Die Macht der Gewohnheit
Regelmässigkeit im Training ist wichtig. Dies konnte bereits im Fachbeitrag «Kontinuität = Effektivität» in Ausgabe 203 der FITNESS TRIBUNE beleuchtet werden. Nun stellt sich die nächste wichtige Frage: Mit welchen Strategien schafft es der Trainer, seine Mitglieder in der Gewohnheitsbildung zu unterstützen?
Wie erreicht der Trainer die Regelmässigkeit im Training, in der Ernährung oder in der Erholung seines Mitglieds? Kein Bizeps ist nach einem einzigen Training markant und langfristig gewachsen. Keine langfristig positiven Auswirkungen konnten nach dem einmaligen Verzehr eines Brokkoliröschens gemessen werden. Und der permanente Stresslevel wird sich auch auf lange Sicht nicht durch eine einmalige frühe und ruhige Nacht beeinflussen lassen. Eine langfristige Veränderung bedarf regelmässiger Massnahmen, wie dem Fachartikel «Kontinuität = Effektivität» in Ausgabe 203 der FITNESS TRIBUNE zu entnehmen ist. Die Bedeutung der Wiederholung und folglich der Regelmässigkeit steht ausser Frage – so weit die Theorie. Aber wie lässt sich die Kenntnis darüber in die Praxis übertragen?
Dieser Artikel befasst sich mit verschiedenen Möglichkeiten, gewünschte Gewohnheiten anzunehmen und ungewünschte abzulegen. Ebenfalls wird versucht, inmitten dieser verschiedenen Ansätze eine gemeinsame Grundlage für alle Kundinnen und Kunden zu definieren. Die unten aufgeführten möglichen Ansätze und Vorgehensweisen zur Gewohnheitsanpassung lassen sich nicht nur im Training, sondern auch in der Ernährung sowie im Erholungsverhalten anwenden. Sie bieten sich als mögliche Werkzeuge an, die ausserdem der persönlichen Verträglichkeitsprüfung standhalten sollten.
DIE OBERSTE PRIORITÄT HAT DIE REGELMÄSSIGKEIT.
Das richtige Warum
In jedem Fall wäre es gemäss Sinek ideal, der Zielsetzung auf den Grund zu gehen und das wahre Warum zu ermitteln (Sinek, 2014). Ist dieses klar, kann die Sache optimal angegangen werden. Stimmt die Grundlage (egal in welchem Bereich), kann darauf aufgebaut und Fortschritte können erzielt werden. Erst danach ergibt es Sinn, den Weg (das Wie) zum Ziel (das Was) zu definieren.
Ein Beispiel: Ein Mitglied hat den Wunsch, abzunehmen (das Was). Nun macht sich der Trainer mit dem Mitglied auf die Suche, wie das zu bewerkstelligen sein könnte (das Wie) und lässt den wahren Grund (das Warum) aussen vor. Früher oder später wird das Wie verworfen und das Was entsprechend nicht erreicht. Es wäre sinnvoller, zu hinterfragen, warum das Mitglied abnehmen will. Da gibt es unzählige Gründe: Wohlgefühl, medizinische Gründe, optische Gründe usw. Dieses individuelle Warum gilt es zu beleuchten und in den Vordergrund zu stellen. Erst danach sollte sich der Trainer intensiv mit dem Wie und dem Was auseinandersetzen.
Mit dem abgeklärten Warum kann ins Wie gestartet werden. Und dies vorzugsweise einfach, da eine komplexe Heran- gehensweise strategisch keine gute Idee sein kann (Montgomery, 1958). Und der erste Schritt vom Wie, wer hätte es gedacht, ist sicher regelmässig.
ES BENÖTIGT MONATE AKTIVER UND BEWUSSTER UMSETZUNG, UM EIN NEUES VERHALTENSMUSTER ANZUNEHMEN.
DEN WAHREN GRUND FÜR EINE VERÄNDERUNG ZU KENNEN, HILFT BEI DER DURCHSETZUNG DER MASSNAHMEN.
Verhaltensänderung als Stichwort
Wie kann das Verhalten geändert werden? Wenn sogar eine Krebsdiagnose das Essverhalten nicht ändern kann, was dann (Aldossari, Sremanakova, Sowerbutts, Jones, Hann & Burden, 2023)? Studien haben ergeben, dass bei einem Erwachsenen mit ca. zwei Monaten Umsetzungszeit gerechnet wird, bis sich ein neues Muster im Verhalten etabliert hat (Keller, Kwasnicka, Klaiber, Sichert, Lally & Fleig, 2021). Es braucht also Zeit, Zeit das neue Verhalten bewusst und mit Aufwand umzusetzen, bis es zum Automatismus wird. Und genau das gilt es zu bewerkstelligen: die Massnahmen (ob Training, Ernährung oder Lebensstil) als Automatismus in den Alltag aufzunehmen. Ansonsten ist keine langfristige Veränderung zu erwarten.
Welche Hilfsmittel sind also vorhanden, um bewusst in dieser wichtigen Startphase die Massnahmen umzusetzen? Einige Ideen lassen sich durchaus herleiten:
- Das Warum in den Fokus setzen – symbolisch lässt sich hier der Grund des Umschwungs als Bild oder Sprichwort gut auf dem Mobiltelefon oder sonstigen Bildschirmen als Erinnerung und Motivation darstellen. Diese Motivationsbilder, sofern sie richtig gewählt werden, können an den wahren Grund des Unterfangens erinnern und somit schwache Momente überbrücken.
- Einfach beginnen und danach steigern – einfache Massnahmen haben Vorrang und können zuerst häufiger, dann komplexer gestaltet werden. Im Training kann das die Zeit und Häufigkeit sein (bereits zwei Krafttrainingseinheiten pro Woche reichen vorerst aus). Im Hinblick auf die Ernährung kann das Mitglied zum Beispiel mit einer Portion Gemüse pro Tag starten und sich danach langsam zu einer Portion Gemüse zu jeder Mahlzeit steigern. Hierbei ist der Grat zwischen «unnützem» Zuwenig und unrealistischem Zuviel herauszufinden. Beides wirkt demotivierend und somit ist die Steigerung nach Erreichen der einfacheren Stufen prioritär anzugehen.
- Mit einem Projektpartner arbeiten – Studien haben gezeigt, dass öfter und länger trainiert wird, wenn der richtige Trainingspartner einbezogen wurde (Rackow, Scholz & Hornung, 2015). Dabei ist es von Vorteil, wenn dieser eine positive emotionale Verbindung hat. Klar, mit Wut im Bauch wird vielleicht mehr gestemmt, aber der Regelmässigkeit dient das Trainieren mit jemandem, den man verachtet eher weniger. Das Arbeiten an einem gemeinsamen Ziel erhöht die Motivation und erhöht die Chancen, ein Motivationsloch zu überbrücken. Ist der eine nicht wirklich motiviert und würde allein nicht ins Training gehen, besteht noch die Möglichkeit, dass der Trainingspartner auf eine Trainingseinheit besteht und somit eine Reizsetzung stattfindet.
- Die Massnahme als festen Tagesbestandteil einplanen – eine sinnvolle Methode ist, an bestehende Automatismen (Mahlzeiten, Zähne putzen usw.) anzuknüpfen. Gerade um die Arbeit herum ist dies sinnvoll. Die Einplanung unmittelbar vor oder nach der Arbeit oder in der Mittagspause erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass das Training stattfindet. Für diejenigen, die beim Zubettgehen bemerken, dass sie ja eigentlich noch ins Training wollten, lohnt es sich, das frühmorgendliche Training oder eine Einheit über Mittag in Betracht zu ziehen.
- Erfolge feiern – und damit sind keine alkoholischen Abstürze oder «Binge-Eating» gemeint, sondern Belohnungen, die sich nicht kontraproduktiv zur eigentlichen Zielsetzung positionieren.
Fazit
Als erstes sollte der wahre Grund für eine Veränderung bewusst hervorgehoben werden. Erst danach können die zielführenden Massnahmen definiert und angepackt werden. Eine durchschnittliche Zeit von zwei Monaten ist für eine Verhaltensänderung einzurechnen. In dieser Zeit sollte eine bewusste Anstrengung zur Durchsetzung unternommen werden. Mit verschiedenen Ideen und Werkzeugen lässt sich dies bewerkstelligen. Und gerade hier öffnet sich ein Tätigkeitsbereich für die Trainer. Denn unterstützt durch Fachpersonal lässt sich die Verhaltungsänderung und somit die Regelmässigkeit mit Sicherheit einfacher bewerkstelligen.
Literaturliste
Aldossari, A., Sremanakova, J., Sowerbutts, A. M., Jones, D., Hann, M. & Burden, S. T. (2023). Do people change their eating habits after a diagnosis of cancer? A systematic review. Journal of Human Nutrition and Dietetics, 36 (2), 566–579.
Keller, J., Kwasnicka, D., Klaiber, P., Sichert, L., Lally, P. & Fleig, L. (2021). Habit formation following routine-based versus time-based cue planning: A randomized controlled trial. British Journal of Health Psychology, 26 (3), 807–824.
Montgomery, B. (1958). The Memoirs of Field Marshal Montgomery. Cleveland: The World Publishing Company.
Rackow, P., Scholz, U. & Hornung, R. (2015). Received social support and exercising: An intervention study to test the enabling hypothesis. British Journal of Health Psychology, 20 (4), 763–776.
Sinek, S. (2014). Frag immer erst: warum: Wie Top-Firmen und Führungskräfte zum Erfolg inspirieren. München: Redline Verlag.