Essen ist etwas Schönes. Wir Menschen feiern gern zusammen und essen dabei. Man denke an Weihnachts-, Geburtstags-, Hochzeits- oder sonstige Abschlussessen. Die Nahrungsmittelauswahl in Europa ist ein Privileg. Unser Kühlschrank ist meist gut gefüllt und die Supermärkte bieten täglich frische Nahrung an. Dieser Luxus ist nicht selbstverständlich. Noch heute leiden über 700 Millionen Menschen an Unterernährung.
In unseren Breitengraden ist die Ernährung oft auch eine Weltanschauung. Manche Menschen fühlen sich vielleicht auch als bessere Menschen, wenn sie z. B. kein Fleisch essen oder sich vegan ernähren. Viele sehen Lebensmittel auch als Wundermedizin oder als heimtückisches Gift an. Ist Ihnen auch schon aufgefallen, dass bei der Ernährung immer wieder neue «Bösewichte» auftauchen? Früher waren es Fette, heute sind es Kohlenhydrate und wer weiss, vielleicht sind schon bald die zurzeit hochgelobten Proteine dran.
Wer von den Effekten eines Fitnesstrainings maximal profitieren will, der muss die eigene Ernährung reflektieren. Dabei ist es wichtig, Gelassenheit zu bewahren. Es geht um Mass und Mitte. Verbeissen Sie sich bitte nicht in ein dogmatisches oder guruhaftes Ernährungskonstrukt. Strikte Ernährungsideologien sind etwa so sinnvoll, wie allen Menschen Schuhe in derselben Grösse zu verpassen. Kultur, Geografie, persönliche Vorlieben und Lebensumstände sind ebenso wichtig. Oder glauben Sie, dass ein Inuk genauso isst wie ein Südländer? Eben.
Als Personal Trainer fiel mir auf, dass viele Frauen jegliche Spontanität beim Essen verloren hatten. Ernährung und Gewicht waren unter ständiger gedanklicher Überwachung. Statt Kalorien zu berechnen, ist es viel besser Trainingsminuten zu zählen. Denn eigentlich kann man gar nicht zu viel essen, sondern man bewegt sich nur zu wenig, für die Menge, die man futtert.
Bei Ernährungsempfehlungen werden oft Gramm-pro-Kilogramm-Angaben gemacht. Das ist gut gemeint, doch wer misst schon seine Ernährung ab? Sicher nicht die Mehrheit. Es ist hilfreich, die Ernährung aus einer gewissen Distanz zu betrachten. Es klingt paradox, aber mit einer gewissen Unschärfe erhält man eine klarere Sicht.
Nehmen Sie jetzt bitte die FITNESS TRIBUNE ganz nah (< 5 cm) vor Ihre Augen und betrachten Sie das Bild unten rechts. Sie werden nur noch einzelne Pixel erkennen, aber nicht mehr das Ganze. Nun strecken Sie Ihre Arme aus und schauen sich das Bild aus einer Distanz von ca. 50 cm an. Sie werden die Person (mich) besser erkennen. Wenn Sie Ihre Augen zusätzlich noch zusammenkneifen, werden Sie mich noch besser erkennen, obwohl Sie weniger präzise schauen. Bezogen auf die Ernährung heisst das: Aus der Nähe sehe ich nur noch Coenzym Q10, Selen, Molybdän, LDL- und HDL-Cholesterine, linksdrehende Milchsäure usw. Mit einem solchen Mikroblick steigt die Gefahr, dass man sich nur noch ernährt und nicht mehr isst. Mit einer gewissen Distanz zur Ernährung erhält man einen besseren Überblick, der auch lebenspraktischer ist.
Als Personal Trainer liess ich meine Kunden ein Ernährungsprotokoll über fünf Tage ausfüllen. Das mache ich auch heute noch mit einzelnen Spielern beim FC Thun. Dabei geht es weniger um eine Kontrolle im Sinne von Verboten, sondern um Bestärkungen («Das ist top!», «Mach das doch mehr.») oder um Alternativen («Was hältst du von dieser Variante?).
Dabei haben sich für mich vier Ernährungstipps ergeben, die meiner Meinung nach zu 80 bis 90 Prozent eine solide Basisdarstellen. Es sind «Faustformeln», die gerade wegen ihrer Unschärfe wertvoll sind. Mit der Unschärfe lässt man den individuellen Vorlieben Raum und genau das erhöht die Chance, dass es für die Leute passt. Und zwar langfristig! Nur dann ist es wertvoll. Die vier Tipps kann man sich leicht merken (vgl. Skizze).
- Trinke keine Kalorien: Dieser Hinweis ist vor allem für jene wichtig, die abnehmen wollen. Trotz allen Technologiefortschritten bleibt es immer noch so: Etwas Besseres als Wasser gibt es nicht. Sodagetränke sind oft «Zucker-Tsunamis» und tun dem Körper deswegen nicht gut.
- Regenbogen essen: Je mehr Farben auf dem Teller sind, desto besser für Sie. Pommes = eine Farbe. Pommes mit Ketchup = zwei Farben und das ist immer noch zu wenig. Vier oder mehr Farben sollten es schon sein. Mit Gemüse, Salat und Obst erreichen Sie diese vier Farben spielend.
- Falls Fleisch, dann gilt: Je weniger Beine, desto besser! Ein Schwein hat vier Beine = nicht so toll. Ein Huhn hat zwei Beine = besseres Fleisch. Ein Fisch hat keine Beine = das beste Fleisch. Fisch ist oft sehr mager und enthält neben den Proteinen auch sehr wertvolle Fettsäuren.
- Auf dem Boden bleiben: Betrachten Sie den Apfelbaum. Wenn der linke Apfel auf den Boden fällt und die Umstände stimmen, kann ein neuer Apfelbaum entstehen. Der Apfel lebt, er ist ein LEBENS-Mittel. Ein Mittel zum Leben also. Essen Sie viel davon. Ganz anders der rechte Apfel, der in der Fabrik zum Apfelkuchen mutiert. Wenn Sie den Apfelkuchen im Boden vergraben, dann wächst da gar nichts. Der Apfelkuchen ist bloss noch ein Nahrungsmittel. Dieses Mittel gibt dem Körper schon noch Energie, doch es lebt nicht mehr. Konsumieren Sie vor allem die Mittel, die wenig oder gar nicht verarbeitet wurden.
Wichtig: Es soll auch Ausnahmen beim Essen geben. Eine «Mac-Attack» oder irgendein «kalorienverseuchtes Well-Fress» ist eben auch Wellness. Beim Essen zu «sündigen» und es gleichzeitig mit Hingabe zu geniessen, ist eine hohe und noble Lebenskunst. Oft sind es die eigenen mentalen Ketten, die das zu verhindern suchen. Schade darum, denn wer nie geniesst, der wird ungeniessbar.
Fazit
Essen ist etwas Schönes. Noch schöner ist es, dies mit Freunden zu tun. Die vier Tipps dienen als «Faustformeln». Diese sind deswegen so wertvoll, weil sie nicht in die Tiefe gehen und somit den Leuten einfache Regeln mitgeben, die sie sich merken können. Ca. 80 bis 90 Prozent der Ernährung ist dann ideal abgedeckt. Mit diesen Tipps kann man beim Essen vieles wieder vergessen. Gut so.