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Mein Weg Zurück ins Leben

Ganzheitliche Therapie, ständiges Training und purer Wille

Daniel Landolt ist ein aktiver junger Mann, als er sich bei einem Sportunfall schwer verletzt und ab diesem Zeitpunkt fast vollständig gelähmt ist. Nur durch viel harte Arbeit kann er heute seinen Alltag wieder allein bestreiten. Wie er das mit dem ganzheitlichen Therapieansatz des Schweizer Paralegiker-Zentrums (SPZ) in Nottwil und einem gezielten Training geschafft hat, haben wir Daniel selbst sowie den Chefarzt Paraplegiologie und Rehabilitationsmedizin des SPZ, Dr. med. Michael Baumberger, gefragt.

FITNESS TRIBUNE: Herr Landolt, Sie hatten im März 2014 einen sehr schweren Sportunfall. Was war passiert?

Daniel Landolt: Bei einem Unfall während eines Plausch-Eishockey-Turniers habe ich mir den fünften und sechsten Halswirbel gebrochen. Durch die Brüche ist das Rückenmark gestaucht worden, was zu einer Lähmung meines Körpers führte. Es war mir nur noch möglich, die Schultern zu heben. Paradoxerweise habe ich vorher 20 Jahre lang unbeschadet aktiv Eishockey gespielt. Vor dem Unfall führte ich ein aktives Leben, ging einer Arbeit nach und bewegte mich viel, denn Sport war mir schon immer wichtig. Das hat mir auch nach dem Unfall sehr geholfen.

FT: Nachdem die Diagnose «inkomplette Tetraplegie», also die nicht vollständige Durchtrennung des Rückenmarks, gestellt wurde, erläutern Sie uns kurz Ihren Weg durch die einzelnen Behandlungsinstanzen?

DL: Im Kantonsspital St. Gallen wurden die Brüche zunächst durch zwei komplizierte operative Eingriffe stabilisiert. Man muss sich vorstellen, dass im Halsbereich sehr viele Nerven und Muskulatur aufeinandertreffen, die Richtung Kopf und Hirn laufen. Glücklicherweise wurden die Operationen hervorragend durchgeführt – dafür bin ich sehr dankbar. Nach einer Woche auf der Intensivstation und einer Woche auf der «normalen» Station wurde ich ins Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) nach Nottwil verlegt. Zu dieser Zeit waren zu meinem Glück bereits sehr kleine motorische Fortschritte erkennbar. Anschliessend war ich für rund sieben Monate in der Reha im SPZ in Nottwil. Nach gut drei Monaten war es mir bereits möglich, an den Wochenenden nach Hause zu gehen. Die Anfangszeit war natürlich sehr schwierig, da ich komplett auf Pflege angewiesen war – sei es für Essen, Trinken, Körperpflege etc. Was auch oftmals nicht erwähnt wird, ist die Tatsache, dass Blase und Darmtrakt bei handicapierten Personen nicht mehr oder nur noch teilweise wie gewohnt funktionieren. Diese Erfahrung war auch sehr einschneidend. Da die Verletzung am Rückenmark glücklicherweise inkomplett war, konnte ich durch tägliche stundenlange Therapie und ständiges Training Fortschritte im Bereich Motorik, Beweglichkeit und Selbstständigkeit erzielen. Diese Fortschritte gaben mir zudem auch Kraft und Motivation. Nach der Reha im SPZ führte ich zu Hause die Physiothera- pie und Ergotherapie fort und bereits nach wenigen Monaten habe ich zusätzlich mit Training im Fitnesscenter begonnen.

FT: Wie setzten Sie sich auch persönlich mit dieser schier un- vorstellbaren Situation auseinander?

DL: Selbstverständlich war es psychisch sehr schwierig für mich und natürlich auch für meine Familie und mein Umfeld. Dadurch, dass aber schon nach kurzer Zeit Fortschritte erkennbar waren, war ich grösstenteils sehr motiviert, hart zu arbeiten. Ich probierte einfach, «day by day» zu nehmen und möglichst wenig das zu studieren, was war und was noch kommt. Fast am schwierigsten waren die ersten ein bis zwei Jahre zu Hause nach der Reha. Ich musste mich an mein neues Leben als körperlich handicapierte Person gewöhnen, was viele Herausforderungen mit sich brachte, wie z. B. eine berufliche Neuorientierung. Auch aufgrund der Tatsache, dass viele Hobbys nicht mehr möglich waren und auch weiterhin nicht sind, musste ich mich komplett neu umschauen und herausfinden, was mir Spass machen könnte.

FT: Inwiefern konnten Sie in dieser schweren Zeit von den Eigenschaften eines Sportlers wie Ehrgeiz, Durchhaltevermögen und auch Motivation profitieren?

DL: Das war und ist absolut elementar. Wenn diese Eigen- schaften nicht vorhanden wären, wäre ich jetzt noch dauerhaft im Rollstuhl unterwegs und vermutlich 20 Kilogramm schwerer. Das kann man mit Sicherheit so sagen. Die Eigenschaft Geduld ist aber auch sehr wichtig in einer solchen Situation – das war für mich vielfach sehr herausfordernd und ist es immer noch.

FT: Das Ganze ist mittlerweile neun Jahre her. Wie geht esIhnen heute physisch wie psychisch?

DL: Ich bin glücklicherweise in allen Belangen komplett selbstständig im Alltag zu Fuss unterwegs. Mein Gehradius ist aber natürlich sehr eingeschränkt. Für Anlässe wie Konzerte oder auch Reisen bin ich meist noch mit dem Rollstuhl unterwegs, da ich auch nicht allzu lange stehen kann. Psychisch geht es mir gut, da ich ein sehr intaktes Umfeld in Form von Familie und Freundeskreis habe.

FT: Sie sagen, Sie trainieren, um Ihren Körper immer weiter erstarken zu lassen. Wie sieht so ein Training aus und wo führen Sie dieses durch?

DL: Meine durchschnittliche Trainingszeit pro Woche beträgt ca. acht bis neun Stunden. Ich trainiere entweder zu Hause oder im Fitnesscenter. Der Trainingsplan beinhaltet Kraft-, Beweglichkeits-, Sensomotorik- und Cardiotraining – also das ganze Spektrum. Mein Fortschritt kann natürlich in keiner Weise mit dem eines «unverletzten» Körpers verglichen werden. Da manche Muskeln oder Muskelgruppen besser oder schlechter innerviert (Anm. d. Red.: mit Nerven versehen) sind als andere, braucht es teilweise sehr viel Geduld, quasi Monate bis Jahre, bis nur kleinste Fortschritte erkennbar sind. Daher kann ich keine konkreten Trainingsziele oder Trainingspläne erstellen.

FT: Was sind Ihre Pläne für die Zukunft?

DL: Mein Ziel ist es, die höchstmögliche Lebensqualität zu erreichen – mit meinem körperlichen Handicap: im Bereich der Bewegung und Motorik, aber auch in allen anderen Lebensbereichen.

Daniel Landolt

Daniel Landolt (42) hatte im März 2014 einen schweren Sportunfall, bei dem er eine inkomplette Querschnittlähmung erlitt. Nach einer vollumfänglichen Neuorientierung absolviert er aktuell den Lehrgang «Fitness Trainer» an der SAFS – Swiss Academy of Fitness & Sports. Heute möchte er seine Geschichte und Erfahrungen weitergeben.

FITNESS TRIBUNE: Herr Dr. med. Baumberger, erläutern Sie uns bitte kurz Ihre Arbeit am Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil. Was zeichnet Ihr Zentrum in der Behandlung von Paraplegie aus?

Dr. med. Michael Baumberger: Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum, kurz SPZ, in Nottwil im Kanton Luzern, Schweiz, ist eine der weltweit führenden Spezialkliniken für die Rehabi- litation von Menschen mit Querschnittlähmung. Wir betreuen unsere Patientinnen und Patienten von der Akutphase bis zur Wiedereingliederung in das Gesellschafts- und Arbeitsleben. Dazu gehört auch die lebenslange ambulante Nachsorge.

FT: Daniel Landolt kam nach seinem schweren Unfall und einem längeren Krankenhausaufenthalt zu Ihnen ins SPZ. Die Diagnose: inkomplette Tetraplegie. Was versteht man darunter und welche Formen gibt es?

MB: Bei einer Tetraplegie liegt die Verletzung des Rückenmarks im Halswirbelbereich. Nebst den Beinen und dem ge- samten Rumpf sind auch die Arme und Hände von der Lähmung betroffen. Wie stark die Armfunktionen eingeschränkt sind, hängt von der Verletzungshöhe ab. Je weiter unten, desto mehr Restfunktionen bleiben in den Armen erhalten. Bei einer Tetraplegie ist auch die Atemmuskulatur mitbetroffen. Bei einer inkompletten Querschnittlähmung sind noch gewis- se motorische und sensorische Funktionen unterhalb der Lä- sionshöhe (Anm. d. Red.: Läsion = Verletzung oder Störung der Funktion eines Organs oder Körperglieds) vorhanden. Vereinfacht gesagt bedeutet dies, dass Herr Landolt nicht nur oberhalb, sondern auch unterhalb der Läsionshöhe gewisse Muskeln willkürlich ansteuern kann. Nebst der motorischen und sensiblen Lähmung ist auch das autonome Nervensystem mitbetroffen. Dieses ist zuständig für die Steuerung der Organe, wie z. B. Herz, Blase und Darm. Natürlich gibt es auch noch eine viel differenziertere und komplexere medizinische Definition, die auf den internationalen Standards für die neurologische Klassifikation einer Querschnittlähmung (Anm. d. Red.: International Standards for the Neurological Classification of Spinal Cord Injury, kurz ISNCSCI) basiert.

FT: Inwiefern gibt es für eine solche Diagnose einen klaren Behandlungsleitfaden? Welche Massnahmen werden kurzfristig nach dem Vorfall im Spital ergriffen?

MB: Es gibt für jede Läsionshöhe einer Querschnittlähmung Behandlungspfade. All diese haben zum Ziel, das beste Resultat für die bestimmte Läsionshöhe zu erzielen. Da Herr Landolt eine inkomplette Querschnittlähmung erlitten hatte, verfolgten wir bei ihm gleich mehrere rehabilitative Ziele, die ihm eine gute Erholung der initialen Lähmungserscheinungen ermöglicht haben.

FT: In Herrn Landolts Fall ging es nach einem zweiwöchigen Spitalaufenthalt erst ins SPZ. Mit welchen Therapieformen geht es dann in der Behandlung mittel- und langfristig weiter?

MB: Längerfristig ist es wichtig, dass die Betroffenen regel- mässig weiter trainieren – begleitet durch fachkundige Therapeutinnen und Therapeuten. Und dass die Betroffenen regelmässig von medizinischen Spezialistinnen und Spezialisten für Querschnittlähmung betreut werden. So werden unsere Patientinnen und Patienten auch nach ihrer Rehabilitation im Ambulatorium des Schweizer Paraplegiker-Zentrums behandelt, um mögliche Spätfolgen rechtzeitig zu diagnostizieren und zu therapieren.

FT: Wie war die Prognose aufgrund der Diagnose bei Herrn Landolt? Welche Therapieerfolge konnten erwartet werden?

MB: Da die Läsion von Herrn Landolt schon initial inkomplett war, waren wir optimistisch, dass sich die Lähmungserschei- nungen verbessern würden – obschon radiologisch im MRI (Anm. d. Red.: Magnetresonanztomographie, auch MRT) klare Zeichen einer Schädigung des Rückenmarks erkennbar waren. Diese Vernarbung wird auch immer sichtbar bleiben. Am Ende der Rehabilitation war Herr Landolt mit zwei Unterarmgehstüt- zen oder mit Nordic Walking Stöcken selbstständig gehfähig. Seit einigen Jahren habe ich Herrn Landolt nicht mehr gesehen, somit kann ich mich nicht zur aktuellen Situation äussern.

FT: Patientinnen und Patienten befinden sich, wenn sie im SPZ leben, in einer für gesunde Menschen unvorstellbaren Situation. Welche Leiden gehen meist Hand in Hand mit einer solchen Diagnose?

MB: Eine Querschnittlähmung ist eine sehr belastende Diagnose. Nicht nur der Patient bzw. die Patientin ist betroffen, sondern sein bzw. ihr ganzes Umfeld: Familie, Freunde, Berufskolleginnen und -kollegen sowie alle sozialen Kontakte. Ausserdem beschränken sich die Auswirkungen einer Querschnittlähmung nicht «nur» auf die Bewegung der Arme und Beine. Sie betreffen auch die Blasen- und Darmfunktion, die Funktion von Organen wie Lunge und Herz oder die Sexualfunktionen. Die Betroffenen sprechen oft vom «zweiten Leben» nach der Diagnose Querschnittlähmung. Diese Aussage verdeutlicht die Belastung der Diagnose und die Herausforderung, mit den neuen Lebensumständen umzugehen, am besten.

FT: Die Therapie hat ja zum Ziel, dass die Betroffenen ein höchstmögliches Mass an Funktionsfähigkeit und Selbstständigkeit zurückerlangen. Welche Rolle spielt im SPZ dabei die Sport- und Bewegungstherapie?

MB: Die Sporttherapie ist seit dem Beginn der modernen Querschnittrehabilitation einer der wichtigsten Pfeiler – so auch am Schweizer Paraplegiker-Zentrum in Nottwil. Es gibt auch einen spannenden historischen Aspekt dazu: Sir Ludwig Guttmann, Gründer der modernen Querschnittrehabilitation, war auch der Gründer der Paralympics. Am Tag der Eröffnung der Olympischen Spiele 1948 in London rief er die ersten Sportspiele für Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer ins Leben.

FT: Bei Herrn Landolt zeigte die intensive Therapie und Rehabilitation Wirkung. Mittlerweile hat er sehr viel Agilität zurück- gewonnen. Welche Bedeutung kommt Kraft- und Ausdauertraining dabei zu?

MB: Das Kraft- und Ausdauertraining ist sehr wichtig, um die erlangten Funktionen zu erhalten und um die meisten quer- schnittbedingten Begleiterscheinungen und Komplikationen zu vermeiden.

Dr. med. Michael Baumberger

Der Facharzt für Physikalische Medizin und Rehabilitation Dr. med. Michael Baumberger ist seit fast 30 Jahren am Schweizer Paraplegiker-Zentrum tätig und seit mehre- ren Jahren Chefarzt der Paraplegiologie und Rehabilitationsmedizin. Anfang Juli 2023 wird er sich in den Ruhestand verabschieden und seinen Chefarztposten an Dr. med. Björn Zörner übergeben.

Ambulatorium des SPZ

Weil Querschnittlähmung kein statischer Zustand ist, bedarf es einer lebenslangen Nachsorge, um medizi- nischen Problemen vorzubeugen und sie frühzeitig zu erkennen. Auch muss der Rehabilitationsprozess im ambulanten Verlauf regelmässig überprüft werden, damit die Patientinnen und Patienten eine bestmögliche Teilhabe und Lebensqualität erfahren. Unterstützung, Versorgung und Beratung finden Betroffene im Ambulatorium des SPZ.

Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum

Das Schweizer Paraplegiker-Zentrum (SPZ) gehört als Tochtergesellschaft zur Schweizer Paraplegiker-Gruppe (SPG). Das SPZ agiert als weltweit einzigartiges Leistungsnetz für die ganzheitliche Rehabilitation von Menschen mit Querschnittlähmung. Die SPG deckt vier Leistungsfelder ab: «Solidarität», «Medizin», «Bildung, Forschung & Innovation» sowie «Integration und lebenslange Begleitung». Den Grundstein für das einzigartige Leistungsnetz legte Guido A. Zäch 1975 mit der Gründung der Schweizer Paraplegiker-Stiftung. Der Chefarzt des damaligen Schweizerischen Paraplegikerzentrums in Basel war bereits in seiner Zeit als Assistenzarzt täglich mit der unwürdigen Situation von querschnittgelähmten Patientinnen und Patienten konfrontiert und beschloss, die Behandlung von Querschnittlähmung in eine neue Richtung zu bringen. Seitdem entwickelt sich das SPZ stetig weiter mit dem Ziel, Menschen mit Querschnittlähmung ein selbstbestimmtes Leben bei bestmöglicher Gesundheit zu ermöglichen sowie für das Thema Querschnittlähmung zu sensibilisieren. www.paraplegie.ch

Dienstag, 18. Juli 2023