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Interview Henrik Gockel – Vom Big Boss zum Boutique Studio

Henrik Gockel ist seit mehr als 30 Jahren in der Fitnessbranche tätig. Zusammen mit Edy Paul war er viele Jahre als Unternehmensberater (Gockel, Paul & Partner) tätig und als Lizenzgeber und CEO von TC Training Center. Nach seiner Zeit bei TC war er Operations Director EU sowie Geschäftsführer bei Fitness First, einer der weltweit grössten Betreiber von Fitnesscentern. 2010 gründete er PRIME TIME fitness, ein Boutique-Studio-Konzept mit inzwischen acht Standorten.

Roger Gestach im Gespräch mit Henrik Gockel

RG: Henrik, herzlichen Dank, dass Du Dir die Zeit nimmst für dieses Interview. Reden wir zuerst über die „alten Zeiten“. TC Training Center war mal im deutschsprachigen Raum eine der grössten Fitnessketten. Heute gibt es TC als Kette nicht mehr. Ihr wolltet 1999 als eine der ersten deutschsprachigen Fitnessketten an die Börse und schon bald danach kam der grosse Absturz. Mit vielen Jahren Distanz: Was habt Ihr damals falsch gemacht? Wart Ihr einfach zu früh?

HG: Ja, das ist prinzipiell richtig. Wir haben 1999 42 Mio. DM Expansionskapital von Banc Boston Capital erhalten. Das war ein riesiger Sprung im Vergleich zur vorherigen Hausbanken-Finanzierung. Es waren damals zu Beginn der dot.Com-Blase „wilde“ Zeiten. Insgesamt waren wir einfach zu unerfahren, hatten eine aggressive Finanzierung und zudem eine Akquisitionsstrategie durch den Zukauf bestehender Clubs, die sich als schwierig erwies. Die Integration war operativ ein „Höllentrip“. Zudem wurde ab 2001 das Finanzierungsumfeld schwieriger. Ab da wurde eine Konsolidierungsstrategie umgesetzt, was aber letztendlich nicht ausgereicht hat und im Dezember 2003 meldete die TC Holdings GmbH in Deutschland Insolvenz an. Die Schweizer Dachgesellschaft war davon nicht direkt betroffen. Für die deutschen Clubs wurden sehr zügig Käufer gefunden. Die Gesellschafter, insbesondere Banc Boston Capital haben ihren kompletten Einsatz verloren.

RG: Nach der TC Zeit warst Du CEO bei Fitness First, einem der grössten Fitnessanbieter weltweit. Wie bist Du dazu gekommen und was hat Dich in dieser Zeit bei Fitness First geprägt?

Z CEO war ich nicht, ich war zunächst Operations Director Europe, d.h. operativ verantwortlich für 100 Clubs in fünf EU-Ländern ausser England und Deutschland, später noch Geschäftsführer für die 100 Deutschen Clubs. Ich war ja bereits vor der TC-Insolvenz entlastet worden und als Gesellschafter ausgeschieden. Anlässlich der EU-Konferenz der IHRSA in London im Herbst 2003 haben mich Jim McGoldrick, damals Fitness First EU-Chef und Mike Balfour, CEO Fitness First gesamt, angesprochen, ob ich nicht an Bord kommen wolle. Ich hatte auch noch zwei Angebote von anderen, kleineren Clubketten. Ich war klar mit dem TC-Projekt gescheitert, aber gerade im angelsächsischen Raum ist das nicht nur negativ. Es gab und gibt ja auch heute nur wenige Manager mit „Grossketten“-Erfahrung. Zudem kannte ich mich mit Private Equity Investoren aus und war erfahren in angelsächsichen Reporting-Bedürfnissen.

RG: 2010 hast Du Dich wieder selbständig gemacht und PRIME TIME fitness gegründet. Du hast in Frankfurt das erste Center eröffnet. Vom Grossen zum Kleinen! Wie ist es dazu gekommen?

HG: Es gibt noch einen wichtigen Zwischenschritt. Ich bin im Frühjahr 2008 bei Fitness First ausgeschieden. Die gesamte Struktur sollte zentraler und einheitlicher von England ausgeführt werden. Als Anteilseigner wurde ich ausbezahlt, hatte als Bedingung ein zweijähriges Wettbewerbsverbot zu erfüllen, d.h. durfte nicht für einen Wettbewerber von Fitness First arbeiten. Zum Glück riefen mich Johannes Marx und Ralf Capelan von der DHfPG an und fragten, ob ich mit meiner Erfahrung und meinem Studienbackground nicht als Dozent arbeiten wolle. Das war und ist eine super Sache und ein nächster Lernschritt gewesen. Rund 100 Tage arbeitete ich als Dozent, aber es stellte sich die Frage, was ich die anderen 265 Tage mache. Zunächst habe ich ernsthaft eine Dissertation in Betracht gezogen. Dann aber gemerkt, dass ich ein Operator, ein Praktiker bin. Da ich die ganzen Jahre immer Clubkonzepte gemanagt habe, die andere gegründet hatten, wollte ich nun ein eigenes Konzept starten.

Mit meiner Lebensgefährtin Barbara Lohse hatten wir über die vergangenen 20 Jahre immer die Märkte analysiert. Aus den verschiedenen Impulsen haben wir das PRIME TIME fitness Konzept entwickelt.

RG: Was ist das Konzept und die Philosophie von PRIME TIME fitness?

HG: PRIME TIME fitness ist ein Trainingsclub für „Urban Performer“, d.h. für den Grosstadtmenschen mit genug Geld aber wenig Zeit. Dieser Zielgruppe bieten wir einen leistungs- und zielorientierten kompakten Trainingsclub in direkter Umgebung zu ihrem Wohn-/bzw. Arbeitsort. Mit dem  kompakten Format und weil wir auf „Chichi“ wie Theke, Bistro, Lounge oder lärmintensive Angebote wie Kursräume etc. verzichten, werden uns hochwertige Flächen angeboten, die wir effizient „bespielen“.

RG: Deutschland hat einen sehr hart umkämpften Fitnessmarkt. Ist es nicht „verrückt“, in dieser Zeit eine neue Fitnessgruppe im Premiumbereich zu gründen?

HG: Viele Anbieter senken die Preise und reduzieren das Team. Wir gehen genau den umgekehrten Weg. Unser Angebot ist sehr dienstleistungsintensiv und das spüren unsere Mitglieder. Wir alle wissen, die letzten 20% Wiederholungen im Training machen den Unterschied und dafür müssen die meisten Mitglieder dahin motiviert und angeleitet werden. Und das macht niemand besser als ein gut ausgebildeter, begeisterter Trainer.

RG: Was unterscheidet PRIME TIME fitness von anderen Premiumanbietern?

HG: Unser kompaktes, persönliches Boutique-Format mit den besten Trainern eingebunden in ein effizientes Trainingskonzept, mit Milon, flächendeckende Herzfrequenzkontrolle, Personal Training, Zirkeln und Small Group PT, sind in dieser Kombination doch recht neuartig und sehr fokussiert. Suchst Du das beste Restaurant der Stadt, wird das nicht das grösste sein mit der grössten Speisekarte, sondern das persönliche Spezialitätenrestaurant. Dort ist der Kunde auch bereit einen höheren Preis zu bezahlen.

RG: Du nennst PRIME TIME fitness ein Boutique-Studio? Erläutere uns dies doch.

HG: Als wir 2010 gestartet sind, haben wir PRIME TIME fitness als Boutique-Studio oder Fitness-Manufaktur bezeichnet. Damals gab es noch nicht so viele kleinere Clubs. Heute werden als Boutique-Studios eher noch kompaktere Formate mit noch weniger verschiedenen Angeboten bezeichnet. Aber worum geht es bei Boutique? Es geht um eine persönliche Atmosphäre und da hilft es, wenn der Club kompakt ist. Es geht um fachkundige Beratung, top ausgebildete Mitarbeiter. Boutique sozusagen als Gegensatz zu Fabrik und gerade viele Discountstudios sind heute eher Fitnessfabriken.

RG: Boutique-Studios, Microstudios, Special-Interest-Studios bedeuten alle das Gleiche und sind gerade Modewörter in der Fitnessbranche. Wenn man es aber genauer betrachtet, ist dies doch überhaupt nichts Neues. Es gab doch schon immer kleine Center, welche sich auf wenige Zielgruppen spezialisiert haben. Oder was ist aus Deiner Sicht neu an den heutigen Boutique-Studios?

HG: Da hast Du komplett Recht, es gab schon immer kleine Formate, die sehr erfolgreich waren. Erinnere Dich an das California Aerobic Studio des leider viel zu früh verstorbenen Flavio Bertozzi in Zürich. Ein reines Kurstudio, aus dem sich dann die SAFS Ausbildungsakademie entwickelte. Die Bedürfnisse der Menschen haben sich ja auch nicht grundsätzlich geändert. Einige mögen es lieber gross und unpersönlich, andere genau umgekehrt. Was sich entwickelt hat, ist die Variabilität der Angebote. Heute gibt es Boutique-Studios mit sehr verschiedenen Angeboten, von EMS, Abnehmzirkeln, Cross Fit, Personal Training, Barre, Boot Camp, HIIT, Yoga etc.; diese Vielfalt ist neu.

RG: Du wohnst selber in Frankfurt, hast dort inzwischen sechs Studios. Inzwischen seid Ihr aber auch mit einer Filiale in München und Hamburg vertreten. Besteht mit dieser Expansion nicht die Gefahr einer Verzettlung oder hast Du im Sinn, mit PRIME TIME fitness in ganz Deutschland zu expandieren?

HG: Richtig, Stützpunkt ist Frankfurt und wir haben eine Filiale in München. Der Club in Hamburg ist unser erster Franchisebetrieb. Er gehört Nils Kuprat, der 2010 unser erster Mitarbeiter bei PRIME TIME fitness war und alles mitaufgebaut hat. Im Herbst eröffnen wir unseren zweiten Club in München, wieder eine sensationelle Location diesmal am Viktualienmarkt. Das heisst, mit unseren Filialen fokussieren wir uns zurzeit auf Frankfurt und München. Franchise oder auch Management-Betriebe sind jedoch überall möglich. Zum Beispiel betreuen wir die DieZ Arena, ein 3.000 Quadratmeter Neubau in Limburg/Diez, weniger urban als PRIME TIME fitness, aber entwickelt und gemanagt nach den PRIME TIME fitness-Prinzipien und auch preislich hochwertig positioniert. DieZ Arena wird von Christopher Schwarz betrieben, der sich aber umfassend bei uns hat ausbilden lassen, aber wegen der veränderten, breiteren Zielgruppenansprache ein eigenes Branding hat.

RG: Bei PRIME TIME fitness gibt es keine Preisliste auf der Homepage. Beim Googeln habe ich aber trotzdem irgendwo gelesen, dass bei Euch eine Mitgliedschaft zwischen 60 und 600 Euro im Monat kostet. Dies ist eine sehr grosse Preisspanne. Erläutere uns doch Euer Preiskonzept und was kostet eine normale Mitgliedschaft?

HG: „Normale“ Mitgliedschaften, d.h. klassisch gesundheitsorientiert beginnen bei 60 Euro. Weitere Angebote unterscheiden sich in der Intensität der Dienstleistung, die nächste Stufe ist z.B. PT Spezial, wo man eine PT Stunde pro Monat inklusive hat, dann einmal 25 Min. PT pro Woche. Die nächste Kategorie sind ein oder mehrere PT Stunden pro Woche inklusive. Persönlich habe ich auch ein Abo bei uns gelöst und zahle mit einem „Sonderrabatt“439 Euro pro Monat inkl. 2 PT Stunden die Woche in unserem PT only Club Romeo & Julia im Frankfurter Westend. Ich war eher ein unregelmässiger Trainierer, aber seitdem ich das PT Abo gelöst habe und es mich Geld kostet, gehe ich zweimal die Woche hin, lasse mich intensiv trainieren und meine Form hat sich stark verbessert. Ich würde sagen, ich bin jetzt wieder so fit wie vor 30 Jahren.

RG: Fitness wird immer billiger! Hast Du keine Angst vor den Discountern mit Euren hohen Preisen?

HG: Es geht um Preiswertigkeit und Kundennutzen. Vergleiche das doch mit dem Handwerk, die Baumärkte florieren, aber den guten Handwerksbetrieben geht es auch top! Discount ist für mich „Do it yourself“, während wir hochwertiges Handwerk sind. Unsere Mitglieder wollen sich keine App herunterladen oder etwas „nachtrainieren“ und das Ganze dann noch posten. Unsere Kernzielgruppe sind Menschen, die in ihrem Job volle Leistung bringen müssen und dazu brauchen sie auch körperliche Fitness. Diesbezüglich vertrauen sie sich uns als Fitness Professionals an, die die Planerstellung bis hin zum Personal Training übernehmen.

RG: Bei „The Mirai“ (McFit) in Oberhausen können die Kunden bald kostenlos trainieren, finanziert durch Sponsoren. Was hältst Du davon? Ist eine solche Entwicklung gut oder schlecht für die Branche?

HG: Je mehr sich der Markt differenziert, desto besser. Man muss sich aber klar positionieren und da muss man sehr konsequent sein. Wie oft bekommen wir zu hören, wenn Ihr Kurse, Yoga, Kinderparadies, Snack oder was auch immer hättet, dann würde ich auch bei Euch trainieren. Der Ferrari Händler wird sicher auch oft gefragt, wenn Ihr eine Limousine hättet, einen SUV oder was auch immer, würde ich das kaufen. Gibt es bei Ferrari aber nicht und deswegen hat jeder, wenn er sich nicht für Autos interessiert, eine klare Vorstellung davon, wie ein Ferrari aussieht, abgesehen von der roten Farbe.

Die McFit-Verantwortlichen sind solide Kaufleute, die werden nur Dinge mit einer klaren wirtschaftlichen Perspektive angehen und wenn sich die Fitness Dienstleistung in der Zukunft anders finanzieren lässt als mit direkten Nutzergebühren, dann ist das ein spannendes Projekt. Persönlich bin ich froh, dass es jemand anderes probiert und riskiert. Herr Schaller hat den Fitness-Discountmarkt „erfunden“, vielleicht entwickelt er hier den nächsten grossen Trend. Die bestehenden Clubs im Umfeld des Mirai müssen sich jetzt sicher extrem „spitz“ positionieren, um erfolgreich zu sein. Aber wird ein EMS Studio wegen The Mirai Probleme bekommen? Ich denke nicht, wenn der persönliche Service und die Betreuung top sind, denn damit tun sich Grossprojekte schwer.

RG: Du hast viele Jahre in Zürich gelebt und mit G&P und TC auch dort gearbeitet. Die Schweizer Fitnessbranche wird gerade „überrollt“ von den grossen Ketten. In Deutschland hattet Ihr diese Entwicklung ein paar Jahre früher, sie hält aber immer noch an. Wie siehst Du die Überlebenschancen von Einzelstudios? Gibt es grössere private Einzelstudios (Fläche ab 1‘000 Quadratmeter), die alle Zielgruppen ansprechen, in zehn Jahren noch?

HG: Der Fitnessmarkt wächst weiter und die einzelnen Marktsegmente werden grösser, in jedem einzelnen Einzugsgebiet. Private Einzelbetreiber werden meines Erachtens nur überleben, wenn sie bestimmte Zielgruppen mit klarem und verständlichem Nutzen ansprechen. Das heisst, viele Betreiber müssen sich in den nächsten Jahren fragen, von welchem Angebotsmodul mache ich mehr und welches schmeisse ich konsequent heraus. Das ist entscheidend, konsequent streichen und sich klar positionieren. Macht erst einmal Ärger mit einem Teil der Member und auch der Mitarbeiter, ist aber der Schlüssel zum Erfolg!

RG: Wie oben bereits angesprochen, warst Du nach Deiner Zeit bei Fitness First als Dozent bei der Deutschen Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement tätig. Machst Du dies immer noch?

HG: Ja, das mache ich immer noch und es ist sehr inspirierend. Es ist auch phantastisch zu sehen, wie viele Talente, die top ausgebildet werden, in unsere Branche “strömen“. Viele unterschätzen die Arbeitsintensität und vor allem die Arbeitszeiten und scheiden aus der Branche wieder aus. Aber insgesamt sehe ich die Entwicklung sehr positiv, wie rasant sich unser Markt entwickelt und professionalisiert. Fitness heisst „lebenslanges Lernen“ und dafür ist Dozent sein sehr hilfreich.

RG: Was macht Henrik Gockel nebst Fitness privat gerne?

HG: Wie Du selbst weisst, hat man als Dienstleister nicht so viel Freizeit, weil man ja quasi immer „im Dienst“ ist. Ich bin aber von unserer Branche nach 30 Jahren ungebrochen fasziniert. Wichtig sind aber die „kleinen“ Momente der Freizeit, Abendessen mit der Familie und Freunden, alte Studienkollegen treffen, einfach die Dinge pflegen, die einem wichtig sind. Genau wie dieses Interview, Roger, wir kennen uns auch schon knapp 25 Jahre, ein solcher Austausch ist für mich nicht Arbeit, sondern „Quality“-Time. Ich versuche mich sowohl beruflich als auch privat mit positiven Menschen zu umgeben, das hilft.

RG: Lieber Henrik, ganz herzlichen Dank für dieses spannende Interview und viel Erfolg weiterhin.