Mobility-Training – Was bringts wirklich?

Social-Media-Hype auf dem Prüfstand

Auf Social Media gibt es unzählige Beiträge zu Mobility – Fitnessinfluencer kreieren ein Video nach dem anderen, in dem sie die neueste Übung zur Verbesserung der Beweglichkeit präsentieren. Auch in den Fitnesscentern sollte das Beweglichkeitstraining ein fixer Bestandteil eines Trainingsprogramms sein, besonders bei vorliegenden Beweglichkeitseinschränkungen. Welche Ansätze dabei einbezogen werden sollten und was Mobility-Training letztlich wirklich bringt, beantwortet der vorliegende Beitrag.

Eine gute Beweglichkeit ist die Voraussetzung für die volle Entfaltung anderer motorischer Fähigkeiten. Sie äussert sich in einem sicht- und messbaren Resultat der Bewegungs-amplitude in einem oder mehreren Gelenken. Den maximalen Ausprägungsgrad der Beweglichkeit erfährt der Mensch aber bereits im Alter von zehn bis zwölf Jahren. Danach vermindert sich diese Fähigkeit mit zunehmendem Alter (Hollmann & Strüder, 2009, S. 159–165). Deshalb ist ein regelmässiges Mobility-Training, im Sinne eines allgemeinen Beweglichkeitstrainings, gerade im Erwachsenenalter von grosser Bedeutung.

Auswirkungen von Beweglichkeitstraining

Die Beweglichkeit wird durch die folgenden Faktoren direkt beeinflusst:

Die anthropometrischen Einflussfaktoren der Beweglichkeit setzen sich aus der Gelenkigkeit und der Dehnfähigkeit zusammen.

Die Gelenkigkeit bezieht sich auf die Beweglichkeit des passiven Bewegungsapparates, die durch die Art und Struktur des jeweiligen Gelenks beeinflusst wird. Jedes Gelenk im Körper hat eine spezifische Anatomie und Bewegungsfreiheit, die durch Faktoren wie Knochenstruktur, Gelenkkapseln und Bänder bestimmt wird. Wenn die Gelenkigkeit eingeschränkt ist, bedeutet dies, dass das Gelenk nicht den vollen Bewegungsumfang erreichen kann. In solchen Fällen ist es wichtig, das entsprechende Gelenk gezielt zu mobilisieren, um die Beweglichkeit zu verbessern.

Mobilisation ist eine gezielte Methode, um die Beweglichkeit der Gelenke zu verbessern. Dazu werden Übungen durchgeführt, bei denen Bewegungen über die gesamte Range of Motion (ROM) ausgeführt werden, was bedeutet, dass die Gelenke durch ihren gesamten Bewegungsbereich bewegt werden. Durch regelmässige Mobilisationsübungen können die passiven gelenkumgebenden Strukturen beweglicher werden, was wiederum die Gesamtbeweglichkeit des Körpers verbessert, und die Funktionsfähigkeit des Bewegungsapparates unterstützt.

Die Dehnfähigkeit wiederum bezieht sich auf die Beweglichkeit des aktiven Bewegungsapparates: die gelenksumgebenden Muskeln, Sehnen und die myofaszialen Strukturen. Ist die Dehnfähigkeit eingeschränkt, sollten diese Strukturen durch ein entsprechendes Dehntraining gezielt beeinflusst werden. Beim Dehnen wird von der möglichen Dehnposition aus maximal in die Richtung der Bewegungseinschränkung gedehnt.

«Gelenk für Gelenk»-Ansatz nach Gray Cook und Michael Boyle

Gray Cook, ein Physiotherapeut, und Michael Boyle, einer der weltweit führenden Experten für Leistungsoptimierung im Sport, sind zwei Koryphäen im Bereich Functional Training und haben den sogenannten Joint-by-Joint-Approach («Gelenk für Gelenk»-Ansatz) entwickelt. Das Ziel ist es, die Funktion der Gelenke und deren Verletzungsanfälligkeit besser zu verstehen. Gemäss Cook erfüllt jede Gelenkgruppe eine konkrete Funktion (Gelenkgruppe mit Funktion; vgl. Tab. 1), diese hat einen direkten Einfluss auf das Training. Die Funktionen der jeweiligen Muskelgelenksysteme haben einen direkten Einfluss auf die Bewegungsqualität und Belastbarkeit. Das Training zielt auf eine Wiederherstellung oder Verbesserung dieser Funktionen ab (Cook, Burton, Kiesel, Rose & Bryant, 2010; S. 319–329).

Eine unzureichende Flexibilität in einem Gelenk mit Hauptmobilitätsfunktion kann zu Überbelastungen in benachbarten Gelenken führen. Zum Beispiel können Knieschmerzen nicht nur auf Probleme im Kniegelenk zurückzuführen sein, sondern auch auf eingeschränkte Mobilität im darüber- oder darunterliegenden Gelenk. Eine eingeschränkte Beweglichkeit im oberen Sprunggelenk kann beispielsweise ebenfalls zu Knieschmerzen führen, da das Kniegelenk zusätzliche Mobilitätsaufgaben übernehmen muss. Ebenso kann eine eingeschränkte Hüftmobilität Kompensationsbewegungen in der Lendenwirbelsäule auslösen, was zu Rückenschmerzen führen kann (Cook et al., 2010, S. 319–329).

Die Faszien im Fokus

Über viele Jahrzehnte fanden die Faszien als «Aschenputtel der Orthopädie» so gut wie keine Beachtung. Seit einiger Zeit steht dieses Thema in den Biowissenschaften plötzlich im Fokus, die Forschungslage hat sich drastisch verbessert und Coaches in der Fitness- und Gesundheitsbranche können von diesem Wissen profitieren. Die Faszien können als kollagenes, fasriges Bindegewebe betrachtet werden, welches die Funktion eines körperweiten Spannungsnetzwerks zur Kraftübertragung hat. Die Fasern sind meist Kollagenfasern und ein geringer Anteil Elastinfasern. Die neue und umfassendere Betrachtungsweise der Faszien hat einen entscheidenden Vor-teil: Sie ermöglicht eine detaillierte Betrachtung des lokalen Aufbaus. Anders als in den Illustrationen von Anatomielehrbüchern beschrieben, existieren nämlich im Kollagengewebe um die Gelenke ausgedehnte Übergangsbereiche. In diesen ist eine Unterscheidung zwischen Bändern, Sehnen, Kapsel oder Muskelhülle praktisch unmöglich (Schleip & Baker, 2016).

Etwa zwei Drittel des Fasziengewebes besteht aus Wasser. Durch Dehnung oder lokale Kompression wird eine beträchtliche Wassermenge aus den stärker belasteten Bereichen herausgedrückt.

Wenn der Fokus auf der Mobilität liegt, sind die tiefen Strukturen oder die myofaszialen Strukturen von Bedeutung. Zu die-sen gehören das Epimysium (Bindegewebe um den Skeletmuskel), das Perimysium (umgibt die Muskelfaserbündel) und das Endomysium (Zellmembran). In ihnen stecken Schmerzrezeptoren und Bewegungssensoren. Die Faszien gelten auch als Sinnesorgan und sind eng mit dem vegetativen Nervensystem verbunden. Dadurch senden sie ununterbrochen Signale an unser Gehirn und sorgen dafür, dass wir unseren Kör-per wahrnehmen und Bewegungen koordinieren können, ohne dass wir uns explizit darauf konzentrieren müssten. Faszien können überaus empfindlich auf verschiedene Reize reagieren. Dazu gehören Überbelastung, Fehlhaltungen und Bewegungsmangel. Demnach ist die gestörte Faszienfunktion dadurch gekennzeichnet, dass Spannungsveränderungen in den Faszien zu einer Einschränkung ihrer Verschiebbarkeit führen.

Der Einfluss des Nervensystems

Das Nervensystem spielt eine entscheidende Rolle bei der Regulation der Beweglichkeit und Flexibilität des Körpers. Sensoren in Muskeln, Sehnen und Faszien übermitteln kontinuierlich Informationen über die Position und Spannung der Gewebe an das zentrale Nervensystem. Basierend auf diesen Informationen entscheidet das Nervensystem, welche Muskeln aktiviert oder entspannt werden müssen, um eine bestimmte Bewegung auszuführen oder eine Position beizubehalten. Dieser Prozess, bekannt als neuromuskuläre Regulation, beeinflusst direkt die Beweglichkeit und Flexibilität eines Individuums. Störungen in diesem System können durch Faktoren wie Stress oder Verletzungen verursacht werden und zu Bewegungseinschränkungen führen. Gezielte Übungen zur Stimulation des Nervensystems können den Punkt, an dem die Dehnung wahrgenommen und toleriert wird, beeinflussen (Sharman et. al., 2006).

Fazit

Zur Erarbeitung der Trainingsprogramme und für die Betreuung der Mitglieder braucht es professionelles Personal, welches Einschränkungen in der Beweglichkeit erkennt. Das Ziel ist es, sinnvolle Korrekturen in der Körperhaltung und in den Bewegungen sowie in der Gestaltung der Trainingsprogramme zu vollziehen. Dem Training der Mobilität sollte eine ähnliche Priorität gegeben werden wie dem Kraft- und Ausdauertraining.

Um die Mobilität zu verbessern, eignen sich Übungen, die speziell darauf ausgerichtet sind, die Bewegungsreichweite der Gelenke zu optimieren. Sie beinhalten das aktive Bewegen, Anspannen und Entspannen der Muskeln durch den gesamten Bewegungsbereich der Gelenke.

Zur Verbesserung der Dehnfähigkeit bietet sich vor allem Dehnen oder Krafttraining über volle Bewegungsamplituden an. Die Dehnübungen sollten einen variablen Mix an verschiedenen Dehnmethoden umfassen, um eine verbesserte Flexibilität und Muskelentspannung zu fördern.

Fitnesscenter spielen eine wichtige Rolle, indem sie eine unterstützende Umgebung für ein ganzheitliches Beweglichkeitstraining bieten. Die Ausstattung mit geeigneten Geräten und Trainingsflächen sowie die Bereitstellung von qualifiziertem Personal tragen dazu bei, dass Mitglieder effektive und sichere Mobilitätsübungen durchführen können.

Auszug aus der Literaturliste

Cook, G., Burton, L., Kiesel, K., Rose, G. & Bryant, M. F. (2010). Movement. Functional Movement Systems: Screening – Assessment – Corrective Strategies. Santa Cruz: On Target Publications.

Schleip, R. & Baker, A. (Hrsg.). (2016). Faszien in Sport und Alltag. München: riva.

Thienes, G. (2019). Beweglichkeit und Beweglichkeitstraining im Sport. In A. Güllich & M. Krüger (Hrsg.), Bewegung, Training, Leistung und Gesundheit (S. 1–25). Berlin, Heidelberg: Springer.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte info@fitness-tribune.com.

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