Wie können Fitnessunternehmer den Lockdown mit möglichst geringem Umsatzschaden überstehen?
5. Juni 2020
Neustart nach Corona
5. Juni 2020

Willkommen in der ungewissen Welt

Roger Gestach bat mich, etwas über die Corona-Pandemie zu schreiben. Ich fand die Idee zuerst unsympathisch. Ganz ehrlich; Corona nervt. Aber der Lockdown kastriert(e) ja fast die ganze Wirtschaft und deswegen ist auch die Fitnessszene gefordert. Also fangen wir an: Sehen Sie sich bitte die Skizze A an. Sie sehen zwei Felder; Im Leben gibt es Gewissheiten & Ungewissheiten.

Gewissheit

Die meisten Menschen glauben, dass vieles in ihrem Leben gewiss ist. Doch wer über Gewissheit profund nachdenkt, der merkt, dass im Leben sehr wenig gewiss ist. Das Feld der Gewissheiten ist ein kleines. Der eigene Tod ist uns gewiss. Das ist für die meisten Menschen ein unfreundlicher Gedanke und deshalb wird diese Gewissheit oft verdrängt.

Ungewissheit

Fast alles in unserem Leben ist ungewiss. Viele Menschen sind erstaunlich blind gegenüber dieser Tatsache. Ihr Job, die allgemeine Wirtschaft, Ihre Gesundheit, Ihre Sicherheit, Ihre Liebesbeziehung usw. Sie sind alle flüchtig und somit immer ungewiss. Im Leben können wir nicht alles im Griff haben. Warum? Weil wir nicht alle Risiken und Gefahren kennen. Woher wissen Sie, dass z. B. Ihre Beziehung bis zum Sommer noch hält? Haben Sie anfangs Jahr geglaubt, dass alle Fitnesscenter im Frühling über Wochen komplett geschlossen sein werden? Eben. Glauben Sie nicht den Experten, die behaupten, sie hätten den Durchblick. Wahr ist: Wir Menschen kennen eben NICHT alle Risiken und Ungewissheiten, die uns in dieser komplexen Welt begleiten. Die aktuelle Pandemie, die Bankenkrise im 2008, SARS im 2003, aber auch die Rinderwahnsinn-Krise usw. beweisen das eindrücklich.

Wir wissen viel weniger, als wir zu wissen glauben. Unsere Gewissheit ist oft eine Illusion. Das hohe Sicherheitsbedürfnis, welches viele Menschen haben ist gefährlich. Es hindert uns oft daran, sich der realen Ungewissheit zu stellen, die das Leben mit sich bringt.

Weil der Mensch aber ein uraltes Bedürfnis nach Gewissheit hat, plant er gerne seine Zukunft. Zum Beispiel wie folgt: Studien-abschluss, Karriere, tolles Auto, ein vollkommener Partner, schmuckes Haus, gelungene Kinder usw. Doch dann grassiert eine Pandemie mit anschliessender Wirtschaftskrise. Dann geht die Firma und der Arbeitsplatz verloren und als Extrakick erfährt man, dass der Partner fremdgegangen ist. Dieses Szenario ist nicht lustig. Doch man kann sich fragen: War dieses Durchorganisieren und Durchplanen für ein gelungenen Lebensweg nicht eher das Problem als die Lösung? Verstehen kann man das Leben nur rückwärts; leben muss man es aber vorwärts. (S. Kierkegaard)

Viele stellen sich Erfolg als lineare Kurve vor, die am besten immer steil ansteigt. Dellen oder gar grosse Knicke sind darin nicht vorgesehen. Der lebensechte Erfolg sieht aber anders aus. (siehe Skizze B)

Es ist normal, dass man sich bei einer Krise Sorgen macht. Doch vergessen wir nicht: Alles Leben ist Problemlösen (K. Popper). Was uns im Leben geschieht, das mag nicht unsere Wahl gewesen sein. Wie wir darauf reagieren, aber schon.

Deswegen müssen wir uns bewegen. Nicht nur im Training, sondern auch gedanklich. Und wenn man sich gedanklich bewegt, und eine Strategie verfolgt, dann merkt man rasch; Geht es dabei bergab oder bergauf? Je länger man merkt, dass es nur noch bergab geht, desto wichtiger wird die Kurskorrektur. Ein andere Richtung (Strategie oder Geschäftsmodell) wird fällig. Seitwärts oder bergauf? Wer nur immer bergauf geht, der wird den Gipfel kaum erreichen, denn er wird an Stellen kommen, wo es dann einfach nicht mehr weitergeht. Derjenige, der auch andere Richtungen kennt und geht – ob seitwärts oder gar abwärts – der kann langfristig den Gipfel erreichen.

Ein Blick zur Natur kann uns da weiterhelfen. Warum das? Ganz einfach, Die Natur ist das erfolgreichste Unternehmen aller Zeiten. Sie hat nie Pleite gemacht. Dabei muss sie ökonomisch denken. Auf keinem Markt herrschen so harte Bedingungen wie in der Natur. Es geht nicht nur ums Fressen und Gefressen werden. Das Prinzip der Konkurrenz herrscht überall. Um Futter, Fortpflanzungspartner, Jagdreviere, Ruheräume usw. Darwin beschrieb das Ganze als struggle for life. Der Kampf ums Dasein.

The survival of the fittest bedeutet aber nicht – wie oft falsch übersetzt – der Stärkste überlebt, sondern, das Lebewesen (oder die Firma) überlebt, dass sich an die neue Umweltbedingung (Corona-Pandemie) am besten anpasst. Der stärkste Organismus kann nicht überleben, wenn er sich nicht an die neue Bedingungen anpasst. Lösungen, die unter den neuen Bedingungen nicht mehr funktionieren, sterben aus. Die Natur ist da unerbittlich. Sie verhandelt nicht.

Im Zen Buddhismus wird gelehrt: Das menschliche Leid beginnt dann, wenn wir die Spannung zwischen dem was ist und unserer Vorstellung wie es sein sollte, nicht befrieden können. Wir alle gehören zur Gattung des homo sapiens (der denkende/weise Mensch). In der Krise können wir  beweisen, dass der homo sapiens kein Etikettenschwindel für uns ist. Wir müssen lernen, mit der Ungewissheit zu leben. Dabei sind Überraschungen unvermeidlich. Das Leben ist kein Zustand, sondern Bewegung. Seit Heraklit wissen wir: Alles fliesst. Man kann nicht zweimal im selben Fluss baden, denn andere Wasser strömen nach. Im Fliessen steckt die Kraft der Veränderung. Die positive Seite der Veränderung heisst Adaption. Das ist wie im Training mit der Superkompensation. Gäbe es die Superkompensation nicht, dann würde Training keinen Sinn machen. Anders als eine Maschine, kann sich ein lebendes System wie der Mensch es ist, immer wieder neu in Ordnung bringen und dazu lernen. Der Mensch hat die Kräfte der Selbstorganisation und Selbstentwicklung in sich inne. Ungewissheit ist die Bedingung, die den Menschen zur Entfaltung seiner Kräfte zwingt (Erich Fromm).

Ob Mensch oder Firma; ein System, das sich äusseren Einflüssen verschliesst, ist nicht lebensfähig. Das viel zitierte ökologische Gleichgewicht ist ein Trugbild. Jegliche Entwicklung käme in der Natur zum Erliegen würde das ökologische Gleichgewicht dauerhaft existieren. Dasselbe gilt für das Wirtschaftsleben. Auch wenn es paradox klingt. Nur dank Ungleichgewicht (Störung) kann es Gleichgewicht (Harmonie) geben. Das Leben braucht beide Pole.

Der Stoffwechsel ist ein Grundprinzip allen Lebens. Bleiben Sie deshalb in ständigem Austausch mit der Umwelt in welcher Sie sich und Ihre Firma befinden. Dabei gehören Ungewissheit und Unsicherheiten dazu. Um lebenstauglich zu sein, müssen wir den mentalen Sicherheitscontainer und die Illusion «Alles-im-Griff-zu-haben» immer wieder verlassen. Und falls etwas nicht klappt. Jammern ist ein Zeitvernichtungshobby, welches Sie sich nicht antun sollten. Ändern statt ärgern halte ich daher für einen wertvollen und praktischen Gedanken. Gerade in der Krise. Und wenn Sie eine Führungskraft sind: Genau in kritischen Momenten gilt es präsent zu sein. Genau da zeigt sich die Qualität der Führungskraft. Wenn alles rund läuft, dann braucht es keine Führung.

Eric-Pi Zürcher

War früher über Jahre als Personal Trainer tätig und arbeitet nun beim FC Thun als Konditionstrainer.

E-mail: eric-pi@bluewin.ch