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Wer Glück sucht, der wird Unglück finden

In dieser Kolumne geht es um mentales Gewichtheben.
Wahre Fitness trainiert beides, physische als auch psychologische Muskeln. Viel Spass beim neuronalen Schwitzen.

Die meisten Menschen streben nach Glück. Es gibt da jedoch ein Problem. Denn auch in Sachen Glück gibt es ein Paradox, dass als Gesetz der Umkehrung bekannt ist. Je mehr man nach dem Glück sucht, desto unglücklicher wird man, weil das Negative bewusster erlebt wird. Das gilt auch für das Geld. Je wichtiger uns Geld ist, desto ärmer fühlen wir uns, ganz unabhängig wie viel man schon davon hat. Je wichtiger uns das Aussehen ist, desto hässlicher fühlt man sich, wenn etwas nicht stimmt. Je zentraler die eigene Fitness im Leben wird, desto unfitter fühlt man sich, da es noch so vieles zu trainieren gibt. Und je stärker man sich eine Partnerschaft wünscht, desto einsamer fühlt man sich (und wirkt unattraktiver auf andere).

Wer also nach dem Glück jagt, der verjagt es. Geld und Status kann man besitzen. Glück nicht. Auch deswegen, weil Glück sich wie die Liebe nicht exakt definieren lassen. Die intensive Suche nach Glück macht entsetzlich unglücklich. Das wusste schon Platon. Wir alle haben schon sehr glückliche Momente erlebt. Aber sobald wir das Glück festhalten wollen, dann verflüchtigt es sich. Ich behaupte: Wenn Glück Ihr Ziel ist, dann ist Ihr Ziel im Weg. Das Glücklich sein kann man weder herbeireden noch kann man es erzwingen. Man kann es jedoch wahrscheinlich machen, dass es – quasi als Nebeneffekt – auftaucht. Wie das? Dazu später mehr.

Damit das persönliche Glück so richtig einschlägt muss man – so meinen viele Menschen – sich zuerst mal selber finden. Dafür buchen sie teure Selbstfindungskurse, belegen Kloster-Auszeiten oder entschleunigen in edlen Wellness-Resorts. Man will die eigene Mitte finden. Meine Lösung dazu. Messen Sie Ihre Körpergrösse und halbieren sie die Zahl. Voilà.

Sich selber zu finden, halte ich für keine gute Idee. Warum? Weil die Frage «Wer bin ich?» falsch gestellt ist. Auf eine falsch gestellte Frage kann es keine richtige Antwort geben. Diese falsche Frage geht davon aus, dass unser ICH ein fertiges Produkt ist und losgelöst von der Umwelt existiert. Beides ist falsch. Der Mensch ist ein ständiges Werden und er ist ein soziales Wesen, das sich mit der Umwelt ständig austauscht. In der Begegnung mit anderen – sei es beruflich oder privat – erfahren wir uns selbst. Wir beeinflussen unsere Mitmenschen, wie auch sie uns beeinflussen. Wir brauchen die anderen, um uns selber zu sehen, zu erfahren und uns zu entwickeln.

Wer sich in ein Kloster einsperren lässt, der handelt egozentrisch. In einer ruhigen Umgebung und in einem völlig anderen Kontext als im Alltag, kreisen dann die Gedanken um sich selber. Das kann man gut finden oder nicht. Es bleibt aber in jedem Fall nur konzentrisch. Im Krafttraining gibt es zwei dynamische Phasen der Muskelkontraktion. Die konzentrische und exzentrische. In der exzentrischen Phase, das ist unbestritten, können wir vom Training mehr profitieren. Denn in der exzentrischen Phase kann mehr Spannung erzeugt werden. Und darum geht es ja im Krafttraining. Aber auch im Leben. Das eigene Leben spannend erLEBEN. Dazu brauchen wir andere Menschen. Der Mensch als soziales Wesen sollte primär exzentrisch «arbeiten». Exzentrisch, dass heisst; weg vom Zentrum, um paradoxerweise mehr über sich zu erfahren. Wer sich ständig mit sich selber beschäftigt, konzentrisch (zum Zentrum) agiert, um seine Mitte zu finden, der befindet sich in einer mentalen Sackgasse, weil das Zentrum das Aussen für seine Existenz braucht. Gehen wir ins Extreme: Was wäre überhaupt gewonnen, wenn man sein ganzes ICH voll ausgeleuchtet hätte und die eigene Mitte grell im Scheinwerferlicht seziert hätte?

Es wäre keine gute Sache, denn würde man sich ganz kennen, so gäbe es bei sich selber nichts mehr zu entdecken. Aber so wie das Leben ein Geheimnis ist, so sind wir es auch selber. Für uns, wie auch für andere. Dieses Nichtwissen über uns und über unsere Zukunft, das macht das Leben zur wertvollen Entdeckungsreise. Zudem sind wir alle mehrschichtig. Im Austausch mit anderen Menschen verhalten wir uns jeweils ganz anders und zuweilen gegenteilig. Dazu benützen wir auch andere Wörter. Zum Beispiel reden wir mit dem Chef höflich, mit einem Kind kindisch, mit einem Freund kollegial, mit den Eltern defensiv, mit dem Geschäftspartner souverän und am Männerabend derb.

Wo ist da nun genau meine Mitte und wo mein wahres ICH? Der Mensch hat viele Facetten und ohne die anderen, könnten wir diese nicht entdecken. Der Mensch ist ein soziales Wesen und im Austausch mit anderen ein handelndes. Durch unser Handeln und dem Austausch mit anderen Menschen formen wir uns selbst aus. Das, was wir immer wieder tun, das wirkt auf uns zurück.

Dieses Handeln und diese Rückwirkung auf uns selbst, die ist vielen nicht bewusst. Wenn man die Leute nach dem Beruf fragt, (machen Sie das einmal) dann antworten sie: Ich BIN Fitnesstrainer, ich BIN Centerleiter, ich BIN Personal Trainer usw. Das ist aber immer eine falsche Antwort. Denn im Beruf wird man gewöhnlich nicht dafür bezahlt, wer man ist, sondern für das, was man tut. Sie werden fürs TUN bezahlt und nicht für das SEIN. Die richtige Antwort wäre also: Ich arbeite als Personal Trainer/Fitnesstrainer/Centerleiter (und diene meinen Kunden). Bezahlte Arbeit ist immer Arbeit für andere. Und wenn die eigene Arbeit Probleme von Kunden löst oder noch besser, die Lebensqualität der Kunden erhöht, dann ist logischerweise keine Arbeit sinnlos.

Und darum geht es letztendlich im Leben. Den persönlichen Lebenssinn finden. Nicht uns selber! Diese Sinnsuche ist höchst individuell. Was den einen glühend fasziniert, lässt den anderen völlig kalt. Die persönliche Suche nach dem Sinn ist unsere Hausaufgabe und für ein gelungenes Leben obligat. Nicht die Selbstverwirklichung macht den Menschen glücklich, sondern die Sinnerfüllung.

Ob beruflich oder privat. Anderen Menschen zu helfen, einen Unterschied für sie zu machen, zu wissen, dass es auf mich ankommt und dass man gebraucht wird. Das alles ist erfüllend und es macht brutal glücklich. Je mehr sich der Mensch selbst vergisst und sich einer – seiner – Sache hingibt, desto mehr verwirklicht er sich selbst. Selbstverwirklichung stellt sich dann von selbst ein, als eine Wirkung von Sinnerfüllung, aber nicht als deren Zweck. Und genauso ist es mit dem Glück. Das Glücklichsein bricht dann während der sinnvollen Tätigkeit in uns aus.

Sich an einer Sache abarbeiten und sich dabei selber zu vergessen. Sich für etwas hingeben, das grösser ist als das eigene Ich. An etwas wirken, das uns überdauern wird, wie zum Beispiel eine Firma, eine Stiftung oder die Beschäftigung mit einem Kind. Das alles ist sehr beREICHernd. Ein Millionär dagegen, der immer nur auf seinen Vorteil aus ist und zu Hause alleine sein Geld zählt, der ist aus dieser Perspektive gesehen ausgesprochen arm. In der persönlichen Sinnfindung sollten wir ganz aufgehen, uns darin verlieren, um damit gleichzeitig das wahre Leben – nicht uns selbst – zu finden.

Sich in sich selbst zu graben, um mit sich ins Reine zu kommen – was immer auch das bedeuten soll – das ist pure Konzentrik. Wahres Glück und wahres Leben befinden sich jedoch in der Exzentrik.

Eric-Pi Zürcher

War früher über Jahre als Personal Trainer tätig und arbeitet nun beim FC Thun als Konditionstrainer.

E-mail: eric-pi@bluewin.ch