Schönwetterkonzept mit klaren Grenzen?

Dis Training varussa

Wer im Fitnesscenter trainiert, schätzt die Möglichkeit, zu jeder Zeit trainieren zu können – unabhängig von aktuellen Witterungsbedingungen. Wer mit Raffaella Casellini trainiert, der schätzt die Möglichkeit, zu jeder Zeit draussen u. a. HIIT, TRX, BOOTCAMP und Stretch & Flow trainieren zu können – ganz wetterunabhängig. Doch ist das tatsächlich so? Sind die Trainierenden bereit, auch bei Regen, Schnee und Kälte zu trainieren oder doch nur bei bestem Sonnenschein? Und ist dieses Konzept womöglich auch interessant für Fitnesscenter «mit Wänden»?

Raffaella Casellini gründete im März 2021 «dis Training varussa», sozusagen ein Freiluftgruppenfitnesscenter, das die örtlichen Gegebenheiten nutzt und nur wenig zusätzliches Equipment verwendet. «Die Mitglieder sollen sich und ihren Körper spüren», so beschreibt Raffaella das von Krankenkassen anerkannte Training selbst. Und zu diesem Sich-spüren-können gehört auch, dass alle Trainings ausschliesslich varussa, also draussen stattfinden – die Witterungsbedingungen spielen dabei keine Rolle.

Egal, ob Regen, Sonne oder Schnee

Seit mittlerweile drei Jahren bietet die heute 33-Jährige Gruppenfitnesskurse und bei Wunsch auch Personal Trainings in der Gemeinde Schwyz an. Aber wer mit ihr trainieren möchte, darf nicht «aus Zucker» sein und muss frische Luft sowie die Natur mögen, denn der Name «dis Training varussa» ist Programm. Trainiert wird ausschliesslich outdoor auf dem örtlichen Sportplatz in Schwyz. Dort findet man die Trainingsfreudigen bei nahezu jeder Witterungsbedingung. Einzige Ausnahme: Bei starkem Regen, Sturm oder wenn es besonders heiss ist, wird auch mal der Unterstand in Ibach aufgesucht. «Dieser Unterstand ist ein grosser Zugewinn für das Trainingsangebot, weil er Schutz und ausreichend Platz bietet und weil wir dadurch den Stundenplan individueller gestalten können». Ausgefallen ist das Training aufgrund der Witterungsbedingungen seit der Gründung laut Raffaella aber bis dato nur ein einziges Mal: «Wir mussten letztes Jahr das bisher erste und einzige Mal die eigentliche Gruppenstunde absagen. An dem Tag waren es 36 Grad, angefühlt hat es sich aber wie 40 Grad. Mit allen, die Lust darauf hatten, bin ich dann kurzerhand ins Seebadi schwimmen gegangen. Die Trainingseinheit war also nicht verloren und wurde nur durch ein Alternativprogramm ersetzt.»

Resistent zeigen sich Raffaella und ihre Trainierenden auch, wenn das Thermometer in den Wintermonaten in eine ganz andere Richtung geht: «Im Winter waren es an einem Tag minus sieben Grad. Das haben wir dann auch gemerkt, weil wir alle unter der Anstrengung nicht richtig atmen konnten. Dann war eben ein etwas ruhigeres und entspannteres Training angesagt – unsere Körper wurden zwar bei diesen Temperaturen ordentlich gefordert, aber deswegen mussten wir nicht absagen.»

Die Frage nach dem Warum

Outdoortraining ist bei schönem Wetter sicherlich toll, aber warum bei jeder Witterung? Für Raffaella liegt die Antwort klar auf der Hand. Sie sieht keinen Unterschied, ob man sich nun fürs Gym oder zum Outdoortraining überwinden muss: «Wenn es draussen kalt ist, lockt dein Sofa mit der warmen Decke. Ist es warm und sonnig, willst du lieber einen Apéro geniessen statt dich anzustrengen und zu schwitzen. In solchen Momenten gegen den inneren Schweinehund zu gewinnen, ist beim Gym genauso schwer wie beim Outdoortraining.»

Den grössten Unterschied machen für sie allerdings die Emotionen beim bzw. nach dem Training: «Wenn es regnet oder sogar schneit und du trotzdem dein Training absolviert hast, bist du einfach unglaublich stolz auf dich. Wenn du im Frühling und Sommer beim Sonnenauf- oder -untergang trainierst, erhältst du neben deiner Vitamin-D-Dosis auch noch einen sagenhaften Ausblick. Das macht einfach glücklich. Natürlich habe ich dafür keine wissenschaftlichen Belege, aber ich sehe es meinen Mitgliedern jeden Tag aufs Neue an.» Ein weiterer wichtiger Faktor ist ihrer Meinung nach auch der Sauerstoffgehalt, der draussen konstant bleibt, während er in einem Gruppenfitnessraum irgendwann aufgebraucht ist.

Das mache die Atmosphäre angenehmer und die Trainierenden blieben länger leistungsfähig.

Junge Frauen im Fokus – nicht ganz absichtlich

Wer sich die Bilder auf der Website von «dis Training varussa» anschaut, bekommt auch einen direkten Eindruck von der nicht unbedingt absichtlich entstandenen, aber doch sehr klaren Zielgruppe: überwiegend Frauen in ihren Zwanzigern oder Dreissigern. Die gesamte Altersspanne geht von 17 bis 63 Jahren. Im Schnitt sind die Trainierenden rund 35 Jahre alt. Diese sehr klare Zielgruppe war aber laut Gründerin so gar nicht geplant: «Ich würde mir mehr Männer in unseren Stunden wünschen (lacht). Denen würde es bei uns super gehen – auch weil unsere Trainings ziemlich hart sein können, wenn man das möchte. Aber das funktionelle Training hat bei Männern womöglich noch nicht das Image, das ich mir wünsche. Sie gehen lieber ins Gym und trainieren dort, anstatt draussen in einer coolen Gruppe. Vielleicht habe ich sie mit unserer Werbung auch noch nicht richtig abholen können.»

Insgesamt trainieren 190 aktive Mitglieder bei «dis Training varussa». An einer Lektion nehmen ca. 15 Trainierende teil. Dabei sind Auslastung und Nachfrage mittlerweile so hoch, dass die Gründerin für August eine erneute Erweiterung ihres Angebots um differenziertere Trainings für Einsteiger und Fortgeschrittene plant. «Anhand unserer App kann ich für jeden Kurs die genaue Auslastung erkennen. Und die ist sehr gut. Das ist aber auch der vielen Werbung geschuldet, die ich seit einiger Zeit mache. Ich möchte meine Vision mit ‹dis Training varussa› eines Tages erreichen.»

Überzeugung durch clevere Vermarktung

Das Ziel oder die Vision von Raffaella für die nächsten Jahre ist klar: Der gesamte «Talkessel» soll das Outdoorkonzept kennen und das Training besuchen. Um das zu erreichen, ist eine clevere Vermarktung dieses doch in sehr vielen Punkten anderen Konzepts essenziell. Aus diesem Grund stellt Raffaella ihre Aktivitäten auf mehrere Füsse: Neben der klassischen Werbung über Flyer, Plakate und letztlich auch über Mundpropaganda hat sie sich u. a. um eine Kooperation mit der Gemeinde Schwyz zur Gesundheitsförderung für das Volk bemüht. Im Rahmen dieses Projektes bietet Raffaella ein kos-tenfreies Outdoortraining an – die beste Werbeplattform für «dis Training varussa». Gleichzeitig arbeitet sie auch mit regionalen Vereinen zusammen.

Eine besondere Werbeplattform ist und bleibt Instagram. Hier präsentiert Raffaella ihr eigenes reales Fitnessleben: «Ich teile mit den Leuten, wie ich selbst trainiere – gebe aber auch offen zu, wenn ich keine Lust auf Sport habe. Das macht das Ganze realer, nahbarer und nimmt wieder diesen omnipräsenten Druck raus. Trotzdem bin ich keine Influencerin oder so. Die Sprache auf Social Media ist meine, aber ich bin im Endeffekt nur die Mittlerin von ‹dis Training varussa›»

Schönwetterkonzept mit klaren Peaks?

Nun stellt sich allerdings immer noch die Frage, wie sich die Teilnehmendenzahlen im Vergleich zwischen Sommer und Winter verhalten. Als Raffaella mit ihrem Konzept gestartet ist, haben die Trainierenden auch aktiv danach gefragt, wann denn die Winterpause starten würde – selbst ihre Zielgrup-pe konnte sich also kein Outdoortraining im tiefsten Winter vorstellen. «Eine Teilnehmerin wollte von sich aus eine Winterpause einlegen – was sie natürlich auch dürfen. Sie teilte mir mit, dass sie erst wieder im Frühling dabei sein wolle. Schon im Dezember stand sie wieder auf der Matte, weil sie das Training einfach so vermisst hatte.»

Diese Reaktion ist laut Raffaela kein Einzelfall, weswegen die Nachfrage auch im Winter hoch bleibt und ein richtiger Peak in Abhängigkeit zur Jahreszeit nicht erkennbar wäre: «Wir haben definitiv eine Konstanz in der Nachfrage. Natürlich gibt es auch gewisse Schwankungen wie im Studio: Im Januar strömen neue Mitglieder in die Kurse, weil der Jahresvorsatz kickt, und im Sommer sind es einige Wochen ein paar weniger Teilnehmende, weil viele in Urlaub sind. Ansonsten kommen die Trainierenden alle regelmässig.»

Abonnemente – old fashioned statt up to date?

Auch was die Abonnementestruktur anbelangt, setzt Raffaella auf andere Wege. Für ihr Outdoortraining können die Teilnehmenden Zehner-, 20er- oder 50er-Karten erwerben, die ein bzw. 1,5 Jahre ihre Gültigkeit behalten. Bewusst hat sich das Team von «dis Training varussa» gegen eine Abonnementestruktur mit Laufzeit entschieden – der Grund: Sie möchten den Teilnehmenden keinen Druck vermitteln, ihre Alltagsrealität verstehen und ihnen eine unkomplizierte Möglichkeit zum Training nach eigenem Zeitplan anbieten. «Besonders Eltern, Schichtarbeitende und Vielreisende sind dafür sehr dankbar und kommen unter anderem deshalb auch zu uns. Es ist uns aber sehr wichtig, dass die Menschen sich bewegen und zwar regelmässig. Ob dies bei einem Spaziergang mit dem Kinderwagen, der Joggingrunde oder sogar bei einem anderen Angebot passiert, spielt für uns keine Rolle. Unsere Teilnehmenden kommen zu uns, wenn es für sie passt. Viele sehr regelmässig, einige öfter und andere halt selten. Aber sie kommen, und sie kommen gern. Genau das ist unser Erfolgsrezept, denn Motivation muss intrinsisch passieren und nicht über starre Preisstrukturen, die Druck auslösen. Nur dann ist der Lerneffekt für mehr Bewegung im Leben auch langfristig.»

Für viele Studios ist die Abostruktur über Zehnerkarten und Co wenig interessant, weil sie nicht zuletzt eine zu geringe Bindung des Mitglieds an das Studio zur Folge hat. Raffaella sieht hier die Pflicht zur Bindung eher über die Entwicklung eines persönlichen Verhältnisses zu jedem Mitglied. «Ich habe einfach ein sehr grosses Vertrauen in unsere Trainierenden, dass sie wiederkommen und uns langfristig treu bleiben. Das hat nicht zuletzt damit zu tun, dass wir von unseren Teilnehmenden sehr geschätzt werden, uns viel Zeit für sie nehmen und letztlich auch eine sehr starke Kundenbindung haben, die mich ebendieses Vertrauen fühlen lässt.»

«Für mich sollte die Verbindlichkeit nicht über das Abo, sondern über die persönliche Beziehung entstehen und eben durch das Wissen, wie toll die Fitnesslektion ist und wie gut sie einem tut. Gesundheit sollte ohne Druck und ohne Zwang etabliert werden, nur dann kann man sie langfristig aufrechterhalten. Denn Druck spüren wir in anderen Lebensbereichen bereits zur Genüge – das Training sollte entspannen, nicht zusätzlich zu Stress und Co beitragen.

Outdoortraining – ein unterschätztes Potenzial?

Wer Outdoorangebot hört, denkt oft an grosse Investitionen in Gerätschaften oder umfassende Umbaumassnahmen. Ein Functional-Training-Angebot kann aber bereits eine wichtige Erweiterung des Leistungsportfolios sein, um die Nachfrage zu erfassen bzw. um die eigene Attraktivität zu steigern. «Wer kreativ genug ist, kann Outdoortraining abwechslungsreich und produktiv gestalten. Man muss dazu nur die Gegebenheiten vor Ort nutzen: eine Treppe, eine Bank, Wände von Gebäuden, … » Viele Studios scheuen sich aber noch vor der Implementierung eines solchen Angebots. Den Grund dafür sieht Raffaella oft auch in dem noch dürftigen Weiterbildungsangebot: «Ich wollte bereits vor acht Jahren in dem Studio, in dem ich damals angestellt war, eine Outdoorstunde etablieren. Das wurde aber abgelehnt. Heute bin ich deren grösste Konkurrenz. Das ist der beste Beweis, dass Studios auch mal über den Tellerrand schauen sollten und die nach Corona wieder eingetretene Bequemlichkeit – das haben wir schon immer so gemacht – abschütteln dürfen. Dazu braucht es aber sicherlich auch noch einschlägigere Ausbildungen, wie z. B. eine offizielle Instruktorausbildung, damit sich Trainer und Trainerinnen sicher fühlen können und ein Angebot schaffen, das professionell und gesund umgesetzt werden kann.»
Als grösster Vorteil, aber gleichzeitig als schwerwiegendste Herausforderung sieht sie die Offenheit des Konzeptes an. «Es gibt keine Wände, die die Gruppe limitieren. Man kann sich frei bewegen und den Platz beanspruchen, den man braucht. Für die Trainer und Trainierinnen bedeutet das, die Gruppe auch auf einem grösseren Radius im Auge zu behalten, stärker auf die Übungsausführung zu achten, weil es ja auch keine Spiegel gibt, und die Gegebenheiten vor Ort für sich optimal zu nutzen. Natürlich ist das Format dadurch anspruchsvoller und verlangt viel mehr Coaching-Elemente, aber es macht den Trainierenden und einem selbst so viel Freude, dass ich das Studio auch bei miesestem Wetter nicht vermisse.»

Wo es in Zukunft hingehen soll

«Ich habe tatsächlich noch ein grosses Ziel neben der Erweiterung unseres Angebots. Ich möchte gern auch ältere Menschen und eben mehr Männer von uns überzeugen. Aktuell erreichen wir nur sehr wenige Menschen der Zielgruppe 50 plus, weil die Trainings eben nicht so locker sind. Aber mein Ziel ist ganz klar, dass wir hier noch differenzierter werden, um auch die Ü-50-Generation von uns und unserem Angebot zu überzeugen.»

ÜBER DIE INTERVIEWPARTNERIN

Raffaella Casellini wollte bereits mit 17 Jahren unbedingt ins Fitnessstudio und entdeckte dort auch sehr schnell ihre Leidenschaft fürs Fitness- und vor allem fürs Gruppentraining. Nach einigen Jahren als Mitglied in unterschiedlichen Studios kam dann der Wunsch auf, selbst Kursleiterin zu werden. Gestartet ist die 33-Jährige mit einer Ausbildung zur Kickpower-Kursleiterin. Mit den Jahren kamen immer mehr Ausbildungen und immer mehr Stunden hinzu. 2021 startete sie schliesslich aufgrund der damals geltenden Corona-Massnahmen mit ihrem seit acht Jahren gehegten Traum, Gruppenfitness outdoor anzubieten. Damit war «dis Training varussa» geboren. Und 2023 wagte die gelernte Kindergartenlehrerin und damalige Schulleiterin den Schritt in die Selbstständigkeit.

Mittlerweile besteht das Team aus vier Trainerinnen mit unterschiedlichen Schwerpunkten – weiteres Wachstum definitiv nicht ausgeschlossen.

www.distrainingvarussa.ch

Fotos: Michelle Fontjine, dis Training varussa

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