Ärztin mit einer besonderenLeidenschaft

Bodybuilding mit 50 plus und nach Krebstherapie

Sandra Jensen startete ihre Laufbahn als aktive Wettkampfathletin im Bodybuilding im Alter von 45 Jahren. Wir sprachen mit ihr über ihre Motivation für diesen Sport, das Frauenbild in der Gesellschaft, Glaubenssätze, die das Leben bestimmen, und ihren Überlebensinstinkt nach der Krebsdiagnose.

FITNESS TRIBUNE: Sandra, wie bist du zum Bodybuilding gekommen?

Sandra Jensen: Ich bin Humanmedizinerin und in der Beratung für die Pharmabranche (Arzneimittelforschung) und im Gesundheitswesen tätig. Als Ärztin kenne ich den Mehrwert eines aktiven Lebensstils und gesunder Ernährung für Körper und Geist und setze meine berufliche Kompetenz auch in meinem Privatleben ein, um mir selbst treu zu bleiben und anderen Frauen als Vorbild zu dienen. Durch meine Familie bin ich seit meiner frühen Kindheit sportlich geprägt. Ich komme vom Ballett und Eiskunstlauf. Mit Fitnesstraining habe ich vor 30 Jahren hauptsächlich aus Zeitgründen angefangen, dann aber meine Leidenschaft für das Bodybuilding entdeckt.

Du hast vergleichsweise spät angefangen, an Bodybuildingwettbewerben teilzunehmen. Bei deinem ersten Wettkampf warst du schon 45. Was hat dich motiviert, das zu tun?

Als ich mit dem Medizinstudium angefangen habe, war Eiskunstlauf aus zeitlichen Gründen für mich nicht mehr möglich. Fitnesstraining war eine würdige Alternative. Im Gym habe ich dann eine erfahrene Wettkampfathletin kennengelernt, die ein Jahr älter war als ich. Sie hat mich inspiriert und ich konnte mich sehr gut mit ihr identifizieren. Ein paar Wochen später meldete ich mich zu meinem ersten Wettkampf an.

Warum ausgerechnet Bodybuilding?

Es bietet einfach viele Möglichkeiten, deinen Körper weiterzuentwickeln. Geprägt von der Liebe zum Tanz, habe ich von «Figur» zur «Women’s Physique» gewechselt und dafür mehrere Kilos Muskelmasse aufgebaut. Dort kann ich acht statt vier Pflichtposen und eine Kür machen und so meine künstlerische Seite einfliessen lassen. Das macht mir Spass und bietet eine Herausforderung zum Wachsen.

Fotos: Sandra Jensen

Hattest du jemals auch Zweifel? Wo lagen für dich die grössten Herausforderungen?

Nein, ich liess und lasse es auf mich zukommen. Diese neue Herausforderung hat mich gereizt. Ich wollte mir beweisen, dass ich das alles trotz meines Alters und trotz meiner vergangenen Krebserkrankung schaffen kann.

Das Zunehmen für den Aufbau von Muskelmasse, nach 30 Jahren gut eingestellter Ernährung und stabilen Körpergewichts, ist und bleibt eine Herausforderung für mich. Ich muss viel essen – sechs Mahlzeiten und 3000 Kilokalorien pro Tag. Das Training verändert sich altersbedingt – die Regenerationsphasen werden länger und die maximale Trainingsdauer kürzer.

Siehst du Parallelen zwischen deinem Job als Projektmanagerin und einer Wettkampfvorbereitung?

Ja, definitiv. Es sind die gleichen Soft Skills, die für Wettkampfsport und Business notwendig sind: Widmung, Disziplin, Fokus, Überzeugung, Mut, ausserhalb der Komfortzone zu agieren und Mut, weiterzugehen, wenn der Körper nicht mehr will und der Geist zweifelt. Ausserdem muss man viele verschiedene Dinge koordinieren und aufeinander abstimmen: Training, Mahlzeiten, Familie, Partnerschaft und den Job. Vorausschauend planen zu können und sehr strukturiert zu sein, sind hier entscheidende Faktoren.

Als du mit dem Wettkampfsport angefangen hast, hattest du bereits Familie und standest mitten im Berufsleben – normalerweise ist das «andersherum». Hat es das für dich schwieriger gemacht oder hat es dir vielleicht sogar geholfen?

Es geht um die Prioritäten, Zeitmanagement und die Einstellung, den Raum für persönliche Entwicklung zuzulassen. Ich habe einen unterstützenden Ehemann, der sich schon vorher für die Familie und im Haushalt eingesetzt hat, was für mich auch ein wichtiges Kriterium bei der Partnerwahl ist, und der mich auch jetzt unterstützt und bei meinen Wettkämpfen begleitet. Berufliche, sportliche und familiäre Verpflichtungen fordern die Zeit und die Widmung und gleichen sich gegenseitig aus.

Viele denken, dass Bodybuilding insbesondere für Frauen ab einem bestimmten Alter nicht mehr möglich ist. Du bist der beste Gegenbeweis dafür. Was möchtest du Frauen in deinem Alter mit auf den Weg geben?

Das ist ein weit verbreiteter Irrglaube. Gerade im Bodybuilding sind viele Wettkampfathleten gar über 70 Jahre alt. Meine Hauptbotschaft: an sich und nicht an die Ratschläge der anderen glauben. Ein durchtrainierter Körper geht viel leichter durch die Menopause, und der altersbedingte Muskelabbau ist langsamer. Viele Frauen trauen sich nicht, es zu versuchen. In meinen Augen wird den Frauen durch unsere Gesellschaft immer noch vermittelt, dass Muskeln unweiblich sind, dass Attraktivität und ein gewisser «Ich-Bezug» nach Heirat und Kindern keine Rolle mehr spielen dürfen und dass man sich selbst der Familie hintanstellen soll. Ich habe das Glück, dass ich egalitär zum unabhängigen, ehrgeizigen Menschen erzogen wurde, der sehr auf sich selbst achten darf und soll. Auch kann ich nur mental und körperlich stark eine Stütze für meinen Mann und meine Familie sein. Es sind die Glaubenssätze, denen du folgst, die dich bestimmen.

Ist Bodybuilding neben dem harten Training und der Disziplin, die es erfordert, auch ein Stück weit eine Möglichkeit, sich Zeit für sich zu nehmen?

Ja, das Bodybuilding ist für mich absolute «Me-Time». Insbesondere während des Trainings fokussiere ich mich ausschliesslich auf mich. Auch wenn mich das Training Kraft kostet, gibt es mir gleichzeitig auf einer anderen Ebene auch sehr viel Kraft zurück. Nach dem Training bin ich dann zwar etwas müde, aber auch entspannt und ich kann mich anschliessend wieder voll auf das Familienleben konzentrieren.

Du hattest vor einigen Jahren Krebs. Hat der Sport dir geholfen, mit der Erkrankung umzugehen?

Ja. Ich hatte vor zehn Jahren eine Brustkrebserkrankung. Während meiner Therapiephase war intensiver Sport meine Rettung – sowohl körperlich als auch geistig; gar leichtes Training direkt nach der Chemo. Sport hat mir den robusten Körper gegeben, der die Belastung der Krankheit und der aggressiven Therapie aushalten konnte. Zeitgleich hat mir der Sport den starken Willen gegeben, zu überleben. Ohne ihn hätte ich eine so schnelle Genesung nicht geschafft. Das Teilen meiner Erfahrung hat zahlreichen Betroffenen, denen ich im Rahmen der Patient Advocacy begegnete, geholfen, wieder zurück ins Leben zu finden. Ich coache Menschen nach rekonstruktiven Operationen und optimiere deren Training, um beeinträchtigte Muskeln auszuschalten und trotzdem den ganzen Körper trainieren zu können. Ich hatte damals eine Pionierrolle, mittlerweile besteht medizinische Evidenz, dass sportliche Betätigung und nicht nur die Schonung die Genesung fördert; mittlerweile entstehen zahlreiche Onkofitprogramme.

Welchen Stellenwert misst du Sport und Ernährung insbe-sondere im Hinblick auf die Krankheit Krebs bei?

Neben dem Sport erachte ich die Ernährung als enorm wichtig. Während der Therapie steigt, bedingt durch die Chemo, die Operationen und die Wundheilung der Eiweissbedarf des Körpers an. Ich selbst war 20 Jahre lang Ovo-Lacto-Vegetarierin. Aber während der Krebstherapie habe ich angefangen, wieder Fleisch zu essen. Proteine und Kohlenhydrate sind massgeb-lich für den Muskelerhalt und der wiederum für gesunden Stoffwechsel und die Wundheilung bzw. Genesung während und nach einer für den Körper so strapaziösen Behandlung. Die Muskelmasse ist die «Substanz», die wir der Krankheit entgegensetzen können und die wir dringend brauchen. Viele Frauen nehmen, belehrt von irreführenden Informationen und Ernährungstrends sowie häufig unter dem Leid von einem durch die Chemo veränderten Geschmackssinn, viel zu wenig Eiweiss zu sich. Ich versuche, hier möglichst viel Aufklärungs-arbeit zu leisten.

Wie sehen deine Pläne für die Zukunft aus?

Ich werde auf jeden Fall weiter machen und Wettkämpfe bestreiten, solange mein Körper und mein Geist mitmachen und ich Freude daran habe. Dieses Jahr starte ich, nach meiner Silbermedaille beim diesjährigen Mr. Universe in Liechtenstein, beim IFBB International Grand Prix auf Malta im November und beim IFBB World Women’s Championship in Japan im Dezember.

Über die Interviewpartnerin
Sandra Jensen ist Ärztin und arbeitet als Beraterin im Gesundheitswesen. Nach der Heilung ihrer Krebserkrankung bestritt sie 2019 mit 45 Jahren ihren ersten Bodybuildingwettkampf und ist 2023 Schweizer Meisterin und Mediterranmeiserin in der Klasse «Women’s Physique» geworden. Im Dezember startet sie in der «Women’s Physique»-Klasse auf der Frauen-Weltmeisterschaft der IFBB in Japan.

Fotos: Sandra Jensen

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