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«Wunderwaffe» Krafttraining Arthrose vorbeugen und bekämpfen

Wird Arthrose diagnostiziert, ist der künstliche Gelenkersatz meist nicht mehr weit entfernt. Das ist aber nicht immer unbedingt notwendig. Gezieltes Krafttraining kann einen solchen Eingriff nicht nur hinauszögern, sondern sogar vermeiden. Das bestätigen Erkenntnisse aus der Funktionsdiagnostik und anthropologische Untersuchungen. Doch was ist die strategisch effektivste Trainingsmethode zur Vermeidung von Arthrose? Die Antwort hängt von wenigen Faktoren ab und beginnt auf der Zellebene im Knorpel.

Ist die Gelenkarthrose bereits vorangeschritten, steht im kurativmedizinischen Behandlungsansatz zumeist der künstliche Gelenkersatz als letzte Instanz. Laut derzeitiger Studienlage (Moseley et al., 2002) und angesichts aktueller journalistischer Aufdeckungen (#implantfiles etc.) bestehen jedoch immer mehr begründete Zweifel an der Dringlichkeit und Unausweichlichkeit dieser Hiobsbotschaft. Dieses Wissen nützt dem Patienten mit TEP (= Totalendoprothese) jedoch wenig, da es bereits zu spät ist – zumindest für das bereits zerstörte Gelenk. Statistiken legen nahe, dass nach einem operativen Eingriff aufgrund von Kompensationsmechanismen, Bewegungsmangel und mangelhafter Nachbehandlung mittels nachhaltiger Therapie der nächste künstliche Gelenkersatz nicht lange auf sich warten lässt.

Die Betrachtungsweise aus Sicht von Präventionsspezialisten kann hier bereits im Vorfeld interessante Strategien zur Vermeidung der TEP bieten. Eine fortschreitende Arthrose äussert sich körperlich leider erst dann, wenn es bereits fast zu spät ist. Schmerzhafte Entzündungen des Gelenkes bis hin zu bereits abgenutzter Knorpel-oberfläche lassen die Schmerzrezeptoren des Körpers Alarm schlagen. Der Weg zum Arzt ist unausweichlich.

Arthrose – die häufigste Gelenkerkrankung

Die Deutsche Arthrose-Hilfe e. V. gibt hierbei etwa an: «Arthrose ist die häufigste aller Gelenkerkrankungen. In Deutschland leiden etwa fünf Millionen Frauen und Männer unter Beschwerden, die durch eine Arthrose verursacht werden, mit steigender Tendenz. Zwei Millionen Menschen haben sogar täglich aufgrund ihrer Arthrose Schmerzen in ihren Gelenken. Am häufigsten betroffen sind Hände, Knie und Hüften, aber auch alle anderen Gelenke können befallen sein. Viele Betroffenen haben Arthrose nicht nur an einem Gelenk, sondern laut einer umfangreichen Mitgliederbefragung der Deutschen Arthrose-Hilfe mit über 60’000 Antworten gleichzeitig an sechs und mehr [Gelenken].»

Ältere Menschen leiden häufiger unter einer Arthrose als jüngere. Ab dem 60. Lebensjahr sind gut die Hälfte der Frauen und ein Drittel der Männer betroffen, vor dem 30. Lebensjahr betrifft das gesamtgesellschaftlich nur 1,6 Prozent. Die verschiedenen Arten der Arthrose treten sehr unterschiedlich auf. Während bei einer Hüftgelenkarthrose beide Geschlechter gleichermassen betroffen sind, leiden Frauen im Alter doppelt so häufig an einer Arthrose der Knie- und Fingergelenke wie Männer.

Die Folgen aus den entzündlichen Gelenkknorpelerkrankungen verursachen häufig unerträgliche Schmerz und führen in letzter Instanz zum künstlichen Gelenkersatz. Über vier Millionen Menschen haben allein in Deutschland bereits ein künstliches Gelenk. Jährlich werden etwa 230’000 künstliche Hüftgelenke, 180’000 künstliche Kniegelenke sowie 24’000 künstliche Schultergelenke eingesetzt. Somit ist Deutschland im Relativanteil der gesetzlichen und privaten Versicherungsnehmer weltweit auf Platz 1 der künstlichen Hüftgelenke (USA Knie).

Hyaluronsäure zur Schmerzreduktion

Bei fortgeschrittener Kniegelenkarthrose wird Hyaluronsäure oftmals direkt in das Gelenk injiziert, um einen fortschreitenden Entzündungsprozess zu verhindern. Hyaluronsäure wird auch gern im Mischpräparat mit Kortison verwendet, um die Sekretion – also die Herstellung von körpereigener «Gelenkschmiere» (Synovia) – zu unterstützen.

Das scheint auf den ersten Blick recht einfach, wenn es auch mit Kosten verbunden ist. Problematisch wird diese Vorgehensweise allerdings, wenn man die Arthrose als chronisch degenerative Gelenkerkrankung etwas genauer verstehen möchte. Im Grunde bedeutet das, dass der Knorpelverschleiss ein fortschreitendes Problem darstellt, das mit einer Spritze nur kurzfristig gelöst werden kann. Die Ursache des Knorpelverlustes wird hierbei kaum beachtet. Des Weiteren sind nicht selten auch Fälle von Infektionen bekannt geworden, die bei einer Injektion dieser Art «künstlicher Schmiermittel» aufgetreten sind.

Neue Untersuchungen bestätigen: Sporttherapie ist essenziell

In den letzten Jahren gab es einige interessante und spannende Untersuchungen bezüglich dieser Problematik.

An der Universität Münster wurden Knorpelstrukturen von körperlich aktiven und inaktiven Mäusen analysiert. Die Wissenschaftler blickten bei ihren Untersuchungen im Mikroskop auf «blühende Landschaften» eingefärbter Knorpelstrukturen – vergleichbar mit Satellitenbildaufnahmen von Kraterlandschaften und weiten Ebenen unterschiedlichster Knorpelproben und deren Zusammensetzungen. Genauer in Augenschein wurden hierbei die sog. Fibrillen, kleinste Hightech-Fasern innerhalb der Knorpelstrukturen, genommen – dicht an dicht angeordnet im funktionalen Komplex mit den Knorpelzellen. Betrachtet man diese Strukturen wieder aus der Vogelpers-pektive, erhält man bei noch näherem Heranzoomen einen bekannten Vergleich: Ein Knorpel unter dem Mikroskop ähnelt, einfach ausgedrückt, einer wohlhabenden Vorstadtsiedlung mit alleinstehenden Häusern (Zellen) und den umliegenden Gartenanlagen (Fasern).

Die aktive Gruppe der Versuchsmäuse hatte die – wohlgemerkt freiwillige – Option, auf einem Laufrad ihrem natürlichen Bewegungsdrang nachzugehen, während die Vergleichsgruppe einem eher tristen und unbewegten Dasein ausgeliefert war. Die Untersuchungen ergaben einen signifikanten Unterschied innerhalb der Ordnung und Ausrichtung der Knorpelfibrillen. In Anlehnung an unseren «Vorstadtvergleich» bedeutet dies: Die Vorgärten der aktiven Häuser waren sauber, strukturiert und ordentlich, während die Vorgärten (Fasern) der inaktiven Zellen verwahrlost, unordentlich, ja sogar voller Unrat waren.

Schlussfolgernd kann nach den Untersuchungen zusammengefasst werden, dass psychische Stressfaktoren und Bewegungsmangel eine Entgleisung der natürlichen Zellordnung innerhalb der Knorpelzellen zur Folge haben, die sich negativ auf die Bewegungsfähigkeit und den Ernährungszustand der Knorpel auswirkt.

Arthrose als Folge von Bewegungsmangel

Die antennenähnlichen Rezeptoren an der Oberfläche der Knorpelzellen sind massgeblich beteiligt am Knorpelverschleiss der inaktiven Mäusegelenke. Diese empfangen die körperliche Unterbelastung und schicken die negativen Informationen weiter an das Gehirn. Dort werden diese zusammen mit negativen Empfindungen wie u. a. Stress in einem komplexen Ursache-Wirkung-Mechanismus verarbeitet. Frei nach dem Prinzip «Use it or lose it» besteht demnach kein Bedarf an der Weiterentwicklung benötigter Strukturen (Knorpel) und der durch Bewegungsmangel unnötig gewordene «Mineralien-Fresser» wird abgekapselt. Viel schlimmer noch: Die Knorpelzellen beginnen damit, vormals nicht mineralisierte Bereiche aufgrund des nun energetischen Missverhältnisses zu mineralisieren und somit entartete Strukturen aufzubauen. Der hyaline Gelenkknorpel beginnt an manchen Stellen zu verschwinden, an anderen wiederum entstehen im schlimmsten Falle unerwünschte Verknöcherungen und Zysten. Entzündungen und Schmerzen bis hin zum künstlichen Gelenkersatz können die Folge sein.

Und jeder kennt diesen einen Nachbarn mit dem verwahrlosten Vorgarten, den gehorteten Müllbergen, die irgendwann einmal dazu führen, dass er sein Haus nicht mehr verlassen kann. Die gute Nachricht: Krafttraining stellt die wirkungsvolle Gegenstrategie zur beschriebenen Problematik und den gelenkinternen Abbauprozessen dar. Mit natürlicher und v. a. komplett durchgeführter Gelenkbewegung (Full ROM), unter dosierter Belastung, beginnt ein «Umdenken» in den Zellen des Knorpels. Die mentale Komponente, also der Spass an der Bewegung bei gleichzeitigem Kraftaufwand im Krafttraining, schafft den langfristigen Mehrwert. Man kann also sagen: Kommt regelmässig netter Besuch, wird der Garten aufgeräumt und bleibt somit länger benutzbar.

Alte Knochen bestätigen neue Erkenntnisse

Ein weiteres wissenschaftliches Projekt gibt ähnliche Hinweise. So wurden in einer gross angelegten Forschung des Museu Nacional de História Natural e da Ciência in Lissabon die Knochen von bereits verstorbenen Menschen der letzten zwei Jahrhunderte untersucht. Gegenstand der Untersuchung war die Frage nach der Langlebigkeit der Gelenkknorpel in Zusammenhang mit der jeweiligen Berufsgruppe.

Die aussagekräftigen Ergebnisse weisen auf einen direkten Zusammenhang zwischen immer wiederkehrenden körperlichen Belastungen, routinierten Bewegungsabläufen und gleichbleibenden Gelenkknorpeln hin. Einfacher ausgedrückt, es war die Berufsgruppe der Bauern, die auch im hohen Lebensalter noch überwiegend normal dicke Gelenkknorpel aufwies. Im Gegensatz dazu wies die Berufs-gruppe der Tagelöhner bereits im jungen Lebensalter eine hohe Arthroseprävalenz auf. Diese Berufsgruppe zeichnete sich vor allem durch körperliche Überlastung in Kombination mit Arbeitslosigkeit und Existenzangst aus. Was also unsere Knorpelzellen zum Substanzerhalt stimuliert, kann durch das Beispiel des historischen Landwirtes nachvollziehbar übertragen werden: die regelmässige Bewegung entspricht der täglichen körperlichen Arbeit, routinierte Belastungsmuster bedeuten keine körperliche Überforderung und nicht zuletzt gibt es einen periodisierten Wechsel im Anforderungsprofil, also jahreszeitabhängige Belastungswechsel. Die Bedeutung für die Moderne lässt demnach einen direkten Vergleich mit dem Training im Fitnesscenter bei korrekter und intensitätsgesteuerter Trainingsplanung zu.

Fazit

Um die Fragestellung zu klären, wie die Entstehung einer Arthrose bzw. eine Verschlechterung bereits bestehender arthrotischer Veränderungen der Gelenkknorpel verhindert werden kann, sollte die aktuelle Forschungslage daher «modern metaphorisch» wie folgt interpretiert werden: Regelmässiges Krafttraining mit einer angepassten Intensitätssteuerung und periodisch wechselnden Trainingsmethoden wirkt sich positiv auf die Gelenkgesundheit und insbesondere den Knorpel aus. Neben Fitnesstraining bietet kaum eine andere Sportart eben diesen planbaren Mehrwert sowie den präventiven Nutzen bei fortschreitendem Gelenkverschleiss. Regelmässiges Krafttraining kann hier präventiv den Knorpel stärken und im Einzelfall sogar die «schonendere und zielführendere» Option gegenüber Spritzen oder schlimmstenfalls einer Operation darstellen.

Auszug aus der Literaturliste

  • Milella, M., Cardoso, F. A., Assis, S., Lopreno, G. P., & Speith, N. (2015). Exploring the relationship between entheseal changes and physical activity: A multivariate study. American journal of physical anthropology, 156(2), 215–223.
  • Jurmain, R., Cardoso, F. A., Henderson, C. & Villotte, S. (2011). Bioarchaeology‘s Holy Grail: the reconstruction of activity. A companion to paleopathology, 531–552.

Für eine vollständige Literaturliste kontaktieren Sie bitte marketing@dhfpg-bsa.de.

Karl Kühne

Der Sporttherapeut, Fitness- und Selbstverteidigungstrainer Karl Kühne (M. A.) ist als Dozent und Tutor sowohl für die Deutsche Hochschule für Prävention und Gesundheitsmanagement (DHfPG) als auch für die BSA-Akademie tätig. Sein Aufgabenbereich umfasst Trainingslehre, Gesundheitsförderung und den Schwerpunkt Sporttherapie.

www.dhfpg-bsa.de