Mike Sommerfeld gilt als derzeit bester deutscher Classic Physique Athlet. Er gewann 2024 die Arnold Classic in Columbus, Ohio, und ist einer der heissesten Favoriten auf den diesjährigen Titel des Mr. Olympia. Wir trafen Mike Sommerfeld bei seinem Besuch in der Schweiz. Im Interview spricht er über Erfolge, Herausforderungen und seinen ganz persönlichen Umgang mit Rückschlägen – darunter das knapp verlorene Mr. Olympia-Finale 2024.
FITNESS TRIBUNE: Mike, du bist aktuell einer der bekanntesten und erfolgreichsten deutschen Bodybuildingprofis. Wie bist du zu dem Sport gekommen und wie lange machst du das schon?
Mike Sommerfeld: Angefangen habe ich schon mit elf Jahren. Mein Vater hat auch Bodybuilding gemacht und stand als Junior unter anderem mit Dennis James auf der Bühne. Ich habe so gut wie jeden Sport ausprobiert. Bodybuilding lief eher nebenbei. Irgendwann war der Zeitpunkt gekommen, an dem ich mich entscheiden musste: Profifussball, Kampfsport oder
Bodybuilding. Ich habe mich für meine Passion entschieden –
Bodybuilding. Mit 16 Jahren stand ich das erste Mal auf der Bühne.
Mittlerweile bist du 31 Jahre alt und hast beim Mr. Olympia 2021 den siebten, 2023 den fünften und letztes Jahr den zweiten Platz erreicht. Ausserdem hast du dieses Jahr die Arnold Classic in Ohio gewonnen. Empfindest du deine Erfolge als „spät“ oder sogar „zu spät“?
Nein, überhaupt nicht – eher das Gegenteil. Ob du es mir glaubst oder nicht, ich bin unglaublich dankbar dafür, dass ich vergangenes Jahr nicht Mr. Olympia geworden bin. Laut den Kampfrichtern war die Entscheidung sehr knapp, das heisst, physisch bin ich so weit. Aber ich bin nicht sicher, ob ich den anschliessenden Hype, der nach einem Sieg losgebrochen wäre, psychisch verkraftet hätte. Was nach dem Vizetitel abging, war schon enorm. Und es hat mir gleichzeitig die Gelegenheit gegeben, zu lernen, mit dem Erfolg und allem, was damit einhergeht, besser umzugehen.
Wenn du den Mr. Olympia gewinnst, solltest du ein echter Champion sein. Das bedeutet für mich, dass ich den Sport repräsentieren kann. Als Mr. Olympia wirst du zum „Ambassador“ und stehst ab diesem Moment nicht mehr nur für dich selbst, sondern für uns alle. Als Mr. Olympia möchte ich körperlich und auch menschlich ein Vorbild sein können, von dem die Leute sagen: „Hey, wenn das Classic Physique ist, dann möchte ich genau das haben!“
Hast du selbst auch solche Idole?
Da gibt es sogar einige. Wenn es um die „Arbeitsmoral“ und die Fokussierung geht, ist es Kai Greene. Er hatte so ziemlich die schlechtesten Voraussetzungen, die man sich vorstellen kann. Er kam von ganz unten, hatte keine Familie oder sonstigen Support und hat sich trotzdem nach oben gearbeitet. Und auch mit dem Erfolg ist er immer bodenständig geblieben. Ausserdem Rich Piana. Er ist sehr polarisierend und man muss seinen Stil nicht mögen, aber er hat konsequent sein Ding durchgezogen und ist sich selbst treu geblieben – egal, was andere über ihn dachten. So etwas schätze ich auch sehr. Im Hinblick auf Business und Erfolg ist es Jay Cutler. Und wenn du mich nach der Optik fragst, ist mein Vorbild ganz klar Flex Wheeler.
Wenn Flex Wheeler sozusagen dein Schönheitsideal darstellt, ist das auch der Grund, warum du dich für die Classic Physique und nicht für die offene Klasse entschieden hast?
Offen gestanden bin ich tief in meinem Herzen ein Open Class Athlet. Meine Profilizenz habe ich ja auch in der offenen Klasse geholt. Vor sieben Jahren bin ich dann aber wegen eines Organversagens fast gestorben und man hat bei mir einen sehr speziellen Gendefekt diagnostiziert. Das hat dazu geführt, dass ich mich sehr stark mit dem Thema Gesundheit auseinandersetzen musste. In der Classic Physique Klasse schaffe ich es sehr gut, die Waage zwischen Gesundheit und Leistung auszubalancieren. Und der Erfolg bestätigt, dass ich in dieser Klasse offensichtlich richtig bin.
Worin liegen die speziellen Herausforderungen in dieser Klasse? Musst du dich dafür anders vorbereiten oder trainieren?
Durch das Gewichtslimit in der Classic Physique musst du Prioritäten setzen und entscheiden, worauf du dich konzentrierst, um der klassischen Linie möglichst nahe zu kommen. Ich kann nicht einfach sagen, ich will überall so viel Muskeln wie möglich draufpacken. Ich muss abwägen, wie ich die ideale Optik in ein definiertes Gewicht bekomme. Ich muss es schaffen, meine Stärken und meine Schwächen so abzustimmen, dass ich das insgesamt beste und ausgewogenste „Paket“ auf die Bühne bekomme.
In der Bodybuildingszene ist gerade viel los. Es gibt neue Klassen, die Preisgelder steigen und durch Social Media wird eine grössere Menge an Personen erreicht. Wie bewertest du diese Entwicklungen?
Ich finde das grossartig. Die gesamte Bodybuildingwelt erlebt gerade einen Aufschwung. Schau dir allein nur die letzte FIBO an – was da los war! Aber natürlich ist es insbesondere mit Blick auf Social Media auch ein zweischneidiges Schwert. Auf der einen Seite führt Social Media zu unglaublich viel Druck. Es ist viel Arbeit und du musst permanent Content liefern, sonst wirst du in diesem Sport definitiv arm enden. Die Preisgelder der namhaften Wettkämpfe steigen zwar, aber das kommt letztlich nur dem Gewinner oder vielleicht noch den Top drei wirklich zugute.
Der Grossteil unseres Business läuft heute über Social Media. Diese Art der Präsentation liegt aber nicht jedem. Ausserdem bietest du natürlich auch viel Angriffsfläche. Millionen von Menschen haben über Social Media direkten Zugang zu dir und können auf dich feuern. Du wirst nicht glauben, was ich da schon alles erlebt habe. Wir wissen alle, wie hart es zum Teil in den „sozialen“ Medien abgeht. Auch damit muss man umgehen können und lernen, sich abzugrenzen. Auf der anderen Seite bietet es uns Bodybuildern auch die Möglichkeit, mit unserem Sport unseren Lebensunterhalt zu verdienen – und zwar egal wie, wann oder wo. Trotz all seiner Schattenseiten eröffnet Social-Media uns Möglichkeiten, die wir früher nie hatten. Und rein quantitativ überwiegen die positiven Erfahrungen und der Zuspruch der Fans deutlich die sogenannten Hater, die es auch immer geben wird.
Denkst du, dass auch speziell deine Klasse, also Classic Physique, einen Anteil an diesem „neuen“ Erfolg des Bodybuildings hat?
Unbedingt. Meiner Meinung nach hat die Classic Physique Klasse insbesondere auch bei der jungen Generation Bodybuilding wieder populärer gemacht. Auch wenn wir sicherlich alle genauso hart trainieren und Diät halten, wie die „schweren Jungs“, können sich mehr Leute mit Classic Physique identifizieren. Es scheint erreichbarer. Ausserdem hat der Erfolg und die Beliebtheit von Classic Physique meiner Meinung nach auch Auswirkungen auf die Open Class. Mittlerweile siehst du auch dort wieder schmalere Taillen und ausgewogenere Linien. Der Trend geht auch in den offenen Klassen wieder stärker hin zur Ästhetik. Das finde ich eine sehr gute Entwicklung.
Du bist auch sehr viel unterwegs und hast viele Termine. Wie schaffst du es da, regelmässig zu trainieren und auf deine Ernährung zu schauen? Wie bringst du generell Bodybuilding, Beruf und Privatleben unter einen Hut?
Hier zeigt sich wieder die positive Seite von Social Media und die zunehmende Beliebtheit von Bodybuilding. Egal, ob ich Content produziere, Seminare halte oder Personal Trainings gebe. Fast alles findet im Gym statt. Da kann ich dann natürlich recht einfach mein eigenes Training integrieren. Ich muss nicht acht Stunden am Tag in irgendeinem Büro sitzen oder noch in der Fabrik schuften. Ausserdem arbeiten meine Frau und ich zusammen. Sie fotografiert und filmt sehr viel. Sie ist praktisch meine Content Creatorin. Das macht es natürlich einfacher, Beruf und Privatleben zu vereinen.
Wir leben unsere Leidenschaft gemeinsam und sie kann so natürlich auch auf allen meinen Reisen mit dabei sein. Das funktioniert hervorragend. Ich habe das grosse Glück, dass meine Frau und ich grundlegend verschieden sind: Ich bin extrovertiert und immer „on fire“. Du kannst mich in eine Gruppe von tausend Menschen stellen – und ich geniesse das. Meine Frau hingegen ist sehr viel ruhiger und introvertiert. Sie ist extrem empathisch und erdet mich immer wieder. Wir ergänzen uns da perfekt. Generell stehen meine Frau und auch meine Familie zu 100 Prozent hinter mir. Auch mein Vater ist bei den grossen Wettkämpfen, wann immer es geht, dabei.
Löst es bei dir auch Verunsicherung aus, wenn man dann zig verschiedene Meinungen und „Ratschläge“ liest, wie beispielsweise „Wechsel den Coach“ oder „Wechsel die Klasse“?
In der Vergangenheit hat es das tatsächlich. Ich habe in den letzten Jahren so viele Ratschläge und Meinungen mitgeteilt bekommen, dass ich sie gar nicht mehr zählen kann. Und natürlich denke ich dann darüber nach und habe mich bisweilen davon verunsichern lassen. Aber diese Reflexion führt eben auch dazu, dass ich für mich selbst mehr Klarheit bekomme und am Ende umso überzeugter von meinen Entscheidungen bin. Eben weil ich die Dinge aus den verschiedensten Perspektiven betrachte. Heute weiss ich ganz genau, dass ich für mich in den grundlegenden Fragen alles richtig mache.
Chris Bumstead hat seine aktive Karriere beendet, Wesley Vissers konnte bei den letzten Wettkämpfen nicht an seine vorherigen Leistungen anknüpfen. Mit Urs Kalecinski hast du immer noch sehr harte und erfolgreiche Konkurrenz, aber im Grunde ist das Fenster für den diesjährigen Mr. Olympia sperrangelweit offen für dich. Wie gehst du mit dieser Situation um?
Oh, ich liebe den Druck! Aber erst einmal ist Chris der zweite Grund, warum ich dankbar bin, letztes Jahr „nur“ Zweiter bei Mr. Olympia geworden zu sein. Ich habe mir gewünscht, dass Chris seine Karriere als Sieger beendet – einfach, weil er es verdient hat. Er hat über so viele Jahre hinweg konstant immer wieder geliefert und er war es, der unsere Klasse so populär gemacht hat. Egal, wo ich auf dieser Welt bin, jeder kennt „CBum“. Aber zurück zu deiner Frage: Ich habe in den letzten 20 Jahren viele Lektionen gelernt. Eine davon ist: „Je tiefer die Scheisse, desto dicker die Beine!“ Mit anderen Worten: Wenn du in einer Situation bist, in der du aus deiner Komfortzone rauskommen musst, bedeutet das, dass du in jedem Fall etwas dazu lernst und dich weiterentwickeln wirst.
Du bist mittlerweile ein erfahrener Athlet. Welchen Rat würdest du denjenigen geben, die gerade mit Bodybuilding angefangen haben oder überlegen, dies zu tun? Und was würdest du jemandem raten, der als Coach erfolgreich werden möchte?
Ja, das knüpft an deine vorherige Frage an. In meinen Augen ist das Allerwichtigste, zu lernen, die harten Tage wertzuschätzen. Harte Tage fühlen sich in der Situation immer schlecht an, aber Probleme kreieren Lösungen und Lösungen bringen dich weiter. Ich sage immer wieder zu meiner Frau – und sie „hasst“ mich dafür: Gib mir mehr Probleme! In welche Richtung fällst du, wenn dir jemand in deinen Allerwertesten tritt? Genau – nach vorne. Wenn man das verstanden hat, muss man sich nicht mehr fürchten.
Du würdest heute also alles noch einmal genau so machen?
Ja, unbedingt. Was wäre denn, wenn ich etwas anders gemacht hätte? Dann wäre ich heute vielleicht nicht dort, wo ich jetzt bin. Alle Erfahrungen, die ich gemacht habe – egal, ob positiv oder negativ –, helfen mir heute dabei, der Mensch zu sein, der ich sein muss, um mein grösstmögliches Ziel zu erreichen.
Mike Sommerfeld
Mike Sommerfeld ist deutscher Profiathlet in der Classic Physique Klasse, Trainer und Coach. Der gebürtige Heidelberger ist seit über 20 Jahren im Kraftsport aktiv und gewann im Frühjahr 2025 die Arnold Classic in Columbus, Ohio. Aktuell bereitet er sich auf den diesjährigen Mr. Olympia im Oktober in Las Vegas vor.