«Instagramability» um jeden Preis?
Das Jungle Gym in Tulum, Mexiko ist ein wahrer Trainingsmagnet. Fitnessfans reisen von überall auf der Welt an, um in dem pittoresken Center mit der ganz besonderen Trainingseinrichtung zu trainieren und dies entsprechend auch über Social Media mit eindrucksvollen Bildern und Videos zur Schau zu stellen. Wir haben mit Marco Hirsiger (einer der besten Men’s Physique-Athleten der Schweiz, SAFS-Dozent und Personal Coach in Richterswil), der bereits selbst vor Ort war, über das Dschungelcenter und mögliche Inspirationen für die Centerpraxis in der Schweiz gesprochen.
Weisser Strand, türkisfarbenes Meer, schattenspendende Palmen – das ist die traumhafte Kulisse des Tulum Jungle Gyms. Seinen Besuchern bietet das an der Küste Yucatáns gelegene Fitnesscenter ein Training der besonderen Art an, sodass Bilder und Videos von diesem paradiesischen Studio kurz nach seiner Eröffnung 2017 um die Welt gingen. Seitdem kamen und kommen mehr und mehr Influencerinnen und Influencer, Fitnessliebhaber und Promis nach Tulum, um sich selbst vom Jungle Gym zu überzeugen – sowie um gut inszenierte Trainingsfotos zu schiessen und diese über ihre Social-Media-Kanäle zu teilen. Auch Men’s Physique-Athlet und Personal Coach Marco Hirsiger aus Richterswil liess es sich nicht nehmen, während seines Mexikourlaubs einen Abstecher zum «sagenumwobenen» Gym in Tulum zu unternehmen und sich selbst ein Bild von der dortigen besonderen Form des Trainings zu machen. «Normalerweise machen die Leute wegen der Maya-Fundstätte einen Ausflug nach Tulum. Wir sind als Fitnessfreaks natürlich unter anderem wegen dieses Gyms nach Tulum gereist. Das habe ich so oft bei Influencern gesehen und dann haben wir zueinander gesagt: ‹Das müssen wir erlebt haben.›»
Paradiesische Kulisse
Unter freiem Himmel trainieren und dabei Sand unter den Füssen spüren. Die «Beach Location» des heute auf zwei Center erweiterten Tulum Jungle Gyms bietet genau dieses Trainingsgefühl. Denn getreu dem Motto «Train in nature with nature» wird am karibischen Sandstrand ausschliesslich outdoor trainiert – das türkisfarbene Meer vor Augen, umrahmt von Dschungelpflanzen in verschiedenen Grüntönen.
Auch das Trainingsequipment ist ausschliesslich aus Naturmaterialien gefertigt. «Es ist wirklich superspannend! Man trainiert da mit Fitnessgeräten aus Holz, Bambus und Stein, diese Erfahrung ist einfach einzigartig», schwärmt Marco Hirsiger. Alle Geräte sind von den Centerbetreibern Alastair und Katie selbst designt und von regionalen Handwerkern mit regionalem Material hergestellt – «a real life flinstone gym», wie es die Beiden selbst auf ihrer Website beschreiben. Ob Olympische Stangen, Latzugmaschinen oder auch Kurzhanteln bis zu einem Gewicht von 72 Kilogramm, die beiden Betreiber des Tulum Jungle Gyms setzen bei all ihren Geräten auf Nachhaltigkeit.
Paradiesisches Konzept?
Da der sich seit Jahrzehnten immer schneller vollziehende Klimawandel mittlerweile stärker in den Fokus der Aufmerk- samkeit gerückt ist, erscheint die Verwendung nachhaltiger Materialien nicht nur ein sinnvoller klimaschützender Beitrag zu sein, sondern auch bei der Vermarktung des Gyms durchaus seine Vorteile zu haben – das Jungle Gym sozusagen als grüne Alternative zu herkömmlichen Fitnesscentern.
Nach Einschätzung Marco Hirsigers geht diese Überlegung aber nicht ganz auf. «Beim dritten oder vierten Besuch hast du alles gesehen. Es ist gut gemacht und einfach ein Erleb- nis, in den Ferien dort am Strand in Badesachen zu trainieren, sich gleichzeitig zu bräunen und anschliessend im Meer zu erfrischen. Man kann dort zwar auch wirklich trainieren, aber für jemanden, der seriös seinem Workout nachgehen möchte, ersetzt es nicht ein normales Center. Es ist mehr just for fun.»
Zielgruppe des Tulum Jungle Gyms sind so auch weniger die Einwohner Tulums, sondern vor allen Dingen Touristinnen und Touristen aus der ganzen Welt. «Dort trainieren kaum bis gar keine Einheimischen. Der Tageseintritt von umgerechnet knapp 32 CHF ist einfach unverhältnismässig teuer. Das zahlt man dort in anderen Studios fast für einen Monat», erklärt Marco Hirsiger. «Während der Regelöffnungszeiten gibt es auch keine Trainingsbetreuung», so der Schweizer Personal Coach weiter. Die Betreibenden des Tulum Jungle Gyms setzen somit auf ein personalarmes Konzept; die Trainierenden sind sich bei den Übungsausführungen selbst überlassen. Wobei das eigentliche Training auch etwas in den Hintergrund zu geraten scheint. «Zu gewissen Uhrzeiten sind die Leute dort mehr am Fotografieren und Filmen und weniger am Trainieren. Dann geht es vor allen Dingen darum, den Lifestyle zu zeigen.»
Der Instagram-Hype um das Gym
Trainierende, die die einzigartige Kulisse und die einmalige Trainingsausstattung auf Social Media teilen, blieben nach der Gründung 2017 nicht lange fern, und so gingen die Bilder vom Tulum Jungle Gym viral. «Die Bilder sind einfach sehr imposant und locken die Leute an», stellt Marco Hirsiger fest. Neben den zahlreichen Influencerinnen und Influencern, Fitnessfans und Promis berichten auch immer mehr Medien über das Trainingserlebnis im Tulum Jungle Gym. «Als ich vor der Corona-Pandemie dort hingereist bin, war das Gym nur morgens geöffnet, mittlerweile sind die Öffnungszeiten angepasst, denn das Center hat einen enormen Bekanntheitsgrad auf der ganzen Welt erlangt. Es ist regelrecht eine Attraktion geworden durch den Social-Media-Hype. Menschen reisen an, um es sich wie ein Museum anzuschauen. Und das Gym hat damit nicht nur Fitnessfans erreicht, sondern Touristen ganz allgemein.»
Um Werbung braucht sich das Tulum Jungle Gym also keine Gedanken zu machen, der Hype um das paradiesische Center reisst nicht ab. Da die Fitnessinfluencerinnen und -influencer von selbst zum Jungle Gym kommen, sind entsprechende vertragliche Kooperationen nicht nötig; sie bekommen auch beim Eintritt keine Sonderkonditionen. Ganz im Gegenteil: Weil der Run so gross ist, mussten sogar Regeln für die Besucherinnen und Besucher des Centers aufgestellt werden: Wer Fotos macht, muss darauf achten, dass die anderen Trainierenden nicht gestört werden oder auf den Bildern und Videos abgebildet sind.
Tulum Jungle Gym als Vorbild für Schweizer Center?
Die sozialen Medien sind aus dem Fitnesscentermarketing kaum noch wegzudenken. Nicht immer ist das ein solcher Selbstläufer wie im Tulum Jungle Gym und auch nicht immer ist die Zielgruppe so speziell wie dort (Fitnesstouristinnen und -touristen). Doch lässt sich etwas bei den Centerbetreibern in Mexiko für die Studiopraxis in der Schweiz abschauen?
Eine Option ist die Kooperation mit Influencerinnen und Influencern, die, wie das Beispiel Tulum Jungle Gym zeigt, mit ihrer Reichweite und ihren hochwertigen Posts Trainierende ins Center werben können. «Das ist ein Ansatz, der recht gut funktionieren kann. Du lässt einen Promi oder Influencer in deinem Center kostenlos trainieren. Die produzieren dann entsprechenden Content und machen Stories in deinem Gym. Damit erreichst du vor allem die jüngeren potenziellen Mitglieder, sprich die 20- bis 30-Jährigen oder noch jüngeren. Wichtig ist dabei, dass du mit dem Influencer auch genau vertraglich regelst, welche Pflichten zu erfüllen sind: Wie viele Posts, wie viele Bilder, wie wird das Center in den Beiträgen und Stories markiert.» Von höchster Bedeutung ist ausserdem die fachliche Richtigkeit der Inhalte, um das Know-how des Centers adäquat zu präsentieren und sich als professionellen Fitnessdienstleister zu positionieren. Werden beispielsweise Übungen in den Videos oder Fotos der Influencer gezeigt, muss unbedingt darauf geachtet werden, dass diese auch korrekt ausgeführt und fehlerfrei erklärt sind. Durch die Hochwertigkeit dieses Contents kann sich sowohl der kooperierende Influencer als auch das Center von der Masse an Fitnessinhalten auf Social Media abheben. Im besten Fall können so Neukunden gewonnen und bestehende Mitglieder gebunden werden.
In Sachen Übertragbarkeit für die Schweizer Centerpraxis sieht Marco Hirsiger jedoch noch einen ganz anderen Aspekt des Tulum Jungle Gyms stärker im Kommen: das Outdoortraining. «Ich glaube der Trend für Outdoortraining ist nicht erst seit Corona in der Schweiz angekommen. Gerade im Sommer sind die Leute motiviert, sich draussen zu bewegen. Und das betrifft nicht nur die Fitnessfans. Wie im Jungle Gym auch, wollen die Menschen einfach – auch diejenigen, die jetzt nicht unbedingt zu den Fitnessfreaks gehören, – etwas für sich unter freiem Himmel machen.» Ein Gespräch mit einem Fitnessgerätehersteller bestätigt Marco Hirsigers Eindruck: «Outdoorgeräte liegen im Trend». Haben also Outdoortrainingsbereiche in den Fitnesscentern eine Zukunft? Im Hinblick auf die malerische Kulisse im Aussenbereich würden Schweizer Center dem Tulum Jungle Gym jedenfalls in nichts nachstehen.
Fazit
Das Tulum Jungle Gym bietet ein einmaliges Trainingserlebnis: karibischer Sandstrand und Trainingsgeräte aus Naturmaterialien. Auch wenn das Center nachhaltige Materialien verwendet, ist es jedoch eher keine «grüne Alternative» zu klassischen Fitnessanlagen. Ernsthaft Trainierende und Einheimische ziehen – nicht zuletzt wegen der Preise und der fehlenden Trainingsbetreuung – die standardmässigen Fitnesscenter vor. Durch seine aussergewöhnliche Optik und das einzigartige Trainingsangebot hat das Tulum Jungle Gym jedoch auf Social Media eine grosse Reichweite erlangen können. Fitnessfans und Prominente aus der ganzen Welt kommen in das Center, um dort zu trainieren und ihre Trainingsbilder online zu posten. Das Social-Media-Marketing ist durch die vielen Influencerinnen und Influencer zum Selbstläufer geworden. Auch Schweizer Center können mithilfe von Influencerkooperationen bestimmte Zielgruppen erreichen und so Mitglieder gewinnen und binden. Auch die Möglichkeit des Outdoortrainings ist ein Trainingsangebot, das sich die Studios hierzulande vom Tulum Jungle Gym abschauen können, da die Nachfrage hiernach stetig wächst.