Die pränatale Phase ist geprägt von Erwartung, Veränderung und Neuanfang. Yoga kann in dieser Lebensphase eine wertvolle Begleitung sein: Es stärkt Körper, Geist und hilft, diese besondere Zeit bewusster und gelassener zu erleben. Doch was bewirken gezielte Yogaübungen während der Schwangerschaft überhaupt – und wie können sie die Geburt erleichtern?
Die Schwangerschaft ist eine transformative Zeit im Leben einer Frau, die sowohl körperliche als auch emotionale Veränderungen mit sich bringt. Yoga hat sich als eine beliebte Praxis etabliert, um werdende Mütter in der pränatalen („vor der Geburt“) Phase zu unterstützen. Geburtsvorbereitung lässt sich auf drei Ebenen betrachten: körperlich, intellektuell und mental. Genau hier setzt Yoga als ganzheitliche Methode an und bietet auf allen Ebenen wertvolle Impulse.
1. Die körperliche Ebene:
Der Körper leistet während der Schwangerschaft und Geburt Aussergewöhnliches. Yoga hilft dabei, ihn gezielt auf die bevorstehende Anstrengung vorzubereiten. Durch Dehnungen, Kräftigungsübungen und bewusstes Atemtraining werden Muskeln – insbesondere im Beckenboden, Rücken und Bauch – gestärkt, Verspannungen gelöst und die Beweglichkeit erhalten.
Viele Frauen berichten auch über eine Linderung typischer Schwangerschaftsbeschwerden wie Rückenschmerzen, Ischialgien oder Wassereinlagerungen (Curtis, Weinrib & Katz, 2012). Körperliche Geburtsvorbereitung bedeutet aber auch, ein Gefühl für die eigenen Grenzen zu entwickeln – etwas, das Yoga besonders gut fördert.
Schmerzlinderung während der Wehen
Die Angst vor den Schmerzen während der Geburt ist bei vielen Frauen gross. Gerade Yoga ist daher ideal für die Geburtsvorbereitung geeignet, da Studienergebnisse zeigen, dass sich durch regelmässiges Yoga die Schmerzintensität während der Geburt reduzieren lässt. Dieser Effekt ist neben den körperlichen Anpassungen durch die regelmässige Yogapraxis auch eine Konsequenz der erhöhten Achtsamkeit und Entspannungsfähigkeit (Boopalan et al., 2023).
Herz-Kreislauf-System: auf das eigene Körpergefühl achten
Die Yogapraxis sollte während der Schwangerschaft im leichten bis moderaten Intensitätsbereich und unter primär aerober Energiebereitstellung stattfinden. Aufgrund der hohen Variabilität der Herzfrequenz sind pauschale Pulsobergrenzen wie „nicht über 140 Schläge pro Minute“ jedoch nicht zu empfehlen.
Die Belastungsintensität lässt sich stattdessen über das Körpergefühl steuern. Skalen des subjektiven Anstrengungsempfindens wie die Borg-Skala können zur Objektivierung der Belastungsintensität eingesetzt werden und helfen bei der Entwicklung des Körpergefühls (Da Silva, Mohammad, Hutchinson & Adamo, 2020).
Gesunder Beckenboden in der Schwangerschaft
Der Beckenboden wird in der Schwangerschaft stark belastet, denn dieser muss zusätzlich das Gewicht des Babys im Bauch tragen. Beckenbodentraining stellt daher eine wichtige Säule der körperlichen Geburtsvorbereitung dar. Dies umfasst neben der Kräftigung auch die bewusste Entspannung der Muskulatur sowie das Erlernen eines beckenbodenfreundlichen Alltagsverhaltens.
Yoga liefert auch in diesem Bereich viele positive Effekte und reduziert bei schwangeren Frauen nachweislich das Auftreten von Beschwerden im Bereich des Beckenbodens (Sharma, Sharma, Kumari, Preety & Dayma, 2024).
Bauchmuskeltraining in der Schwangerschaft
Mit der Zeit werden die beiden geraden Bauchmuskeln weicher, dehnen sich aus und rücken auseinander (Rektusdiastase). Dem ungeborenen Kind wird so Platz gemacht. Dadurch fehlt aber die Spannung bei der Sehnenplatte (Linea Alba) zwischen den Muskeln.
Deshalb ist ein funktionelles und angepasstes Bauchmuskeltraining mit Fokus auf die schräge und querverlaufende Bauchmuskulatur empfehlenswert. Grundsätzlich sollte darauf geachtet werden, ein Zuspitzen der Bauchdecke – das sogenannte Doming – während der Übungsausführung zu vermeiden. Beim Auftreten von Doming sollte die jeweilige Übung spätestens angepasst werden.
2. Die mentale Ebene:
Neben der körperlichen Fitness ist auch die innere Haltung ein entscheidendes Element der Geburtsvorbereitung. Yoga trainiert genau diese: Gelassenheit, Selbstvertrauen und Hingabe. Meditationen und Visualisierungen bereiten die werdende Mutter darauf vor, sich der Geburt mit Selbstvertrauen zu stellen. Mithilfe von Achtsamkeitsübungen lernen Frauen ihre Gedanken bewusst zu steuern und können auch die intensiven Momente einer Geburt ohne Angst erleben.
Reduktion von Stress, Angst und Depression
Die hormonellen und körperlichen Veränderungen während der Schwangerschaft können oft zu Stress, Angstzuständen und sogar Depressionen führen. Die Ergebnisse einer Metaanalyse von 31 Studien mit insgesamt 2217 Teilnehmerinnen zeigen, dass Yoga während der Schwangerschaft Angst, Depression und wahrgenommenen Stress reduzieren kann (Corrigan, Moran, McGrath, Eustace-Cook & Daly, 2022).
Durch gezielte Atemübungen, sanfte Dehnungen und Meditation lernen werdende Mütter, sich zu entspannen und ihre Emotionen besser zu regulieren. Die bewusste Auseinandersetzung mit dem eigenen Körper fördert zudem das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, die Schwangerschaft und Geburt positiv zu meistern. Neben den psychischen Vorteilen kann Yoga auch einen positiven Einfluss auf den Geburtsprozess haben.
So zeigt die wissenschaftliche Evidenz, dass regelmässiges Yoga die Wahrscheinlichkeit einer natürlichen Entbindung erhöht. Dies liegt unter anderem daran, dass Yoga die Flexibilität und Kraft der Muskulatur im Beckenbereich fördert, was den Geburtsvorgang erleichtert. Zusätzlich verbessert Yoga die Atemkontrolle, was insbesondere während der Wehen eine entscheidende Rolle spielt (Corrigan et al., 2022).
3. Die intellektuelle Ebene:
Verstehen, was im Körper passiert, ist ebenso wichtig wie die körperliche Praxis. Yoga fördert diese Auseinandersetzung mit dem eigenen Erleben und die bewusste Beschäftigung mit Fragen wie „Was bedeutet Wehenarbeit? Wie kann der Atem bewusst gelenkt werden? Welche Haltung unterstützt den Geburtsverlauf?“.
Im Yoga lernen Frauen also nicht nur Bewegungsabläufe, sondern auch Zusammenhänge – etwa, wie Stresshormone Wehen beeinflussen oder wie die Position des Babys mit der Körperhaltung der Mutter zusammenhängt. Dieses Wissen gibt Selbstvertrauen und Handlungssicherheit während der Geburt.
Individualisierung der Yogapraxis
Yoga in allen drei Trimestern bereitet die Frau nicht nur auf die Geburt vor, sondern hält Mutter und Kind auch nach der Geburt fit (Ranjan et al., 2022). Gerade zu Beginn einer Schwangerschaft bis weit ins zweite Drittel hinein besuchen Frauen, die bereits regelmässig Yoga praktizieren, häufig weiter ihre gewohnten Kurse und nicht etwa Yoga für Schwangere.
Aus Expertensicht spricht auch nichts dagegen, zunächst mit der gewohnten Praxis fortzufahren. Solange die individuellen Umstände berücksichtigt und die Ausführung ggf. entsprechend individualisiert wird, liefert auch das „klassische“ Yoga werdenden Mütter zahlreiche gesundheitliche Vorteile.
Obwohl Übungen in der Rückbeuge („Herzöffner“) häufig als angenehm empfunden werden, sind Bewegungen mit starker Hyperextension der Wirbelsäule, wie z. B. Chakrasana (Rad) oder ein Drop Back (vom Stehen nach hinten in das Rad), nicht geeignet, da dabei eine starke Dehnung auf den Bauch ausgeübt wird.
Stattdessen sind Asanas empfehlenswert, die die Vorderseite des Körpers dehnen und dadurch die Spannung der Schulter- und Nackenmuskulatur reduzieren, die durch das zunehmende Gewicht von Brüsten und Bauch stark beansprucht werden. Asanas, wie der kleine Krieger oder das Kamel in modifizierter Ausführung mit Händen im Rücken oder im Stehen, sind geeignet, um Spannung zu reduzieren und Leichtigkeit zu vermitteln.
Empfehlungen für werdende Mütter
Frauen, die während der Schwangerschaft mit Yoga beginnen möchten, sollten dies vorab mit ihrem Arzt oder ihrer Hebamme besprechen und Yogakurse unter qualifizierter Anleitung besuchen. Kurse mit pränatalem Yoga bieten den Vorteil, dass die Inhalte speziell auf die Bedürfnisse und Voraussetzungen während der Schwangerschaft zugeschnitten sind.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass Yoga während der Schwangerschaft nicht nur die körperliche Fitness und das emotionale Wohlbefinden fördert, sondern auch positive Auswirkungen auf den Geburtsverlauf haben kann. Die Integration von Yoga in die pränatale Betreuung bietet somit eine wertvolle Unterstützung für werdende Mütter auf ihrem Weg zu einer gesunden und positiven Geburtserfahrung.
Auszug aus der Literaturliste
Boopalan, D., Vijayakumar, V., Ravi, P., Shanmugam, P., Kunjumon, B. & Kuppusamy, M. (2023). Effectiveness of antenatal yoga in reducing intensity of labour pain: A systematic review and meta-analysis. European Journal of Obstetrics & Gynecology and Reproductive Biology: X, 19.
Corrigan, L., Moran, P., McGrath, N., Eustace-Cook, J. & Daly, D. (2022). The characteristics and effectiveness of pregnancy yoga interventions: a systematic review and metaanalysis. BMC Pregnancy and Childbirth, 22(1), 250.
Curtis, K., Weinrib, A. & Katz, J. (2012). Systematic Review of Yoga for Pregnant Women: Current Status and Future Directions. Evidence-Based Complementary and Alternative Medicine : ECAM, 2012.
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