Fitness 4.0 – Mehr Qualität durch Digitalisierung?
7. Juni 2019
Aufstiegskongress – Der offene Fachkongress der Zukunftsbranche
7. Juni 2019

Der Zirkus mit dem Knie – was bei Kniebeschwerden beachtet werden muss

Spezifisch unspezifische Kniebeschwerden sind allgegenwärtig – die Ärzte diagnostizieren entweder Arthrose, Meniskus-Abnutzung, Probleme mit den Bändern oder Überlastung. Spezifisch aus der Sicht der Ärzte, unspezifisch aus der praktischen Erfahrung daraus – deshalb nennen wir sie nun mal spezifisch unspezifisch!

X-Beine sind auf Grund der untrainierten Stelzen ebenfalls auf dem Vormarsch, O-Beine sehen wir zwar weniger häufig, trotzdem oft genug – beide über kurz oder lang lösen Beschwerden aus.

Massnahmen gegen O- und X-Beine nicht zu Ende gedacht.

Lassen wir mal ausser Acht, dass die Fuss-, Hüft- oder Beckenstellung erfolgsentscheidend sein kann, für das Beheben bzw. Verbessern von Kniefehlstellungen, gelten nach wie vor folgende Indikationen:

O – Bein = Adduktoren stärken, Abduktoren dehnen

X – Bein = Adduktoren dehnen, Abduktoren stärken

Abbildung 1

Klar kommen noch etliche andere Massnahmen dazu, doch sind die oben genannten Massnahmen wirklich korrekt? Allein mit der topographischen Anatomie aus den Lehrbüchern und der herkömmlichen funktionellen Anatomie wäre dies sicherlich die richtige Indikation. Um diese Frage aber abschliessend zu beantworten, müssen wir über die fazialen Strukturen des Oberschenkels Bescheid wissen. Zudem müssen wir das „lokale Denken“ endlich weglegen und alles ganzheitlicher anschauen.

Betrachten wir den Winkel im Knie lokal, so scheint der Fall klar; Bei X-Beinen sind die äusseren Gelenkteile unter Druck, bei O-Beinen entsprechend die inneren Anteile. Stärke ich nun bei den O-Beinen die Adduktoren, erhoffe ich mir, dass sich die Oberschenkel wieder mehr zur Mitte hinbewegen, also in eine Adduktion im Hüftgelenk. Zusätzlich löse ich die Abduktoren, damit diese etwas loslassen. Aus der muskulären und lokalen Betrachtungsweise macht dies, wie schon gesagt, zu 100% Sinn. Doch wie sieht es aus, wenn ich die Strukturen, welche über das Knie laufen, berücksichtige?

Betrachten wir Abbildung 1, so sehen wir die muskuläre Situation bei X-Beinen; rot sind die Adduktoren markiert, welche vermeintlich „verkürzt“ sind, blau die Abduktoren, welche vermeintlich in einer Verlängerung oder, wie es umgangssprachlich oft genannt wird, schwach sind!

Folge dessen werden wir die Adduktoren dehnen und die Abduktoren kräftigen. Daran ist grundsätzlich nichts Falsches.

Die „lokale Denkweise“ beschränkt den Erfolg!

Wir vergessen dabei aber einen ganz wesentlichen Aspekt: Wenn wir innen und aussen der Beine jedoch eine Linie bis hinunter zu den Füssen ziehen und dabei den Bogen beachten (Abb. 2 linkes Bein), welche der beiden Linien ist dann länger und welche kürzer? Richtig, in diesem Falle ist es die äussere Linie, welche in einer Kürzung ist und die innere Linie, welche in einer Längung ist.

Aussen sprechen wir vom unteren Teil der Laterallinie, innen sprechen wir vom unteren Teil der tiefen Frontallinie. Würde ich jetzt mit diesem Wissen, aussen die Abduktoren stärken und die Adduktoren dehnen, dann hätte ich für die lokale Sichtweise das Richtige getan, jedoch nicht für die globale und myofasziale Sichtweise der Muskelketten.

Abbildung 2

Solange die myofasziale Kette im Aussenbereich der TIT (tractus iliotibialis), der M. tensor fascia latae, der mittlere Anteil des M. gluteus maximus und der M. peroneus longus, die alle zur Laterallinie gehören, als zusammenhängende Struktur nicht losgelassen und die Gleitfähigkeit über das Kniegelenk nicht hergestellt wird, werde ich keinen oder nur bedingten Erfolg haben.

Das Umgekehrte gilt für den inneren Bereich. Dehne ich die Adduktoren, welche übrigens mit dem M. iliopsoas, und der Beckenbodenmuskulatur über das Diaphragma bis zum Herzbeutel laufen und nachweislich eine Auswirkung auf den Herzschlag haben, dann ziehe ich diese Linie nur noch mehr in die Länge.

Die meisten Personen, die wirklich unter X-Beinen leiden, sind Frauen. Frauen sind erfahrungsgemäss von Natur aus beweglicher. Alle Frauen, bei denen ich X-Beine feststelle und die Adduktoren überprüfe, sind beweglich genug. Überprüfe ich hingegen den TIT, so wird eine enorme Spannung wahrgenommen. Auch wer mit der Blackroll arbeitet; die Aussenseite ist sehr oft die schmerzhafteste Stelle, was einerseits daran liegt, dass der TIT mit sehr vielen Nervenendigungen ausgestattet ist und dass es zwischen Oberschenkelknochen und Rolle nur eine relativ dünne Pufferzone in Form von Gewebe hat, wodurch der Druck und somit die Empfindung erhöht wird.

Unser Knie – der „Sündenbock“ zwischen Hüfte und Fuss

Doch wie dehne ich die laterale und mediale Seite des Kniegelenks? Die Antwort ist gar nicht! Das Problem liegt in der Rotation des Kniegelenks. Das gestreckte Kniegelenk lässt so gut wie keine Bewegung auf der Frontalebene zu.

Abbildung 3

Das Kniegelenk hat in der Geschichte der Evolution immer die „Sündenbockrolle“ zwischen Hüftgelenk und Fussgelenk eingenommen – es muss deren Scheisse ausbaden.

Die Fehlstellung kommt durch die Flexion/Extension auf der Sagittalebene, der innen/aussen Rotation auf der Transversalebene und als Begleiterscheinung eine Lateralisierung/Medialisierung des Unterschenkels im Kniegelenk zustande.

Obwohl wir das gestreckte Kniegelenk auf der Frontalebene nicht direkt dehnen können, müssen wir im Falle unserer X-Beine, wieder mehr Längung im lateralen Kniebereich und mehr Kürzung im medialen Bereich schaffen. Blicken wir noch einmal zurück auf die Abb. 2: Linkes Bein im Fussgelenk. Mit einer Valgusstellung im Knie folgt nach dem Gesetz der Biomechanik immer ein Valgus im unteren Sprunggelenk (USG), womit wir in einer Pronationsstellung oder eben in einem Senkfuss verweilen.

Betrachten wir weiter die Abbildung 3 des Präparates, welches den lateralen Bereich des Knies zeigt, sehen wir deutlich wie seitlich eine gerade Linie von oben nach unten über das Kniegelenk läuft. Weiter sehen wir aber auch, dass im unteren Bereich des Kniegelenks die Kniescheibe ebenfalls von Fasern des TIT dick eingepackt wird.

Beide Tatsachen widersprechen der Ansicht, dass ich den lateralen Bereich bei X-Beinen kräftigen soll. Denn damit würde ich diesen Strukturen noch mehr „Macht“ verleihen, womit die Knie-scheibe weiter nach aussen rotiert, und der laterale Kniewinkel weiter verengt wird.

Ich soll also die Abduktoren bei X-Beinen nicht auf trainieren? Doch sollt Ihr! Das Problem ist jedoch unter anderem, die sitzende Position beim Training der Abduktoren-Gruppe und, wie schon gesagt, das „lokale Denken“.

In der sitzenden Position geht die Spannung der Laterallinie, welche für die Beinachse entscheidend ist, in gewissen Bereichen verloren. Die Spannung auf die faszialen Strukturen, welche auf Abb. 3 die Kniescheibe umrundet, wird jedoch erhöht. Durch diese Erhöhung provoziere ich eine Stärkung dieser Strukturen, womit das Knie im gestreckten Zustand wieder mehr nach aussen gezogen wird. Was gut gemeint ist und auf vielen Umwegen vielleicht sogar zum Ziel führt, ist kontraproduktiv.

Betrachten wir auf Abb. 4 den unteren Teil der Laterallinie, so sehen wir, dass diese nur im stehenden Zustand in einem Gleichgewicht ist.

Abbildung 4

Des Weiteren ist die Indikation der Bewegung im sitzenden Zustand die falsche. Die Geräte sind so ausgerichtet, dass ich über ein Polster mit den Knien nach aussen drücke. Damit werden die Füsse, welche grundsätzlich vernachlässigt werden, einmal mehr nicht in der Bewegung integriert. Unserem Körper bringen wir damit neurologisch bei, dass wenn die Abduktoren aktiv sind, die Füsse bzw. Unterschenkelmuskulatur bitte inaktiv bleiben sollen. Dieser Aspekt der neuromyofaszialen Programmierung, wir nennen es Neuro Adjustments, gehen immer wieder vergessen. Das einzig richtige Gerät wäre eines, welches stehend ist und der Kraftaufwand der Abduktion aus den Füssen bzw. Pronatoren erfolgt. Wer weiss…, vielleicht liest ja irgendein Gerätehersteller diesen Artikel?

Doch wie soll ich jetzt Vorgehen bei X-Beinen? Dazu werden wir im nächsten Heft ausführlich berichten.

  • Übungen mit der Blackroll.
  • Übungen für die Beinachsenkorrektur.
  • Übungen für die Fussstellungen.
  • Worauf ich grundsätzlich noch achten muss?

Ronald Jansen

Gründer & Dozent der Academy for 360° Functional Kinetic Coach

Selbstständiger Personal Trainer, anerkannter Therapeut des Fasziendistorsionsmodell nach Typaldos, Vorstandsmitglied des Schweizerischen Personal Trainer Verbandes, Prüfungsexperte beim Schweizerischen Fitness- und Gesundheitscenter Verband.

www.360-FKC.com