„Fitnesstrainer sind Künstler!“ – Robert Winzenried im Porträt

Robert Winzenried blickt auf fast vierzig Jahre Erfahrung in der Qualifikation von Fitnesstrainerinnen und Fitnesstrainern zurück. Als andragogischer Leiter prägt er seit jeher massgeblich die inhaltliche und pädagogische Ausrichtung der Lehrgangsangebote der SAFS. Höchste Zeit für die FITNESS TRIBUNE, sich mit dem Architekten der Fitnessqualifikationen zum Interview zu treffen.

FITNESS TRIBUNE: Robert, du bist seit nunmehr fast 40 Jahren Dozent in der Schweizer Fitness- und Gesundheitsbranche. Wie bist du dazu gekommen?

Robert Winzenried: Ich bin bei der SAFS praktisch von Tag eins an dabei. Im allerersten Lehrgang war ich Teilnehmer und im zweiten schon Dozent. Ursprünglich komme ich vom Ringen und hatte immer schon ein Faible für Fitness beziehungsweise Training. Ausserdem habe ich das Studium zum Sekundarlehrer, also eine pädagogische Ausbildung, absolviert. In den Semesterferien arbeitete ich als Bademeister, um mein Studium und meinen Lebensunterhalt zu verdienen. In den Pausen waren die relevanten Themen Militär, Frauen und Geld. Militär war nicht meins und eine Frau hatte ich bereits. Aber das Geld fehlte noch. Deshalb wurde ich Unternehmer und habe im Januar 1986 mein Fitnesscenter eröffnet. Etwa zur gleichen Zeit wurde die SAFS gegründet und ich habe mich dort angemeldet, weil ich in meinem Studio auch Gruppenfitness anbieten wollte. Flavio [Bertozzi, Gründer der SAFS; Anm. d. Red.] fragte anschliessend nach Feedback, und ich sagte ganz direkt zu ihm, dass die Praxis super ist – aber die Theorie eine Katastrophe. Das Ergebnis aus diesem Gespräch war, dass ich fortan die Theorie übernommen habe.  

Wie war das in der Lehre damals? Wie kann man sich das so viele Jahre später vorstellen? Was waren damals die Herausforderungen und Besonderheiten?

Es war sehr viel Learning by Doing. In der Fitnessbranche gab es damals noch so gut wie keine Ausbildungen. Auch die SAFS hatte zu Beginn ausschliesslich Lehrgänge im Gruppenfitness angeboten. Ich habe die Teilnehmer gefragt, was sie interessiert oder was sie für ihre Arbeit brauchen. Dann habe ich mich in die Themen eingelesen. Etwa ein Jahr später haben wir bereits die ersten Fitnessausbildungen angeboten. Generell war damals die gesamte Fitnesslandschaft noch eine ganz andere als sie heute ist. Ich erinnere mich noch sehr gut: Als ich mein Center eröffnete, hatte ich auch vier oder fünf Fahrradergometer. Jeder kam zu mir und fragte mich, was ich mit dem „Kappes“ wolle. Sowas bräuchte doch niemand. Heute hat so gut wie jedes klassische Fitnessstudio einen gut ausgestatteten Cardiobereich und Ausdauertraining ist fester Bestandteil einer guten Ausbildung.

Nimm uns doch mal mit auf eine kleine Zeitreise. Was waren für dich die wesentlichen Meilensteine?

Nachdem wir zusätzlich zu den Gruppenfitnesskursen auch Fitnessausbildungen eingeführt hatten, gab es zehn Jahre später den ersten eidgenössischen Fachausweis. Das war ein grosser Meilenstein. Soweit ich weiss, waren wir das erste Land im deutschsprachigen Raum und möglicherweise sogar in Europa mit staatlicher Anerkennung. Letztes Jahr sind wir dann mit der SAFS Hochschule für Prävention und Bewegungsmanagement an den Start gegangen und bieten neben der beruflichen Ausbildung nun zwei praxisintegrierte Bachelorstudiengänge in der Schweiz an. Auch räumlich gesehen hat die SAFS eine enorme Entwicklung hingelegt. Anfangs haben wir uns für die Ausbildungen in Fitnesscentern eingemietet. Heute haben wir ein eigenes Bildungszentrum, das über dreieinhalb Stockwerke geht – mit Administration, diversen Schulungs- und Praxisräumen. Weitere Meilensteine sind meiner Meinung nach die SAFS Conventions, die bis heute noch vielen ein Begriff sind, und die Einführung von Les Mills in der Schweiz.

In 40 Jahren hat sich enorm viel weiterentwickelt. Wo sind dabei deiner Meinung nach die grössten Unterschiede?

Stillstand gibt es nicht. Weiterentwicklung ist stetig und permanent. Was mir besonders auffällt, ist, dass die Heterogenität der Teilnehmer heute viel grösser ist. Sie kommen aus unterschiedlicheren Beweggründen in die Fitnessbranche. Früher hatten wir Aufnahmetests, die man bestehen musste, um überhaupt an der Ausbildung teilnehmen zu dürfen. Das waren alles toptrainierte Fitnessbegeisterte. Heute ist das zum Teil anders. Aber das ist prinzipiell gut, weil auch die Klientel in den Fitnesscentern sehr viel differenzierter ist. Die Bedürfnisse der Kunden unterscheiden sich enorm. Der Beitrag, den wir heute für die gesellschaftliche Gesundheit leisten, ist sehr viel grösser. Damit geht einher, dass die Verantwortung der Trainerinnen und Trainer wächst – und damit auch die Verantwortung der Ausbilder.

Zudem ist natürlich auch bei uns die Digitalisierung ein zentrales Thema, das durch die Corona-Pandemie stark beschleunigt wurde. Wir hatten den Vorteil, dass wir vorher schon mit der Entwicklung unserer Lernplattform digital unterwegs waren. Die Einführung von hybrid-synchronem Angeboten, also Ausbildungen, die zeitgleich vor Ort und online stattfinden, war der nächste logische Schritt. Auch hier hat die SAFS eine Vorreiterrolle eingenommen. Renommierte Ausbildungsinstitute und Schulen kamen zu uns, um zu schauen, wie wir das umsetzen. 

Gibt es Momente oder Erfolge, auf die du im Besonderen stolz bist?

Ich war lange Mitglied in der Beratungsgruppe für Erwachsenensport Schweiz des Bundesamtes für Sport. Anfangs wurde ich als Fitnesstrainer oder Ausbilder im Fitnessbereich eher belächelt und nicht richtig ernst genommen. Aber irgendwann hat das Bundesamt für Sport bei der SAFS angefragt, ob sie unsere Schulungsunterlagen als Basis für ihre Ausbildungen nehmen dürfen. Das sind Momente, in denen mir klar wird, dass wir etwas erreicht und bewirkt haben. Ausserdem ist mir eine Geschichte noch in besonderer Erinnerung: Neben meiner Tätigkeit bei der SAFS war ich unter anderem als Referent bei der body LIFE in Karlsruhe. Beim ersten Mal war ich in einem Durchgang platziert. Das war schrecklich. Überall sind die Besucher rumgelaufen. Das nächste Mal bekam ich immerhin einen eigenen kleinen Raum. Und im dritten Jahr war ich dann schliesslich im Theatersaal mit circa 500 Zuhörern. Das war ein tolles, unvergessliches Erlebnis. Zudem bin ich tatsächlich einer der ersten Indoor-Cycling-Instruktoren. Meine Lizenz hat die Nummer 46 weltweit.

Gibt es für dich persönlich einen roten Faden, der sich durch all die Jahre spinnt und an dem du dich orientierst?

Ja, den gibt es. Ein Grundsatz, dem ich schon immer folge, ist, dass wir ausbilden und nicht unterrichten. Unterrichten bedeutet: Die Teilnehmenden dazu zu bringen, dass sie alle das Gleiche machen. Ausbilden hingegen heisst, die Menschen dort abzuholen, wo sie sind und ihre Kompetenz zu erweitern – und dabei den individuellen Aspekt in den Vordergrund zu stellen. Mir ist es wichtig, den Teilnehmern mitzugeben, dass sie Verantwortung für den Trainingserfolg ihrer Kunden übernehmen. Das bedeutet, dass sie sich auf jeden Kunden einstellen und ihn abholen. Training funktioniert, aber nur, wenn es stattfindet. Unsere wesentliche Aufgabe liegt darin, dass die Mitglieder regelmässig zu uns kommen. Manfred Spitzer hat gesagt: Wissenschaft ist universell, aber wissenschaftliche Erkenntnisse auf individuelle Bedürfnisse zu übertagen, ist keine Wissenschaft, sondern Kunst. Somit sind wir Fitnesstrainer alle Künstler.

Du bildest Trainerinnen und Trainer in vielen verschiedenen Fachbereichen aus. Welche Themen liegen dir speziell am Herzen?

Ganz besonders am Herzen liegt mir das Thema mentale Fitness. Es hat wohl jeder von uns schon selbst erlebt oder gesehen, dass es immer wieder eine Lücke gibt zwischen dem, was ich weiss und dem, was ich tue. Genau das fasziniert mich –  diese Distanz zwischen den beiden Punkten zu verringern. Und Antworten auf die Frage zu finden, wie ich mein Gegenüber – oder auch mich selbst – unterstützen kann, das umzusetzen, was man sich vorgenommen hat. Es geht also darum, Sicherheit über den eigenen Weg zu finden, in einer Welt voller Unsicherheit, und die Verantwortung für das eigene Handeln zu übernehmen.

Du hast in den ganzen Jahren sicherlich Tausende Teilnehmer ausbilden dürfen. Wie klingt das für dich?

Die Zahl ist unglaublich, aber stimmt wohl tatsächlich. Mir ist es schon mehrfach passiert, dass ich Teilnehmer aufgrund ihres Namens gefragt habe, ob sie eine bestimmte Person kennen. Die Antwort war dann oft: „Ja, das ist mein Vater, warum?“ – und es stellte sich heraus, dass Vater oder Mutter auch schon vor Jahren bei mir in der Ausbildung waren. Wahrscheinlich wird es nicht mehr lange dauern und auch die Enkel sitzen bei mir im Schulungsraum.    

Du bist für viele deiner Teilnehmer Mentor und Ratgeber. Welche Menschen haben dich in deiner Laufbahn besonders geprägt – und in welcher Weise?

Da gibt es einige. Sehr beeindruckt hat mich Hans Pestalozzi, Vizedirektor der Migros. Er ist vom Zuger Berg zu Fuss bis nach Karlsruhe gelaufen, um seinen Vortrag dort auf der body LIFE zu halten. Er ist angekommen, hat sich die Fachausstellung angeschaut und anschliessend vor rund 2500 Leuten über zwei Stunden lang gesprochen – ohne dass es auch nur für eine Sekunde langweilig war. Er hat die Fitnessbranche verstanden, nur über seine Eindrücke, die er vor Ort aufgenommen hat. Auch der Austausch mit Erik von Barnekow, ein bekannter Zen-Trainer für Führungskräfte, hat mich sehr inspiriert. Bei Vera F. Birkenbihl war ich regelmässig zur Weiterbildung. Stark beeinflusst hat mich zudem das Buch „Wie man lehrt, ohne zu belehren“ von Rolf Arnold. Bezogen auf Krafttraining war es Harry Derglin, Athlet und Studiobesitzer aus Bern. Er hat den Körper wirklich verstanden und immer gesagt: „Du musst die Muskeln trainieren, nicht die Geräte bewegen.“ Diesen Satz habe ich bis heute noch im Kopf. 


Wenn man an Engagement, Fachwissen und Persönlichkeit denkt, kommt man bei der SAFS an einem Namen nicht vorbei: Robert Winzenried.

Als echter Berner bringt Robert nicht nur die Ruhe und Bodenständigkeit seiner Heimat mit, sondern auch eine beeindruckende Leidenschaft für Fitness und Gesundheit, die er über viele Jahrzehnte bei der SAFS eingebracht hat.

Ein Urgestein, wie man es sich nur wünschen kann: kompetent, herzlich und immer ansprechbar – für Kollegen ebenso wie für unsere Teilnehmer. Mit seinem offenen Ohr und seiner kundenorientierten Haltung ist er weit mehr als ein Teammitglied, er ist eine tragende Säule unserer Ausbildungsarbeit.

Seine Expertise und sein unermüdlicher Einsatz haben massgeblich zum Aufbau der Andragogik bei der SAFS beigetragen. Er ist nicht nur Dozent, sondern eine echte Institution, wenn es um die pädagogische Qualität unserer Angebote geht.

Ich danke Robert von Herzen für sein langjähriges Wirken, seine Loyalität und seine inspirierende Art, Menschen zu fördern und weiterzubringen.

Heinz Thürig

Auch dein „Nähkästchen“ ist sicherlich enorm gefüllt. Erzähl uns doch eine Anekdote, an die du dich besonders erinnerst.

Wir hatten damals zusammen mit der BSA-Akademie aus Deutschland die Ausbildung „Trainer/in für Mentale Fitness“ ins Leben gerufen. Wir haben ein gemeinsames Wochenende organisiert, um den Referenten den neuen Lehrgang vorzustellen. Abends war natürlich ein grosses Fest und wir waren am nächsten Morgen bereits um sechs Uhr auf einer Wiese verabredet – zum „Atmen in die vier Himmelsrichtungen“, das ich anleiten sollte. Ich glaube, ich war der Einzige, der am Abend zuvor nicht einen Tropfen getrunken hatte und früh ins Bett gegangen ist. Und ich war auch der Einzige, dem es am nächsten Morgen hundeelend ging und der sich auf dem Weg zur Wiese übergeben musste. Da war das Gelächter natürlich gross. 

Die aktuellen „Eckdaten der Schweizer Fitnesswirtschaft“ zeigen ein erfreulich positives Bild. Wie schätzt du die Zukunft der Schweizer Fitness- und Gesundheitsbranche ein?

Die Branche wird weiter wachsen. Rund 20 Prozent der Schweizer Bevölkerung zwischen 15 und 65 Jahren trainiert bereits in einem Fitnesscenter. Das ist eine sehr gute Zahl. Es bedeutet aber auch, dass 80 Prozent noch keine Mitgliedschaft haben. Gleichzeitig nimmt das Gesundheitsbewusstsein vor allem im Kontext eines präventiven Gedankens zu. Das Potenzial ist also da. Die technologischen Entwicklungen im Bereich Digitalisierung und künstlicher Intelligenz betreffen auch die Fitnessbranche. Die Möglichkeiten sind riesig, aber auch die Verunsicherung. Die Fitnessbranche wird sich meiner Meinung nach ausdifferenzieren in Gerätevermieter und Problemlöser. Ich bin der festen Überzeugung, dass die KI sicherstellt, dass es auch in Zukunft gute Trainer braucht. Man kann KI auch übersetzen in „Kundenzentrierte Interaktion“. Die Menschen, die das beherrschen, werden in der Fitnessbranche erfolgreich sein. Und auch das kann man lehren und lernen. 

Wie sieht deine eigene Planung für die nächsten Jahre aus?

Auch wenn meine Pensionierung jetzt langsam, aber sicher an die Tür klopft, werde ich nicht ganz bei der SAFS aufhören, sondern immer noch Ausbildungen geben – wenn auch weniger als zuvor. Ansonsten werde ich viel Zeit auf dem Mountainbike verbringen und mich auf mein Herzensprojekt „mentalfit.ch“ konzentrieren. Dabei geht es insbesondere darum, Menschen zu unterstützen, die vor Herausforderungen stehen oder bei denen Veränderungen und Entscheidungen anstehen. Der Grundgedanke dahinter ist, dass Menschen in deinem Umfeld immer deine ganze Vorgeschichte miteinbeziehen. Ich will Menschen mit den unterschiedlichsten Herausforderungen zusammenbringen, die nichts voneinander wissen und die so auf dich reagieren, wie sie dich im Moment erleben. Das eröffnet neue Räume und Ansatzpunkte für das jeweilige Mindset.   

Robert Winzenried

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