Training oder nur Arbeit?
4. August 2018
35 Jahre BSA-Akademie – 10 Jahre DHfPG – Einweihung Gebäude 3
4. August 2018

Warum es sich lohnt über den „grossen Teich“ zu schauen

Nachdem ich ganz neu, quasi aus dem Studium in der Fitnessbranche als Unternehmensberater gestartet war, überzeugte mich mein damaliger Geschäftspartner Edy Paul, 1990 die IHRSA Frühjahres-Konferenz  in Dallas/Texas zu besuchen.

Und bereits dort traf ich interessante Kollegen, mit denen ich teilweise noch heute in Kontakt und Austausch bin, u.a. Winfried Horstenkamp von der Oase in Bochum, Hans Muench, damals bei Life Fitness, Werner Pfitzenmeier, Dieter Lagerström und Elmar Trunz vom IPN. Insgesamt trafen sich in Dallas ca. 30 Vertreter aus dem deutschsprachigen Raum, allesamt heute noch aktiv und erfolgreich. Seitdem war ich zwar nicht jedes Jahr aber sicher über 20 Mal „zur IHRSA“ in die USA gefahren, auch 2018 und 2019 in San Diego ist bereits gebucht. Was mich allerdings wundert, ist, dass sich trotz des enormen Branchenwachstums die Gruppe der „deutschsprachigen“ bei der IHRSA nicht signifikant erhöht hat. Inzwischen ist die deutschsprachige  Sektion – inklusive Schweiz und Österreich umfasst sie fast 100 Mio. Menschen – mit max. 30 bis 50 Teilnehmern relativ schwach vertreten. Es sind grosse Gruppen, aus Spanien, Russland, aber auch Italien und Frankreich dabei, sozusagen nur die Deutschsprachigen fehlen. Warum?

David Barton ist einer der weltweit innovativsten Club Designer, seine Clubs sind legendär, im persönlichen Austausch erfäht man mehr über das „warum“. Hier mit Barbara Lohse (Goethe Uni Frankfurt/Beraterin PRIME TIME fitness)

Sicher hat der Fitnessmarkt in Deutschland Hochkonjunktur, ein jährliches Wachstum von zwei bis vier Prozent ist konstant. Viele Betreiber haben etablierte Geschäftsmodelle, die „laufen“. Einige auch gerade lokale Ketten haben zusätzlich Discountableger gegründet. Auch einige weltweite Innovationen wie z.B. EMS Studios, allen voran Bodystreet, haben ihren Ursprung in Deutschland. Auch im gesundheitsorientierten Training bzw. in der Trainingswissenschaft sind wir in DACH auf internationalem Top-Niveau, wenn nicht sogar führend. Die grösste Innovation aber aus Deutschland sind die Discounter, erfunden durch Rainer Schaller (McFIT). Diese bahnbrechende Innovation vollzog sich erst still und leise, zwischenzeitlich unübersehbar und in andere Länder exportiert und auch kopiert.

Lohnt sich eine Reise in die USA nicht?

Auf jeden Fall! Alle sprechen von disruptiven Märkten, Veränderungen, Umwälzungen etc. Man denkt, dies sei in der Welt des Internets und der Globalisierung neu, ist es aber nicht. Innovationen fallen auch nicht plötzlich vom Himmel, sondern sie entwickeln sich etwas sozusagen als Nebenstrang und auf einen Schlag kommt der radikale Umschwung und das innerhalb von wenigen Jahren.

Es gibt zwei berühmte Fotos aus New York, bereits damals eine Metropole, das eine von 1900 zeigt die Strassen voller Pferdekutschen und dazwischen ein Auto, das andere aus dem Jahre 1912 zeigt die Strassen voller Autos und nur noch eine Pferdekutsche. Innerhalb von zwölf Jahren wurden ganze Industrien und Geschäftsmodelle quasi zerstört, Pferdezucht, Hufschmiede, Ställe etc. und die Autoindustrie entstand.

Soul Cycle beweisst, dass man an den teuersten Innenstadtlagen erfolgreich Fitness betreiben kann. Inzwischen gibt es genauso wie von Barry`s Boot Camp auch „Kopien“ in Deutschen Grossstädten.

Es  liegt in der Natur des Menschen, vorsichtig zu sein. Die Menschheit hätte evolutionär in der Steppe nicht überlebt, wenn man furchtlos und risikobewusst gewesen wäre. Aber sind wir inzwischen nicht ein bisschen zu bequem, wenn nur ein Bruchteil der Führungskräfte andere Märkte analysieren und sich beispielsweise auf den Weg in die USA machen? Wenn man ein etabliertes Fitness-Geschäftsmodell, am besten als lokaler „Hero“ in kleinen Städten und Agglomerationen betreibt, ist es sicher ausreichend national, also im eigenen Land zu schauen, z.B., was in den Grossstädten passiert. Die meisten Innovationen treten erst in den grösseren Städten auf wie beispielweise Kieser Training, EMS,  aber auch Discount Konzepte. Es gibt aber auch Ausnahmen. Konzepte wie z.B. Clever Fit, die eine Mischung sind aus etabliertem lokalen Fitnessclub und Discount-Elementen. Wenn ein Clever Fit oder ein ähnlich positionierter „Premium“-Discounter in eine Klein- oder Mittelstadt kommt, wird es „interessant“ für den lokalen Gesundheitsclub. Dann ist Positionierung gefragt und eine klare Marketingstrategie, d.h. ein klar verständliches Geschäftsmodell, das erklärt, warum man als Gesundheitsclub mindestens doppelt so teuer ist.

Als ich 2008 bei Fitness First ausschied mit einem zweijährigen Wettbewerbsverbot im „Gepäck“, stand ich vor der Frage: „Was nun, was tun?“ Das Angebot als Dozent für die DHfPG habe ich gerne angenommen und bin noch heute begeistert „lehrend zu lernen“. Nachdem ich bei TC Training Center und Fitness First Konzepte gemanagt habe, die ich nicht selbst „erfunden“ habe, war der innere Antrieb gross, etwas Eigenes zu etablieren. Ein Discounter oder ein Mikrostudio kamen für mich nicht in Frage. Persönlich bin ich kein „Discount-Typ“. Ich liebe Service und die Gastgeberrolle. Mikrostudios wiederum lassen sich schwierig als Filialen betreiben, sondern eher als Franchise. Deshalb bin ich im Herbst 2008 zum EU IHRSA Kongress nach Lissabon gefahren und dort auf das amerikanische Anytime Fitness Konzept gestossen, welches mir auf Anhieb gut gefiel. Die Idee vertiefend bin ich in kurzer Folge im Januar 2009 zur Anytime Zentrale nach Hastings/Minnesota und zum IHRSA-Frühjahreskongress nach San Francisco geflogen. Zudem habe ich viel gelesen, Marktberichte studiert. Anytime Fitness-Filialen und den Konkurrenten Snap und deren Marktumfeld habe ich in allen Varianten und verschiedenen Städten analysiert. Insbesondere war wichtig zu eruieren, wie solche „Boutique“-Clubs gegen grössere „Big Box Clubs“ direkt nebenan bestehen können. Dann stand der Entschluss fest, so ein kleines, kompaktes Gym zu eröffnen. Gute Ausstattung, persönliche Atmosphäre, Reduktion auf das Wesentliche, das sollte „mein Ding“ werden.

Allerdings hätte bei Anytime die Masterfranchise signifikante Teile des Eigenkapitals absorbiert. In den USA sind die Anytime-Fitness-Gyms auch fast ausschliesslich an „dörflichen“, wohnortnahen Standorten, meist innerhalb der für Amerika typischen Nahversorgungszentren. Die Idee verfestigte sich, eine Art urbanes Anytime zu implementieren, quasi ein „schickes“ Gym fokussiert auf das Wesentliche.

PRIME TIME fitness ist vom Grundsatz her ein amerikanisches Konzept. Frankfurt, als die amerikanischste aller deutschen Städte für den ersten Club in bester Lage stand fest. Die Standortsuche dauerte mehr als ein Jahr, denn einen Fehlschlag konnte ich mir nicht leisten. Einige Innovationen wurden gleich zu Beginn implementiert, Gantner Fingerprint Check-in statt Theke oder Rezeption. Ein milon-Zirkel, wiederum eine deutsche Innovation, wurde erst kurz vor Eröffnung bestellt, denn der Vorverkauf lief über den Erwartungen und auf 500 Quadratmeter über 1000 Member “unterzubringen“, braucht effektive und effiziente Konzepte.

Aber auch unser Konzept hat tagsüber schwächer frequentierte Zeiten. Viele Clubs versuchen das mit „Split Shifts“, also angepasster Schichtplanung zu kompensieren. Qualitativ kamen für mich aber eigentlich nur Acht-Stunden-Schichten mit festangestellten Trainern in Frage. Aus Amerika wussten mein Team und ich, dass Personal Training dort sehr erfolgreich ist, in Deutschland aber quasi unterhalb der Wahrnehmungsgrenze lag. Mit PT kann man Trainer gut im Sinne der Member „beschäftigen“. Da „der Deutsche“ aber ein Abo-Typ ist und nicht gerne einzeln bezahlt, erfanden wir das Personal-Trainings-Abo. Auch nicht alleine unsere Idee. Joe Circuli aus Gainesville/Florida machte das schon länger und auch diesen Club besuchten wir, um uns zu inspirieren. Da ich Joe von den IHRSA-Konferenzen her kannte, bekamen wir Insider-Informationen hierzu, die wir auf dem deutschen Markt anpassten.

Im Frühjahr 2013 trafen wir bei der IHRSA-Konferenz zum ersten Mal auf das Orange Theorie HIIT-Trainingskonzept. Auch im, auf das Training konzentrierte PRIME TIME fitness-Konzept, gab es Mitglieder die unterhalb jeglicher Trainingsreizschwelle „stundenlang“ die Cardiogeräte zeitlupenartig bewegten. Orange Theory bietet ein pulsgesteuertes Zirkeltrainingskonzept. Wesentliche Elemente davon inkl. des Activio Herzfrequenzsystems wurden mit dem dritten Club 2014 in Sachsenhausen implementiert und sind seitdem Standard bzw. wurden in den bestehenden Clubs nachgerüstet. Über eine Studie gemeinsam mit InBody konnte nachgewiesen werden, dass neue Mitglieder in Sachsenhausen signifikant schneller ihren Körper umbauen konnten (Fett raus, Muskeln rein) als in den Clubs 1 und 2.

Das Orange Theory Hiit Trainingskonzept ist eines der schnellstwachsenden Boutique Konzepte in den USA.

Ich will nicht weiter aufzählen, welche weiteren Dinge wir von den IHRSA-Konferenzen mitbrachten, aber die Small Group PT Trainings und Small Group Kurse sind stark an Barry`s Boot Camp angelehnt. Keiser Air Maschinen im echten Einsatz und in allen Varianten gab es 2015 auch fast ausschliesslich in den USA. Wir waren auch unter den ersten, die den Freihantelbereich quasi komplett in Eleiko-Qualität ausstatteten. Auf der FIBO war Eleiko kaum zu finden, in den USA präsent. Inzwischen sind solche Ausstattungen auch in anderen Studios Standard. Aber wenn man ein urbaner Premium-Trainingsanbieter sein möchte, dann muss man Dinge „aus erster Hand“ implementieren und nicht z.B. beim „Nachbarn“ abschauen.

Im Herbst bin ich auf der IHRSA-Konferenz in Lissabon und freue mich, z.B. im Rahmen der Club Touren, die Fitness Hut Clubs anzuschauen. Fitness Hut ist eine der schnellst wachsenden Premium-Discount-Ketten. Sie haben sowohl innovative PT als auch Kleingruppen-Trainingskonzepte. Schon allein das wird die Reise wert sein. Und selbst wenn man mal nichts oder wenig „mitnehmen“ kann, was eigentlich nie vorkommt, bringt es jedem Teilnehmer unternehmerische Sicherheit top informiert zu sein.

Henrik Gockel

Geschäftsführer PRIME TIME fitness GmbH Frankfurt a.M. und Dozent der DHfPG (Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheit)