäten ist ein Beinachsentraining, beispielsweise im Rahmen eines Athletiktrainings, eine Ergänzung mit ausserordentlich hohem Potenzial.

Tab. 2: Trainingsprogramm zu Beispiel 2

Auszug aus der Literaturliste

  • Häfelinger, U. & Schuba, V. (2002). Koordinationstherapie. Propriozeptives Training (Wo Sport Spass macht). Aachen u. a.: Meyer & Meyer.
  • Laessoe, U., Svendsen, A. W., Christensen, M. N., Rasmussen, J. R. & Gaml, A. S. (2019). Evaluation of functional ankle instability assessed by an instrumented wobble board. Physical Therapy in Sport: Official Journal of the Association of Chartered Physiotherapists in Sports Medicine, 35, 133–138.
  • Li, Y., Ko, J., Walker, M. A., Brown, C. N., Schmidt, J. D., Kim, S.-H. et al. (2018). Does chronic ankle instability influence lower extremity muscle activation of females during landing? Journal of Electromyography and Kinesiology: Official Journal of the International Society of Electrophysiological Kinesiology, 38, 81–87.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte  marketing@dhfpg-bsa.de.

Marcel Reuter

Der Sportwissenschaftler Marcel Reuter ist stellvertretende Fachbereichsleitung Trainings- und Bewegungswissenschaft an der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) sowie an der BSA-Akademie. Er ist ehemaliger Badminton-Nationalspieler und verfügt über vielfältige Erfahrungen im Coaching und in der Beratung von Spitzensportlern und Mannschaften.

www.dhfpg-bsa.de